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Modell Brandenburg?

Auch Brandenburg hat ein Rechtsextremismusproblem. Darum mogelt sich das Land nicht herum. Aber es gibt vielfältige Ansätze dies anzugehen. Viele Kommunen, Land und Zivilgesellschaft versuchen dabei seit rund 10 Jahren einen gemeinsamen Weg unter dem Dach des Brandenburger Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu gehen. Eine Zwischenbilanz.

Von Anna Spangenberg

Mit der Initiierung des landesweiten Aktionsbündnisses 1997 wurde versucht, das Problem Rechtsextremismus klar und öffentlich zu benennen. Hintergrund war die Zunahme rechtsextremer und fremdenfeindlicher Vorfälle und Gewalttaten in Brandenburg, die nicht nur immer mehr Opfer verursachten und das gesellschaftliche Klima im Land störten, sondern auch dem Ansehen nach außen schadeten.

An der Initiierung des Bündnisses war das Land als solches zunächst beteiligt: Es drückte damit seine Sorge um rechtsextreme und fremdenfeindliche Potenziale im Land, sein eigenes Engagement in der Zurückdrängung solcher Tendenzen und seine Solidarität mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen für Demokratie und Toleranz aus. Es gab verschiedene Gründe, die staatliche Seite aus dem Bündnis zurück zu nehmen, unter anderem, um die Glaubwürdigkeit zivilen Engagements nicht durch eine zu starke Verstaatlichung zu gefährden, bürgerschaftliche Initiativen nicht der Gefahr einer Bevormundung auszusetzen und die
beiden Seiten der Gesellschaft in diesem Konfliktfeld zu entflechten.

Das kontinuierliche Engagement der Landesregierung drückt sich aber in dem Handlungskonzept ,Tolerantes Brandenburg‘ aus – beide Seiten ergänzen sich jetzt, ohne sich gegenseitig das ,Territorium streitig zu machen‘. Dass der Rückzug des Landes aus dem Aktionsbündnis keinen Entzug der Unterstützung und Solidarität bedeutet, kommt in der infrastrukturellen Unterstützung des Aktionsbündnisses zum Ausdruck. So gewährleistet die Landesregierung unter anderem die Arbeit der Geschäftsstelle des Aktionsbündnisses, die im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ressortiert.

1997 ebenso wie heute gibt es immer wieder öffentliche Debatten, welche sich oft durch Unzulänglichkeiten auszeichnen: Häufig wird der Blick vor allem auf Gewalttaten und rechtsextreme Wahlerfolge gerichtet. Die in Teilen der gesellschaftlichen Mitte verankerten autoritären, nationalistischen beziehungsweise völkischen, rassistischen und antisemitischen Einstellungsmuster werden dagegen meist ignoriert. Die Notwendigkeit der Etablierung von zivilgesellschaftlichen Strukturen kann nicht nur mit der Häufung rechtsextremer Exzesstaten begründet werden, da bei einer Fokussierung auf neonazistische Gewalttaten alltägliche und strukturelle Gewalt tendenziell ausgeblendet wird. So geraten beispielsweise die Wirkungen diskriminierender Gesetze und Verordnungen im Bereich der Flüchtlingspolitik auf das Denken und Verhalten von Teilen der Bevölkerung aus dem Blick.

Der langfristige Rückgang rechtsextremer Gewalt kann nur Ergebnis von Einstellungsänderungen in erheblichen Teilen der Bevölkerung sein. Um dies zu erreichen, sind präventive Aufklärung, demonstratives Bestärken antirassistischer Akteure und Motivierung zu kritischem Denken und selbstbestimmten Handeln nötig.

Gerade diejenigen, die sich gesellschaftlich engagieren, brauchen Förderung, Unterstützung und Anerkennung.

Dies hat sich das Aktionsbündnis von Anfang an als Aufgabe gestellt. Das Spektrum der Mitglieder des Aktionsbündnisses ist breit. Neben landesweit tätigen Organisationen, lokalen Bündnissen und Netzwerken stehen Einzelpersönlichkeiten, die gemeinsam für die Ziele des Bündnisses eintreten. Das Bündnis hat sich über die Jahre bewährt.

Zum Einen findet bei aller Unterschiedlichkeit der Bündnispartner der notwendige Konsens der Demokraten eine beredete Ausdrucksform. Zum Anderen wird dadurch deutlich, dass Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches Problem gesehen und bearbeitet werden muss. Zudem liefert dieser Zusammenschluss gute Ansätze für die Hilfe zur Selbsthilfe.
Aus dem Bündnis erwachsen durch Kooperationen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen Synergieeffekte, die vor Ort und in den Regionen zu gemeinsamem demokratischen Handeln ermuntern.
Die Idee der Zivilgesellschaft steht für eine Trennung zwischen einem engeren, politischöffentlichen Sektor und einem weiteren, gesellschaftlich-privaten Sektor, wobei allerdings der nicht-staatliche Bereich durch vielfältige Formen der Selbstorganisation und Selbstverwaltung (durch Vereine, Organisationen usw.) gestaltet wird. Das klingt gut, ist praktisch aber ein harter Weg.

„Nach wie vor bestimmt der Glaube an die Allmacht und die Allzuständigkeit des Staates das Denken vieler Brandenburger. Schnell greift die latente Auffassung, dass es für die Bekämpfung von Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit den Staat – genauer gesagt die Polizei – gibt. ‚Die da oben‘ sollten dies abstellen oder in den Griff bekommen. In der Perspektive vieler Brandenburger – auch der Kommunalpolitiker – ist es ein polizeiliches und kein gesellschaftliches Problem. Aber auch wenn es in einem Ort eine funktionierende Bürgerinitiative gibt, kann der Elan sehr schnell verrauchen, wenn sich eine staatliche Stelle quasi institutionell darum kümmert. Es entsteht Konkurrenzdenken und sehr schnell heißt es, soll das doch der Staat klären. Es ist schwer in einer Kommune zivilgesellschaftliches und behördliches Engagement im Gleichgewicht zu halten und etwas zum Thema aller Bürger zu machen und zu halten.“ I

n vielen Städten Brandenburgs haben sich lokale Initiativen zusammengefunden, mit Namen wie ‚Plattform gegen rechts‘, ‚Aktionsbündnis‘, ‚Netzwerk für ein tolerantes … , oder ‚Runder Tisch gegen Gewalt‘. Meistens gab es einen konkreten Auslöser, der die Bürger und Bürgerinnen an einen Tisch gebracht hat. Das Verhältnis zwischen der Stadtverwaltung und den Initiativen variiert von Kommune zur Kommune. So können positive Fälle gegenseitiger Anerkennung und Unterstützung beschrieben werden, aber auch Fälle von Gleichgültigkeit bis Aversion und Konfrontation. In manchen Kommunen ging der Startschuss zur Bildung einer Initiative von der Verwaltung aus. Das Modell kommunaler Selbstverwaltung stellt somit auch seine gestaltende politische Kraft unter Beweis.

Einzelne Bürgermeister haben wesentlichen Anteil am Aufbau von örtlichen Initiativen. Die Motive dafür sind unterschiedlich: Korrektur des Images der Kommune in der Öffentlichkeit beziehungsweise den Medien, moralische Entrüstung oder Druck von Bürgerinitiativen. Über Jahre war aus vielen Amtsstuben eher Zurückhaltung zu verspüren: Das Thema wurde verschwiegen, verdrängt oder heruntergespielt – oft aus Scham und Hilflosigkeit. Das hat sich in Brandenburg zum Teil verändert. Diese Veränderungen hängen eng mit der öffentlichen Diskussion zusammen.

Die Diskurse vor Ort sind das Eine, die gesellschaftlich geführte Debatte zum Thema Rechtsextremismus das Andere.

Hier versteht sich das Bündnis als ein wichtiger Partner und kritischer Begleiter des Handlungskonzeptes ,Tolerantes Brandenburg‘ der Landesregierung. Es ist positiv anzumerken, dass Rechtsextremismus in Brandenburg in weiten Kreisen übereinstimmend nicht mehr als gesellschaftliches Randphänomen beschrieben wird.

Studien wie die von Oliver Decker und Elmar Brähler und auch die seit 2002 jährlich durchgeführten
Bevölkerungsumfragen zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ von der Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer belegen die Zunahme von fremdenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung. Statistiken zeigen eine deutliche Zunahme rechtsextremer Gewalttaten in den letzten Jahren. Darüber, dass die ostdeutschen Bundesländer mit spezifischen Ausformungen des Phänomens Rechtsextremismus zu ringen haben, gibt es kaum Zweifel.

Sicherlich haben Thomas Grumke und Andreas Klärner Recht, wenn sie von einer „weitgehenden sozialen Ächtung des Rechtsextremismus“ in Deutschland sprechen. Diese Ächtung drückt sich unterschiedlich aus: Sie ist wahrzunehmen in der Art und Weise, wie die Mehrzahl der Medien über Rechtsextremismus berichten oder auch in der großen Bereitschaft vieler Menschen, sich in Bündnissen zu engagieren oder gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Auch die Bereitschaft des Bundes und vieler Länder, Geld für die Arbeit von Initiativen und Bündnissen bereit zu stellen, ist Ausdruck dieser Ächtung. Doch all diejenigen, die – interessiert und engagiert – im Land unterwegs sind, müssen immer noch erfahren, dass viele kommunale politische Entscheidungsträger oder Landespolitiker das bestehende Problem nicht benennen wollen, obwohl Rechtsextremismus und Rassismus Alltagserscheinungen sind. Nicht selten dominieren in den Alltagsgesprächen von Bürgern und Bürgerinnen Vorurteile und politische Wunschbilder, die den rechtsextremen Vorstellungswelten nahe kommen. Die drohende Hegemonie rechtsextremer Werteorientierungen, zum Teil auch rechtsextremer Strukturen wird als Normalität und nicht als Gefahr begriffen. Dementsprechend ist oft die Thematisierung von Rechtsextremismus in einer konkreten Region das Problem. Bestenfalls wird ein Imageproblem konstatiert. Wenn rassistische Angriffe nur verurteilt werden, weil diese ausländische Firmen abschrecken könnten und gleichzeitig keinerlei Auseinandersetzung mit einer unzureichenden Migrationspolitik oder der systematischen Ausgrenzung von Flüchtlingen zu spüren ist, sollte man von einem verzerrten Demokratieverständnis sprechen. Demokratisch heißt auch immer menschenrechtsorientiert und partizipatorisch.

Muss daher nicht manchmal vom Defizit der Demokraten gesprochen werden?

In mancher Region, manchem Stadtgebiet, mancher Verwaltung ist der Zustand der Demokratie allzu oft das Problem. Dort wo der Rückzug der Demokratie spürbar ist, Räume frei werden, wird es den Rechtsextremisten ermöglicht, ihre Strategien zu erproben und auch erfolgreich zu sein. Voraussetzung für jede Gegenstrategie ist eine klare Benennung von Problemlagen und eine differenzierte Analyse der Region oder Kommune. Das Thema, mit dem wir es zu tun haben, heißt Rechtsextremismus und Rassismus. Rechtsextreme und rassistische Werte, Kultur und Strukturen bestimmen – gerade im ländlichen Raum – vielerorts den Alltag! Daher muss die Auseinandersetzung im Alltag ansetzen. Dort gilt es, rechtsextremen Äußerungen entgegenzutreten, rechtsextreme Propaganda zu verhindern, ihren Organisationen und Gruppen keine Räume, Clubs oder Kneipen zur Verfügung zu stellen, Straftaten anzuzeigen, bei Bedrohungen einzuschreiten und Stellung zu beziehen. Um dies umzusetzen, muss eine Auseinandersetzung mit völkischnationalen Inhalten geführt werden.

Dringend nötig ist eine fachliche Position zu politischen Themen wie beispielsweise Menschenrechte, das Recht auf Asyl, Rassismus und Demokratie; und natürlich zu sozialen Fragen und Themen der Globalisierung. Diese Themen beeinflussen das politische Klima vor Ort stark.

Die Verantwortung zur Auseinandersetzung liegt sowohl auf Seiten der Politik als auch auf Seiten der Zivilgesellschaft.

Das Aktionsbündnis kann durch seine Eigenständigkeit entsprechende Prozesse vernetzen und fördern. Denn ohne einen Zuwachs an Demokratie auf allen Ebenen beziehungsweise das gewissenhafte Buchstabieren der Demokratie werden auch die besten Konzepte gegen Rechtsextremismus nicht greifen können.

Anmerkungen
1 Gisela Rüß: Handlungskonzepte – Aktionspläne – Netzwerke – Initiativen (Ansätze zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg), Lokaler Aktionsplan Potsdam, 2004.

Literatur
Decker, Oliver/Brähler, Elmar/Geißler, Norman: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, Berlin 2006.

Frindte, Wolfgang/Preiser, Siegfried: Präventionsansätze gegen Rechtsextremismus, in: Parlament, Beilage zu „Aus Politik und Zeitgeschichte“ Nr. 11/2007.

Grumke, Thomas/Klärner, Andreas: Rechtsextremismus, die soziale Frage und Globalisierungskritik. Eine vergleichende Studie zu Deutschland und Großbritanien seit 1990, Berlin 2006.

Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 5, Frankfurt am Main 2007.

Rüß, Gisela: Handlunskonzepte – Aktionspläne – Netzwerke – Initiativen (Ansätze zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg). Lokaler Aktionsplan Potsdam, Potsdam, 2004


Mehr über das Brandenburger Aktionsbündnis: >klick

Lesen Sie dazu auf MUT
: Brandenburgs Innenminister Schönbohm über Rezepte gegen Rechtsextremismus: >klick

Der nächste öffentliche Termin des Bündnisses in Brandenburg:

18. Dezember Potsdam: "Wie weiter mit dem Rechtsextremismus in Brandenburg?" Es diskutieren u.a. Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Brandenburgs Innenminister Schönbohm und Vertreter aller demokratischen Parteien.

Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien und Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung treten, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de 27.11.2007. Das Titelfoto entstand 2005 in Halbe (Bürger aus der Umgebung blockierten aufmarschierten Neonazis den Zugang zum örtlichen Soldatenfriedhof so lange, bis diese resignierten). Aufnahme: H.Kulick.

 

 

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Bürgerblockade in Halbe 2005