Matthias Jente vor Stellttafeln über sein Buch, im Abgeordnetenhaus, Berlin 2008.
Eine außergewöhnliche Schülerarbeit aus Lübbenau. Der 19-jährige Schüler Matthias Jente reiste im Sommer 2007 quer durch Frankreich. Er besuchte französische Zeitzeugen aus der Résistance gegen die Nazi-Besatzer Frankreichs und interviewte sie. Sein Thema: Was haben Deutsche und Franzosen aus der Vergangenheit gelernt?
Von Julian Perdrigeat
Matthias Jente hat Abi in vier Wochen, aber bis jetzt keinen Stress. Und wenn die Geschichtsaufgabe den Zweiten Weltkrieg betrifft, wird Matthias noch weniger Sorgen haben. Warum? Hat er diese Zeitperiode besonders gut gelernt? Ja sicher. Er selbst hat ein kurzes Buch dazu verfasst. Matthias ist bewusst, dass Bildung ein Recht ist. Ein Recht, das im geteilten Deutschland aber früher verletzt war: „Meine Eltern sind in der DDR aufgewachsen“ erzählt der Schüler, der aus Lübbenah/Spreewald stammt. „Mein Vater durfte kein Abi machen.“ Matthias hat diese Chance umso mehr genutzt. Er setzte sich persönlich und direkt mit der deutsch-französischen Vergangenheit auseinander. Zwei Monate reiste er ins Land Voltaires, um Europa durch dem Prisma der deutsch-französischen Beziehungen zu beobachten.
In Frankreich, besuchte Matthias keine Strand in Cote d’Azur, sondern unterhielt sich mit französischen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges. Er hörte aufmerksam ihre Geschichte. Er begleitete sie zu ehemaligen historischen Schauplätzen und Museen zwischen Paris, Montpellier, Cahors, und Bordeaux. Am Ende seiner kleinen „Tour de France“, schrieb Matthias einen Bericht: „La France sous l’occupation allemande 1940-1944. Vom Einmarsch bis zur Befreiung- Ein Einblick über das tägliche Leben in Frankreich während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg“. Er fasste seine Erfahrung und Gefühle über das derzeitige deutsch-französischen Verhältnis zusammen, und bewies damit, dass die deutsch-französische Freundschaft längst eine liebgewonnene Realität ist. Er leistete sogar seinen Beitrag dazu, indem er an dem immer neu zu untermauernden deutsch-französischen Versöhnungsprozess teilnahm. Aus diesem Grund wurde Matthias im Januar 2008 im Abgeordnetenhaus in Berlin eingeladen. Im Rahmen des Projektes „Denk!mal’08“ konnte er die Ergebnisse seiner Studienreise der Öffentlichkeit vorstellen. „Erinnern an die Vergangenheit und handeln in der Gegenwart. Auf diesen beiden Säulen steht das Projekt“ so Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin. Für das Buch von Matthias gilt das besonders.
Eine positive Erfahrung
Matthias hält von seiner Studienreise „eine positive Erfahrung“. „Die Annäherung ist real zwischen den deutschen und französischen Bevölkerungen. Alle Zeitzeugen haben sich gefreut, dass ein Deutscher sich für ihre Geschichte interessiert.“ Im Buch, stellt Matthias seine Gäste vor, die zu Freunde wurden. Mit ihnen unterhält sich Matthias regelmäßig Kontakt: Monsieur Jacques Almann, 88 Jahre alt, von jüdischer Abstammung, der ins KZ Auschwitz deportiert wurde. „Ein sehr offenherziger Mensch, der das Vergeben nie verlernte“ und sich für den Frieden engagiert. Oder Madame Pierrette Rossi, 89 Jahre alt, ehemaliges Mitglied des Widerstandes, deportiert ins KZ Ravensbrück. Sie musste dort für die Rüstungsindustrie, bei Siemens arbeiten. „Bis heute boykottiert sie SIEMENS-Produkte“ lernt der Leser im Buch. Die Zeitzeugen sind oft auf Fotos zusammen mit Matthias zu sehen. Eine Verbindung zwischen Erinnerungen aus der Vergangenheit und Hoffnungen für die Zukunft wurde damit geschafft.
Und die deutsch-französische Freundschaft bei den Jugendlichen? Die ist keine Phantasie. Matthias bemerkte mit Staunen, „dass relativ viele französische Jugendliche Deutsch sprechen können und dies teilweise sogar besser als Englisch. Demnach haben sich die Bemühungen des Goethe Instituts, des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJ) und vieler weiterer Institute gelohnt.“ Jedes Jahr ermöglicht der DFJ den Austausch von Schülern oder Lehrern über den Rhein. Damals hatte Matthias an der Schule eine Französischlehrerin aus Frankreich. „Sie konnte tolle Quiche backen und hat immer sehr viel über Frankreich erzählt…“ Nach und nach entwickelte sich in Matthias Kopf die Idee, dass eine Reise ins Nachbarland wertvoll sein konnte. Er suchte dann Hilfe im Internet und fand finanzielle und organisatorische Unterstützung bei der Zis Stiftung und Organisationen wie der Carols Magnus Kreis.
Was rät er Leuten, die wie er, eine Studienreise machen wollen? „Ohne Vorurteile an die Sache angehen“ antwortet der junge Mann spontan.
Wie andere Abiturienten, wird Matthias nächstes Jahr freiwilliger Zivildienst absolvieren. Er hat vor Englisch Unterrichte für benachteiligte chinesische Kinder zu geben. „Ein Hammer-Projekt, wenn es klappt“ sagte er, total begeistert. Matthias überlegt sich danach in Frankreich zu studieren. Frankreich, wo man letzte Woche den Tod von Lazare Ponticelli bedauerte. Er war der letzte lebendige französische Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges und entschlief am 12. März 2008, im Alter von 110 Jahre. Matthias zeigte sich darüber traurig. Er verstand die Tiefe dieses historischen Ereignisses.