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"Bitte keine Demokratiefeste mit Bratwurst und Ballons mehr"

Zum Abschluss der Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Thüringen“ nutzten in Gera Initiativen, Bürgerinnen und Bürger sowie Vertreter der Stadt Gera und des Landes die Gelegenheit, sich zu vernetzen. Das Seminar war eine Kooperationsveranstaltung des Landsbüros Thüringen der Friedrich Ebert Stiftung mit der Amadeu Antonio Stiftung.
  
„Das Hauptziel, den Wiedereinzug der NPD in den Erfurter Landtag zu verhindern, haben wir zusammen mit der Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Thüringen“, dem vielfältigen Engagement der zivilgesellschaftlichen Initiativen und der demokratischen Parteien erreicht“, so Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, der sich noch einmal bei allen Initiativen und Projekten, die sich im Rahmen der Kampagne gegen rechtsextreme Strukturen in Thüringen eingesetzt hatten und der Stiftung Umverteilen, bedankte.
 
Rechtsextremismus in Thüringen hat mehrere Gesichter
Der Leiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) Uwe Schubert gab zu Beginn einen kurzen Überblick über Rechtsextremismus in Thüringen: Dieser hat mehrere Gesichter. Einmal das der biederen NPD-Funktionäre, die sich auf ihren Wahlplakaten oftmals nicht von demokratischen Parteien unterscheiden lassen. In diesem Zusammenhang wies Schubert auf die zahlreichen kommunalen Mandate hin, die die NPD in Thüringen erringen konnte. Angesichts dieser Tatsache stellt sich vermehrt die Frage, wie mit Rechtsextremen in Landesparlamenten, aber auch Kommunal- oder Stadträten umzugehen ist. Das andere Gesicht der Neonazis zeigt sich auf den vielen rechtsextremen Großveranstaltungen mit Prominenten aus der Szene. In Gera hatten im Juli 4000 Neonazis bei „Rock für Deutschland“ gefeiert, wo unter anderem die bekannteste Nazi-Band, „Lunikoff Verschwörung“ aufgetreten ist. In der Öffentlichkeit weniger präsent ist die Ausbreitung rechtsextremer Alltagskultur. Vermehrt treffen sich Neonazis etwa zu Kampsportübungen oder unterwandern die örtlichen Feuerwehren.
 
Bitte keine Demokratiefeste mit Bratwurst und Ballons mehr
In der anschließenden Diskussion wurde eine Reihe von Problemen angesprochen, denen die Initiativen bei ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus begegnen. Vielerorts wird immer noch negiert, dass es Probleme mit Neonazis gebe. Als Beispiel wurde genannt, dass immer noch der rechtsextreme Hintergrund von Straftaten unter den Teppich gekehrt werde. Die anwesenden Opferhilfen THO und AufandHalt machten deutlich, wie schwer es sei, überhaupt von Opfern rechtsextremer Gewalt zu erfahren und diese dazu zu bewegen, mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein Streitpunkt war die Frage, welche Rolle Politik und Behörden bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus spielen können und müssen. Christiane Neudert, Sozialdezernentin der Stadt Gera, sah bürgerschaftliches Engagement als Grundvoraussetzung für den Erfolg rechtlicher Schritte und den Einsatz der Stadt. „Wir können nicht alles richten.“ Heftigen Widerspruch erntete sie für dieses Statement von anwesenden Initiativen. Ein Blick ins bayerische Wunsiedel, aber auch nach Jena zeige, dass Städte und Kommunen vielfältige Möglichkeiten nicht nur im rechtlichen Bereich hätten, sich aktiv gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Einig war man sich, dass Demokratiefeste mit Bratwurst und Ballons nicht den gewünschten Erfolg gegen Nazidemos und –festivals gebracht hätten. Ziviler Ungehorsam sei stattdessen das Gebot der Stunde. Das Beispiel Jena zeige, wie schnell man Erfolge erzielen könne, wenn sich auch der Bürgermeister zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt auf die Straße setze. Davon sei man in Gera im Moment weit entfernt. Eine Zusammenfassung der Diskussion in Form von 14 Forderungen an die Politik finden Sie hier.
 
Impulse für das Thüringern Landesprogramm gegen Rechtsextremismus
Heiko Gentzel, innenpolitischer Sprecher der Thüringer Landtagsfraktion der SPD, betonte in der Diskussionsrunde zum Thüringer Landesprogramm gegen Rechtsextremismus., dass der neue Landtag als eine der ersten Handlungen einen gemeinsamen Aufruf gegen Rechtsextremismus verabschiedet hat, der nicht auf einem Minimalkonsens beruhe. Auch zum Verbot der NPD habe man ein eindeutiges, fraktionsübergreifendes positives Votum abgegeben. Ziel des Landesprogramms müsse einmal die Prävention, zweitens der Aufbau verlässlicher Strukturen gegen Rechtsextremismus sein. Anetta Kahane zeigte sich erfreut über die Entscheidung für ein Landesprogramm, betonte aber, dass das Phänomen Rechtsextremismus in Thüringen seit langem erkannt sei und es „jetzt endlich ums Handeln“ gehen müsse. Gentzel versprach einen Etat für das Landesprogramm, der mindestens dem des Landesprogrammes von Mecklenburg-Vorpommern in Höhe von 1,4 Millionen Euro entspräche. Peter Reif-Spirek von der Landeszentrale für politische Bildung betonte, dass Programm müsse vor allem im ländlichen Raum ansetzen, beispielsweise durch den Aufbau von Regionalzentren für Demokratie. „Initiativen sollen nicht ihre Blockadetechniken perfektionieren, die Frage ist vielmehr, wie sie sich kommunalpolitisch einbringen können,“ sagte er mit Blick auf die vorangegangene Diskussion. Das mecklenburg-vorpommerner Programm einfach abzukupfern sei nicht der richtige Weg, Patentlösungen für ein ganzes Bundesland gebe es darüber hinaus nicht: „Man muss sich die Struktur vor Ort genau ansehen und entsprechend reagieren.“ Im Bildungsbereich sahen die Diskutanten die Schulen verstärkt in der Pflicht. Diese müssten ihre institutionelle Verantwortung wieder auf- und innerschulische Demokratie ausbauen. Ulrich Ballhausen von der Europäischen Jugendbildungs- und Begegnungsstätte Weimar regte eine engere Kooperation zwischen Schulen und Initiativen an. Abschließend ergänzte Timo Reinfrank, um die Maßnahmen im Landesprogramm sinnvoll zu strukturieren, sei eine umfassende öffentliche Bestandsaufnahme bestehender Initiativen und Programme notwendig, die nicht hinter verschlossen Türen stattfinden soll, sondern mit der Zivilgesellschaft zusammen. Das Land Berlin beispielsweise habe anfangs im Rahmen einer Landeskonzeption geklärt, was im Verantwortungsbereich der einzelnen Landesverwaltungen bereits zum Thema Rechtsextremismus passiere, damit die Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht nur in der Zivilgesellschaft stattfindet, sondern auch in den Ministerien der Landesregierung und in den Regeldiensten des Staates, wie der Schulverwaltung, der Jugendhilfe oder der Polizei.
 

 
Foto: ralpe (Creative Commons); Text: Verena Haßler

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Bratwurstfest für Demokratie