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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Hörpol nennt sich ein neues Berliner Projekt, welches sich auf besondere Weise mit den Themen Antisemitismus, Fremdenhass und deutscher Geschichte zur Zeit des Dritten Reiches beschäftigt. Es bietet einen Audio-Streifzug durch Berlin Mitte und ermöglicht somit einen direkten Bezug zur Geschichte. Der/die Hörer/in betritt Geschichte und wird zu Verantwortung in der Gegenwart aufgerufen.
Von Julia Schörken
„Das Märchen von den „Bessermenschen“: Es gab einmal eine Zeit, nicht weit weg von heute, da lebten Menschen, die glaubten, sie seien irgendwie anders. Nicht schnöde Menschenmuggels auch keine Zauberer, Magier, Supermänner. Nein, das reichte lange nicht. Herrscher wollten sie sein, Herrenmenschen, rundum vollendete Geschöpfe… Wild entschlossen glaubten sie schlicht etwas Besseres zu sein und nannten sich „Bessermenschen“.“ Diese „Hörprobe“ bietet nur einen kleinen Einblick in die Vielfältigkeit von Hörpol. Das Märchen der „Bessermenschen“ beleuchtet die Ideen der Nazis auf sehr zynische Art und Weise und erfordert durchaus einwenig Hintergrundwissen. Insofern spricht Hörpol Menschen ab 14 Jahren an.
Erinnerungen für die Zukunft
Hörpol liefert zu 27 Orten in Berlin-Mitte kurze Hörspiele, Berichte, Musik und Erzählungen zum Anhören vor Ort. Während des Rundganges betritt man ein Stück Geschichte, wird hingewiesen auf Geschehnisse im Dritten Reich. „Erinnerungen für die Zukunft“ lautet der Titel des Projektes und soll vor Allem junge Menschen mit Hinblick auf die Vergangenheit zu Verantwortung in der Gegenwart und der Zukunft aufrufen. Der kostenlose Download des Stadtplans und des Hörspiels im Internet ermöglicht den Zugang zu dem Hörspiel für jede/n.
Man kann selbst entscheiden, wo die Tour beginnen und wann sei aufhören soll. Das Hörspiel bietet einen Streifzug, vorbei an Musikclubs, Cafés und Wiesen, entlang dem Ufer der Spree. Mal Wutausbruch, mal Liebeserklärung, mit Musik, mit Hörspielen und Berichten, über Gestern und Morgen erzählt Hörpol an 27 Orten Geschichten über jüdische Geschichte, verrät Geheimnisse, zeigt Wahnsinn und Lügen, Verzweiflung und Hoffnung.
Geschichte betreten
Schauspieler/innen, Musiker/innen, Zeitzeugen/innen, Schüler/innen, und viele mehr, wirkten an dem Projekt mit, das aufklären und Geschichte mit einem deutlichen, aktuellen Bezug, greifbar machen soll. Klaus Kordon liest aus seinem Roman „Julians Bruder“ einige Passagen vor, Berliner Jugendliche geben ihre Stimme dazu ab, welche Rolle für sie Religion in einer Beziehung spielt. Man läuft vorbei am jüdischen Friedhof, an der Synagoge, man erfährt, welche Gebäude früher an Ort und Stelle standen und welche Situationen in den Häusern geschahen.
So zum Beispiel auf der Burgstraße 28, wo früher das Referat für Judenangelegenheiten seinen Sitz inne hatte. Marietta Slomka gibt ihre Stimme für diese Station und berichtet, dass alle Beamten Juden deportierten, sie aus ihren Wohnungen rissen. Natürlich mag nach `49 keiner der Beamten etwas davon gewusst haben. Keiner wusste, wo genau man die Juden vom Transporter abließ und dass sie dort, in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Keiner der Beamten wurde verurteilt, einige wurden sogar in Wedding oder Lichtenrade wieder zum Polizeidienst zugelassen. Man schluckt und läuft weiter. Eine kurze Pause im Monbijoupark, ehe es weiter geht. Man muss aufpassen, dass man die Geschichte nicht mit Füßen tritt, nicht zu schnell wird, sondern sich Zeit lässt für den Streifzug, um alle Sätze zu verarbeiten. Es sind schließlich keine Geschichten und auch kleine Märchen! Man betritt deutsche Geschichte.
Hörpol ist eine Geschichtsreise der ganz besonderen Art, fern ab von der schulischen Form, Inhalte und Geschichte zu vermitteln. Durchaus humorvoll, aber auch tieftraurig sind die Geschichten, zum Tanzen auf der Straße motivieren manche Lieder und machen Mut.
Eine gute Alternative zu trockenem Geschichtsunterricht
Das Projekt bietet einen Einblick in die Alltagswelt des Dritten Reiches. Besonders für jüngere Menschen werden bestimmte Thematiken dadurch greifbarer und vorstellbarer. Die Erfahrung besagt, dass viele Schüler Informationen über das Dritte Reich, über den Holocaust, über Antisemitismus so sehr ausgeschöpft sehen, oder schon zur Fülle gelernt, dass ihnen die Motivation fehlt, weitere Dinge zu erfahren. Das birgt Gefahr, die Vermittlung von Inhalten ist schließlich von solch großer Bedeutung. Da der Alltagsbezug im Geschichtsunterricht häufig fehlt, bietet Hörpol eine gute Alternative an.
„Hörpol fordert dich heraus, hat Risiken und Nebenwirkungen, lässt dich zweifeln, wütend werden, tanzen, lachen – fragt dich, wer du bist.“, verspricht der Werbetext auf der Internetseite In der Praxis gestestet: es stimmt.