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Lesetipp: "Wir haben ein Problem"

"Extrem hingesehen: Neonazis auf den Straßen, die NPD in Landtagen, braune Gedanken in zu vielen Köpfen – wie reagiert Deutschland? Wegleugnen unmöglich, Dialog schwierig, Handeln gefragt. Wenn Nazis die Gesellschaft herausfordern …". Mit diesen Worten wirbt eine lohnende neue Fachwebsite der Konrad Adenauer Stiftung um mehr Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus, das in CDU-nahen Einrichtungen bislang eher unterbelichtet war. Der Titel: Blick auf Rechtsaußen...

Von Holger Kulick

Jetzt hat sich die Journalisten-Akademie der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung (KAS) überraschend intensiv des Problemfelds angenommen. 13 Stipendiaten der Journalisten-Akademie haben zehn Tage lang im Rahmen eines Seminars „Praxiskurs Multimedia 2008“ in Schwerin Wissenschaftler, Politiker und Journalisten über Rechtsextremismus interviewt, auch die MUT-Redaktion wurde dazu eingeladen. Das Seminar-Ergebnis ist nachlesenswert. 

Inhaltlich ging es den Macherinnen und Machern vom 'Blick auf Rechtsaußen' vor allem um die Frage, "wie wir in unserer Gesellschaft mit Rechtsextremismus umgehen sollten, müssten", so lautet eine Selbstbeschreibung der KAS. Herausgekommen ist ein  facettenreiches Online-Dossier mit Reportagen, Porträts, Interviews und Definitionen - von Äpfelfront bis zum Stichwort Zivilcourage. Um alle Aspekte auch in der Form abwechslungsreich unterzubringen, hat die junge Journalistencrew eine eigene Website kreiert: extremismus.journalisten-akademie.com". Dort wird das Themenfeld Rechtsextremismus (das zunächst nur mit dem Arbeitstitel Extremismus betitelt wurde...) in vier umfangreichen Kapiteln erfasst:

1.) Gesellschaft - Sind die Rechtsextremisten in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Während die Experten noch streiten, werben die Rechtsextremen um Jugend, Frauen, und um ganze Dörfer.

2.) Politik - Die NPD sitzt im Landtag – was wollen die Feinde der Demokratie im Parlament? Wie gehen Politik und Medien damit um? Ignorieren, widerlegen, verbieten?

3.) Ausstieg - Hitler und Hakenkreuz aus dem Kopf verbannt. Weg von Kameraden und Gemeinschaftskult. Und jetzt? Sie zweifeln an sich und der ganzen Welt: Aussteiger aus der Nazi-Szene.

4.) Zivilcourage - Die einen wollen mit Satire den rechtsextremen Feind entlarven. Die anderen sind Opfer, geben nicht auf, zeigen Gesicht. Informieren, diskutieren, provozieren.

5.) Fakten: Wer beim Thema Rechtsextremismus mitreden will, sollte die Fakten kennen. Was ist Rechtsextremismus? Wo kommt er vor? Und wo führt er hin?

Wer Denkanstöße sucht, kann auf der neuen Website gut fündig werden. Nachstehend  Ausschnitte aus vier Textbeispielen:

Interview aus Bötzow "Die Angst bleibt"
Interview aus Bötzow "Die Angst bleibt"


In der Reportage "Wenn die Angst bleibt" von Marcel Haag schildert der Pakistani Saqib Mahmood, wie im Sommer 2007 ein ausländerfeindlicher Mob nach einem Stadtfest seinen Imbiss zerstörte und anschließend in seine Wohnung eindringen wollte und welche Ängste er seitdem mit sich trägt ("Ich bin hier in Bützow noch nie in die Kneipe gegangen. Ich habe Angst“). Nur vier von den rund 50 Randalierern, die Mahmoods Imbiss im vergangenen Jahr nach dem Stadtfest verwüstet haben, wurden gefasst und verurteilt. Auch das besondere Engagement der örtlichen Pfarrerin gegen Rassismus wird lehrreich beschrieben („Wir wollen den Rechtsextremen vor allem vermitteln, dass sie nicht in der Mehrheit sind“). Ihr Thema ist auch, wie andere das unterstützen könnten:

"Zeichen gegen Rechtsextremismus setzte beispielsweise der TSV Bützow. Er ließ alle seine Mitglieder eine Verpflichtungserklärung gegen Gewalt und Rassismus unterschreiben. Ein paar haben daraufhin den Verein auch verlassen, weil sie das nicht unterschreiben wollten. Als eine rechtsextreme Hochburg sieht die Pastorin Bützow aber nicht. Gleichwohl sieht sie, dass die Clique von rund 20 Rechtsextremen im Ort fest verankert ist. „Beim Stadtfest beispielsweise waren sie schon am Nachmittag da. Ihre T-Shirts mit rechtsextremen Parolen erregten kein Aufsehen, wurden nicht beachtet.“"
Artikelausschnitt mit Foto hakenkreuztatoo
Artikelausschnitt mit Foto hakenkreuztatoo

Extrem eindrucksvoll auch die Sammlung von Impressionen im Reportagetext von Anna Kuhn-Osius "Am Rand der Republik" aus Anklam. Leseprobe:

"Ein lauter Knall, Rauch steigt auf. Es stinkt nach Schwefel. Felix grinst. Der 14-Jährige steht auf der Hauptstraße in Anklam und zündet Böller. „Ist ja sonst nichts los hier“, sagt er. Er nestelt mit dem Feuerzeug zwischen seinen kurzen, schmutzigen Fingern mit den abgekauten Nägeln. Auf seinem linken Unterarm eine deutliche Narbe: Ein Hakenkreuz.
Er wollte seine Lehrerin ärgern, sagt er leise. Hat sich das Kreuz auf dem Jungenklo mit einem Bleistift in die Haut tätowiert. Warum? Felix winkt ab. Er schämt sich.

Felix ist kein Nazi. Die verprügeln ihn, haben ihm die Nase gebrochen. Weil er nicht richtig gehen kann. Hinter ihm donnert ein tiefergelegter Golf über die Anklamer Hauptstraße. Ohrenbetäubende Musik röhrt aus den heruntergelassenen Fenstern. Der Fahrer mit Glatze schreit etwas zu Felix, das Heulen des Motors übertönt die Worte. Felix zuckt zusammen. Er weiß: Er ist gemeint. „Nazis“, sagt er leise. „Nazi-Musik“. Und verdeckt mit seiner Kinderhand das Hakenkreuz auf seinem Arm...".



Ausschnittfoto Pastörs
Ausschnittfoto Pastörs


Dass guter Journalismus auch voraussetzt, mit denen zu reden, die Thema sind, machen Janos Burghardt, Sandra Petersen und Johannes Schneider deutlich in einem Interview mit dem Titel "Im System und doch dagegen". Ihr Gesprächspartner ist  Mecklenburg-Vorpommerns NPD-Fraktionschef Udo Pastörs, der es nicht unversucht lässt, seine indirekte Form von Holocaust-Leugnung aufzutischen. Im Text heißt es:

"Wie bekommt man so einen überhaupt zu fassen? Vielleicht so:  Die Leugnung des Holocausts ist in Deutschland eine Straftat. Pastörs darf ihn nicht abstreiten, er kann aber trotzdem zu verstehen geben, was er denkt. Es ist die letzte Frage an den neuen Nazi im Schweriner Landtag, die Frage nach dem Massenmord durch die alten Nazis. „Herr Pastörs, eine geschichtliche Frage zum Schluss“. Herr Pastörs lehnt sich zurück und lächelt. Er lächelt wie ein kleiner Junge, der sich Sprüche zurechtgelegt hat, um ein wenig die Menschen um ihn herum herauszufordern.

Er ahnt, was jetzt kommt. Doch nicht ob Juden vergast wurden, lautet heute die Frage, auf die er antworten soll, sondern mit was der Holocaust vergleichbar sei. Herr Pastörs antwortet - auf beides  „Überhaupt nicht vergleiche ich den Holocaust. Mit nichts ist der zu vergleichen, das ist doch das Fundament, auf dem diese Republik ruht, habe ich mir sagen lassen. Und ich würde doch den Teufel tun, hier mit ihnen etwas zu besprechen, wofür schon sehr viele Leute ins Gefängnis gegangen sind. Wir leben hier in einem Land, wo man dazu nicht seine Meinung sagen darf, das hat der Herr Friedman auch schonmal mit mir probiert, und ist grandios gescheitert. Ich habe ihm auf diese Frage geantwortet: „Bisher hat mir noch keiner dieses technische Verfahren erklären können, wie das vonstatten gehen soll.“

Ausschnitt mit Staatssekretär
Ausschnitt mit Staatssekretär

Für CDU-Verhältnisse nahezu revolutionär ist der Schluss, den aus alldem der Staatssekretär im Schweriner Innenministerium zieht, Thomas Lenz. Im Interview antwortet er auf die Frage:

Inwieweit hat Mecklenburg-Vorpommern ein Problem mit Rechtsextremismus? "Wir haben ein Problem - und das müssen wir ernst nehmen. Der Rechtsextremismus ist in ganz Deutschland wiedererstarkt. Allerdings zeigt sich das Problem hier in Mecklenburg-Vorpommern stärker als in anderen Ländern".

Zwar sieht er die NPD "noch nicht im bürgerlichen Teil der Gesellschaft angekommen", spürt aber, dass sie bereits am Wählerpotenzial der großen Volksparteien CDU und SPD nagt:

Was machen die großen Volksparteien falsch?
"Die Volksparteien, besonders CDU und SPD, haben hier mit großen strukturellen Problemen zu kämpfen. Wir haben deutlich weniger Mitglieder als im Westen. Es ist viel schwerer, die Menschen zu überzeugen, sich politisch zu engagieren. Deswegen müssen wir Politiker uns wieder mehr an die Bürger binden, auf die Menschen zugehen. Das haben die Volksparteien bisher versäumt – im Gegensatz zur NPD. Die geht zu den Bürgern auf die Straße und spricht sie mit inhaltsleeren Parolen an. Die Volksparteien dagegen warten in ihren Büros..."

Mehr auf der Website "Blick auf Rechtsaußen" der KAS-Journalisten-Akademie: www.extremismus.journalisten-akademie.com

Eine Empfehlung von www.mut-gegen-rechte-gewalt.de 

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Website Blick auf rechtsaußen