Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Der erste Angeklagte der Prozess-Serie gegen Nazi-GegnerInnen, denen vorgeworfen wird, am 25.7.08 in Gräfenberg einen extrem provokanten Naziaufmarsch blockiert zu haben, hat sich nicht strafbar gemacht. Das Verfahren gegen den Angeklagten wurde gegen eine Auflage (Zahlung von 100 € an eine gemeinnützige Organisation) eingestellt.
"Wir können mit diesem "Fast-Freispruch" natürlich nicht völlig zufrieden sein", schreibt das Nürnberger Bündnis Nazi-Stopp. Die Akteure gehen davon aus, dass der vielfältige Protest sowie die große öffentliche und Presse-Resonanz im Vorfeld des Prozesses eine harte Verurteilung verhindert haben. Sowohl im Gerichtssaal als auch vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich bereits am frühen Morgen knapp 100 UnterstützerInnen, unter ihnen Christine Stahl, MdL der Grünen. Verschiedene RednerInnen auf der vom Nürnberger Bündnis Nazistopp organisierten Kundgebung betonten die Bedeutung der Solidarität im Widerstand gegen Alt- und Neonazis und auch im Kampf gegen den offensichtlichen Versuch staatlicher Behörden, Nazi-GegnerInnen in der Region zu kriminalisieren. Mehrfach kritisiert wurde zudem die extrem liberale Genehmigungspraxis des Landratsamtes Forchheim bei Nazi-Aufmärschen.
Leider muss auch dieser Bericht wieder mit einem unschönen Detail enden: Eine Nazi-Gegnerin, der vorgeworfen wird, einen Poller am Rand der Straße mit Kreide und dem Spruch "Nazis stoppen" verziert zu haben, wurde von der Polizei unverhältnismäßig brutal zur Personalienfeststellung in einen Polizei-Bus gebracht.
Die nächsten Prozesse gegen die BlockiererInnen von Gräfenberg finden am 6.10. (9 Uhr) und am 12.10.2009 statt (Amtsgericht Forchheim, Kapellenstraße 15).
Ob das Blockieren von Nazideonstrationen eine Straftat, 'nur' eine Ordnungswidrigkeit oder eine vollkommen legitime Haltung, um einer gewissermaßen kriminellen Vereinigung entgegenzutreten, ist unter Juristen umstritten. Am Jahrestag der Blockadeaktion hatte das 'Nürnberger Bündnis Nazistopp' bereits zu einer Protestaktion nach Forchheim eingeladen. Hier der Bericht der Initiative:
Nach einem kurzen Abriß der Geschichte der Forchheimer Jüdinnen und Juden (inklusive der "Arisierung" von Betrieben jüdischer ForchheimerInnen durch Gustav Schickedanz, den Quelle-Gründer) bis zu deren Deportation und Ermordung in der NS-Zeit und einer Schweigeminute am entsprechenden Forchheimer Denkmal zogen die DemonstrantInnen zum Rathausplatz. Dort verurteilten verschiedene PolitikerInnen die staatliche Repression gegen die Nazi-GegnerInnen scharf. Nach Michael Ziegler, Nürnberger Stadtrat der SPD, Eylem Gün, DIDF, Nürnberger Stadträtin der Linken Liste, Karl Waldmann, Kreisvorstandssprecher der Grünen KV Forchheim und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag Forchheim sowie einem Redner unseres Bündnisses sprach schließlich Überraschungsgast Werner Wolf, der Bürgermeister Gräfenbergs und seit mittlerweile 10 Jahren aktiv in der Gegnerschaft gegen Naziaufmärsche in diesem idyllisch gelegenen Örtchen.
Drückten ihren Protest aus: Josef Jakubowicz und Franz Rosenbach
Vor dem Amtsgericht Forchheim schlossen der in Nürnberg lebende jüdische KZ-Überlebende Josef Jakubowicz und einer der Angeklagten aus den Reihen unseres Bündnisses den Reigen der RednerInnen ab. Ein weiterer Überraschungsgast, Franz Rosenbach, drückte durch seine Anwesenheit Solidarität mit dem Anliegen der Demonstration aus. Der in Nürnberg lebende Sinto überlebte u.a. das KZ Auschwitz-Birkenau und engagiert sich wie Jakubowicz u.a. durch seine Mitwirkung bei Bildungsveranstaltungen für SchülerInnen.
Hitler-Gruß schnell bestraft
Auch an diesem Tag wurden einige die Demonstration beäugende Neonazis gesichtet. Einer der Ewiggestrigen entblödete sich nicht, von einer Gaststätte am Rande der Demonstration aus den "Hitler-Gruß" zu zeigen. Die Polizei griff nach einem Hinweis diesmal schnell ein.
Für Interessierte sei hier noch die Rede des Nürnberger Bündnis abgedruckt, die vor dem
Mahnmal der deportierten Juden in Forchheim gehalten wurde:
"Nur noch 14 Namen stehen auf diesem Mahnmal. Es waren die restlichen Juden von Forchheim, von denen der größte Teil am 27. November 1941 verschleppt wurde. Hier vorne am Paradeplatz wartete an einem grauen Morgen ein LKW, der sie auf offener Ladefläche nach Nürnberg karrte. Von dort ging es weiter zu einer Reise nach Lettland und Polen, einer Reise ohne Wiederkehr...
In grauer Vorzeit, nach dem 30-jährigen Krieg, standen die Stadtjuden in Forchheim einmal unter fürstbischöflichem Schutz. Sie mussten hierfür ein Schtzgeld zahlen und durften im Gegenzug in den Festungsmauern der Stadt wohnen und arbeiten. Als im siebenjährigen Krieg die Preußen die Stadt belagerten, konnten die Forchheimer allein dank der Mehlvorräte eines Juden standhalten.
Noch im frühen 19. Jahrhundert war die Ansiedlung von Juden eine regulierte Angelegenheit. Sie mussten sich als Untertanen des Königs von Bayern „immatrikulieren“. Dennoch bestand Religionsfreiheit. Es konnte eine Synagoge und eine jüdische Schule eröffnet werden. Im letzten Jahrzehnt vor der Versailler Reichsgründung erwiesen sich die Juden auch in Forchheim als Vorreiter der Industrialisierung. Erwähnenswert ist die Gründung einer Folienfabrik, eines optischen Werkes und einer Papierfabrik.
Die beginnenden Kaiserzeit war die Blütezeit des Forchheimer Judentums – die Gemeinde zählte 1880 immerhin 200 Mitglieder. Trotzdem verließen seit eh und je zahlreiche ihrer Mitglieder Forchheim und ließen sich woanders nieder oder wanderten aus, nach Übersee, England oder Palästina.
Vor dem ersten Weltkrieg gründeten Juden zahlreiche Handelsgeschäfte in Forchheim. Das wichtigste und größte war das Kaufhaus Rosenthal. Alle jüdischen Fabriken, Geschäfte sowie der gesamte Grundbesitz wurde unter der Nazidiktatur „arisiert“, also von Deutschen nichtjüdischer Abstammung geraubt. Hierbei tat sich auch in Forchheim der Quellegründer Gustav Schickedanz hervor, der dank seiner guten Beziehungen zum Gauleiter Streicher allein in dieser Stadt für nicht nennenswerte Beträge erwarb:
• die M. Ellern GmbH, Forchheim-Stadtsteinach
• das Grundstück der Fa. A. Schweizer i.L. O.H.G.
• und mit der Übernahme der Vereinigten Papierwerke AG Nürnberg/Heroldsberg auch deren
Forchheimer Niederlassung (ehemals Eigentum der Familie Rosenberger).
Noch im ersten Weltkrieg erwiesen sich auch die Forchheimer Juden als eingefleischte Patrioten. Davon zeugte unter anderem auch eine Marmorplatte als Ehrentafel für 5 gefallene jüdische Soldaten, die sogar die Reichsprogromnacht unentdeckt im Bauhof überdauerte. Dieses Denkmal wurde jedoch nur bis in die 60'er Jahre aufbewahrt und irgendwann nach 1970 „entsorgt“. Somit ist das Mahnmal, vor dem wir uns hier versammeln, eines der wenigen übrig gebliebenen Zeugnisse jüdischen Lebens in Forchheim. Wir sollten diese Versammlung an diesem Ort dazu nutzen, in einer Gedenkminute nicht nur der jüdischen, sondern aller Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken...".
Am 30.7. Prozessbeginn in Forchheim
Am 30.7.09 (Donnerstag) findet von 7.30 – 8.30 Uhr eine weitere Kundgebung vor dem Amtsgericht Forchheim statt. Anschließend beginnt der erste Prozess. Ein Flyer, herausgegeben von 6 Angeklagten der Aktion in Gräfenberg vom 25.7.08, wurde bereits veröffentlicht und von verschiedenen Gruppierungen unterstützt: hier klicken!
Den Solidaritätsaufruf des Nürnberger Bündnisses Nazistopp, des Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie des Antifaschistisches Aktionsbündnisses Nürnberg haben mittlerweile über 1000 Menschen und Gruppierungen aus Deutschland und anderen Ländern unterschrieben! Der Solidaritätsaufruf wurde auch durch Prominente aus Politik und Kultur unterstützt. Holocaust-Überlebende wie Josef Jakubowicz, Nürnberg, und Esther Bejarano haben sich dem Protest angeschlossen. Dieter Hildebrandt, Konstantin Wecker, die Sportfreunde Stiller und andere Prominente fordern unter anderem Solidarität mit den BlockiererInnen aus Gräfenberg und kritisieren die Kriminalisierung des Widerstands gegen die Naziaufmärsche in Gräfenberg!
Spendenkonto (für Anwalts- und Prozesskosten):
Max Gnugesser-Mair
Stichwort "Solidarität Gräfenberg"
Postbank Nürnberg
BLZ 76010085
KontoNr. 170678857
Mehr unter: Nürnberger Bündnis Nazistopp
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk