Von Marek Voigt
"Antisemitismus ist etwas zähes, klebriges", dem sich Medien mit sehr mehr Nachdruck und Kontinuität widmen müssten, appellierte Bundestagsvizepräsident bei der Eröffnung der diesjährigen Aktionswochen gegen Antisemitismus in der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Zugleich drückte er den Startknopf für den Relaunch des MUT-Portals, dem er diese wichtige Kontinuität in der Berichterstattung attestierte.
Dass jüdische Friedhöfe, Gedenkstätten und Stolpersteine geschändet werden, dass antisemitische Sprüche an Häuserwänden auftauchen oder die NS-Zeit verherrlicht wird, gehört zum Alltag in Deutschland. Diesem Alltag wollen die Initiativen, die sich an den Aktionswochen gegen Antisemitismus beteiligen, etwas entgegensetzen. Mit über 150 Veranstaltungen in mehr als 70 Orten in allen Teilen Deutschlands können die Aktionswochen, die in diesem Jahr bereits zum vierten Mal stattfinden, einen neuen Beteiligungsrekord vermelden.
Die Initiativen, die an den von der Amadeu Antonio Stiftung organisierten Aktionswochen teilnehmen, führen in Gedenkveranstaltungen, Theater- und Filmaufführungen, Zeitzeugengesprächen und Lesungen die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung und heutigen Erscheinungsformen des Antisemitismus.
Beispielhafte Projekte
In Wurzen beteiligt sich das Netzwerk für demokratische Kultur e. V. mit einer Veranstaltungsreihe. Zur Eröffnung gibt es eine Lesung mit jüdischen Autoren und ein Konzert mit einer Klezmer-Gruppe aus Leipzig. Mit einer szenischen Lesung des Stücks „Der Kick“ wird an den Mord an Marinus Schöberl erinnert, der 2002 im brandenburgischen Potzlow von Rechtsextremisten zu Tode gequält wurde, weil er sich wie ein Hip-Hopper kleidete. In einer dritten Veranstaltung liest Niklas Frank, der Sohn des Generalgouverneurs im besetzten Polen Hans Frank, aus seinen Büchern. In "Der Vater. Eine Abrechnung" und "Meine deutsche Mutter", setzt er sich mit den Verbrechen seiner Eltern während des Nationalsozialismus auseinander.
Der Jugendring im westfälischen Hagen organisiert am 9. November einen Sternlauf unter dem Motto „Lass dir nix erzählen – geh deinen Weg für Toleranz und Demokratie“. Nach dem Besuch des Films „Edelweißpiraten“ wollen die Schülerinnen und Schüler mit selbstgestalteten Transparenten durch die Innenstadt Hagens ziehen, wo vor 69 Jahren der Nazimob tobte. Für die Abschlusskundgebung haben die Jugendlichen Musik- und Theaterstücke vorbereitet. Anschließend lädt die Jüdische Gemeinde in die Synagoge ein.
Neue Publikationsreihe
Die Organisatoren nahmen die Eröffnung der Aktionswochen zum Anlass, eine Studie in der neuen Publikationsreihe „Analysen“ der Amadeu Antonio Stiftung zu präsentieren. Hier werden in lockerer Folge Untersuchungen zu den Stiftungsthemen Antisemitismus, Rechtsextremismus und weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit veröffentlicht, die aus der Praxis heraus entstanden oder für sie gedacht sind. Den Anfang der neuen Reihe macht die Broschüre „Ich habe nichts gegen Juden, aber … – Ausgangsbedingungen und Perspektiven gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit gegen Antisemitismus“ von Prof. Dr. Albert Scherr, Soziologe an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, und der Sozialwissenschaftlerin Barbara Schäuble. Die Autoren beschäftigen sich mit einer bisher wenig beachteten Frage: Wie können Mitarbeiter der Bildungsarbeit auf Antisemitismus bei Jugendlichen reagieren, die sich selbst als nicht antisemitisch verstehen? Eine Schlussfolgerung der Autoren: Ziel der pädagogischen Arbeit muss es sein, die Jugendlichen mit nicht-antisemitischer Grundhaltung zu befähigen, sich fundiert mit Antisemitismus auseinanderzusetzen und ihn auch zu erkennen, wenn er in modernem Gewand, etwa bei Thematisierungen des Nahost-Konfliktes, auftritt.
MUT in neuem Gewand
Rechtzeitig zur Eröffnung der Aktionswochen gibt die Redaktion von
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de den Relaunch des Internetportals bekannt. Die f
ünf neuen Rubriken News, Debatten, Service, Projekte und Videos gliedern die Seite übersichtlich. Der Relaunch wird zu mehr Interaktivität beitragen, z. B. besteht die Möglichkeit, eigene Kommentare zu den Artikeln hinzuzufügen. In der neuen Rubrik Videos können Filme gegen Rechtsextremismus angesehen werden. Das Internetportal, das gemeinsam von der Amadeu Antonio Stiftung und dem Magazin
stern getragen wird, ist die zentrale Anlaufstelle zum Thema „Rechte Gewalt“ in Deutschland. Die Seite, die von bis zu 150.000 Zugriffe im Monat verbucht, bietet Hintergrundinformationen und tagesaktuelle Berichte über Rechtsextremismus und stellt Projekte vor, die sich vorbildlich für eine demokratische Kultur engagieren.
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