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Wunsch nach Stürmen der Entrüstung

Der November 2012 steht im Zeichen der Opfer von Naziterror: Der Aktionstag zum Jahrestag der Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds, die "Aktionswochen gegen Antisemitismus" und die Verleihung des "Sächsischen Förderpreises".

Von Anetta Kahane

Dieser November hat uns zu allen geschichtsträchtigen Gedenktagen einen weiteren beschert. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass eine Gruppe von Nazis unbehelligt jahrelang mordend durchs Land zog. Und da die Opfer Einwanderer waren, von denen die Täter wussten, dass die deutsche Gesellschaft sie nicht als die „ihren“ betrauern würde, kam es zu keinen Ermittlungserfolgen. Heute wird in mühevoller Kleinarbeit Skandal über Skandal abgetragen um am Ende herauszufinden, dass es tatsächlich wahr ist: Rassismus in Deutschland ist verheerend, wird nicht als Problem angesehen und kann deshalb auch nur schwer bekämpft werden. Manchmal wünschte ich, es gebe Stürme der Entrüstung über diese simple Tatsache. Ich wünschte, es gebe einen Commonsense in der Gesellschaft, auf dessen Grundlage wir vorankommen. Commonsense – also eine Übereinkunft dessen, was die moralischen Grundlagen einer Gesellschaft bildet – entsteht damit, Werte auszuhandeln, Probleme anzuerkennen und Konflikte wirklich einzugehen und auszutragen. Aber dieses Lavieren, dieses sich nicht festlegen, nicht klar sein können, macht Deutschland so anfällig für Rassismus und Antisemitismus. Es wird behauptet in diesen Fragen bereits einen Commonsense zu haben, nur um im nächsten Augenblick zu bestreiten, was im eigenen Umkreis an Diskriminierungen geschieht.

Vielleicht ist es wahr und man kann aus der Geschichte nichts lernen, aber erinnern sollte man sie in jedem Fall. Die Aktionswochen gegen Antisemitismus“ geben uns dieses Jahr wieder Anlass dazu. Und sie sind notwendig, denn Antisemitismus, das zeigen die Angriffe auf Juden ebenso wie die Statistik, ist nicht nur ein Wort, eine Erinnerung an die so genannte Reichspogromnacht, ein Diskurs über Geschichte, sondern Alltag in Deutschland. Und dass es heute wieder Nazis gibt, ist eine Schande. Und das Schlimmste am Rechtsextremismus, der gerade eine Radikalisierung erfährt, ist dass er noch immer durch Verweigerung, Verleugnung, Verharmlosung und Relativierung am Leben erhalten wird. Das sind seine Existenzbedingung und seine Lebensquelle.

Ohne diese Abwehr wäre er längst isoliert, vertrocknet und von ein paar Polizisten eingesammelt worden. Deshalb ist es so wichtig, Konflikte durchzustehen. Und ihnen dieses Wasser abzugraben. Deshalb loben wir gerade in Sachsen den „Sächsischen Förderpreis für Demokratie“ aus. Auch ohne die Landesregierung, die uns als zu wenig „neutral“ in der Sache betrachtet und eigentlich auch gern Projekte gegen Linksextremismus auszeichnen würde. Wenn es denn Linksextremismus gäbe. Nur um auch hier wieder abzuwehren, zu relativieren, den Konflikt nicht durchzustehen. Und so ist es nicht nur in Sachsen, so ist es fast überall in dieser verdrucksten Gesellschaft, die offenbar gerade wegen ihrer Geschichte, sich nicht zu sehr auf die Probleme von heute einlassen mag.

Dieser November steht für uns ganz im Zeichen der Opfer des Naziterrors des NSU. Wir denken an die Angehörigen und Freunde, die vor einem Jahr offiziell erfahren haben, was sie selbst schon lange vermuteten: die Täter haben aus Hass und Rassismus gehandelt. Und die Öffentlichkeit, die Behörden und die Gesellschaft wollten es nicht wahr haben.

Ich wünschte, es gebe Stürme der Entrüstung, einschließlich einer kritischen und offenen Selbstbetrachtung. Es müsste ein Sturm sein. aber es ist nur lauer Wind.

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