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Insgesamt 200 Asylsuchende sollen in Wolgast untergebracht werden, die ersten 24 kamen Ende August in die nordostdeutsche Stadt. Ein freundliches Willkommen wurde ihnen nicht bereitet. Im Gegenteil, wie ein Bericht des NDR-Magazins Panorama zeigte. Jetzt wehrt sich die Stadt gegen diese „verzerrte, wirklichkeitsfremde, falsche und verletzende Darstellung“.
Von Ulla Scharfenberg
„Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigen Land!!!“ – Unbekannte sprühten diesen Spruch an die Wand des Plattenbaus, in dem die Asylsuchenden zukünftig leben sollen. „Das ist mit Recht“, sagt eine Nachbarin: „Ich find‘ das richtig, voll richtig“, erklärt sie und meint: „Wir sind doch sowieso schon fremd im eigenen Land. Reicht das nicht, dass die Kanaken hier sind?“
Die Anwohnerinnen und Anwohner im Stadtteil Wolgast-Nord stehen den neuen Nachbarn selten offen entgegen. Es heißt, für die Asylsuchenden seien die Wohnungen topsaniert worden, neue Küchen, neue Bäder, neue Waschmaschinen. „Die Deutschen müssen hier ausziehen und für diese Leute Platz machen“, ärgert sich die Anwohnerin, die sich bereits über „die Kanaken“ aufgeregt hat. Der Bürgermeister von Wolgast, Stefan Weigler, rechtfertigt sich vor der empörten Anwohnerschaft, er zeigt dem Panorama-Team eine der Unterkünfte, in der zukünftig eine Flüchtlings-Familie leben soll. Zwei kleine Tische, vier Stühle, ein Etagen-Bett aus Stahl und ein Metall-Spint. „Kein Fernseher, kein nichts“, betont Weigler: „Von Luxus kann hier keine Rede sein.“
„Wenn sie die in ganz Wolgast verteilt hätten, dann wär‘ es ja nicht so das Problem, aber in einem Block...“, meint ein Jugendlicher, ein anderer ergänzt: „Laut Gerücht, also das was sie hier rumerzählen, wollen sie den Block anstecken.“ Gerd Hamm vom Landkreis Vorpommern-Greifswald hält Wolgast-Nord für einen idealen Ort für die Unterbringung der Flüchtlinge: „Für mich, ganz deutlich, ist der Standort aus meiner Sicht sogar einer der besten, die wir finden konnten, weil er mitten im Leben ist, mitten in einer Stadt und nicht irgendwo draußen...“
Die Bedrohung für die Asylsuchenden ist real, bereits in der ersten Nacht nach Ankunft einer Gruppe Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Iran und der Türkei, grölen junge Männer vor dem Wohnblock, es fliegen Steine und Flaschen. Mit Beginn der Dämmerung verlässt keiner der Asylsuchenden mehr das Haus, die Angst ist groß. An einem anderen Tag beschallt ein Anwohner die gesamte Nachbarschaft mit rechtsextremer Musik. „Zick, Zack Kanakenpack“ dröhnt zwischen den Wohnblöcken. Die Flüchtlingskinder tanzen dazu, sie verstehen die grausamen Texte nicht.
Der Bürgermeister glaubt „Rostock-Lichtenhagen wird sich nirgendwo wiederholen in Deutschland. Also davon bin ich fest überzeugt.“ Nach einer Pause fügt er dann aber doch hinzu: „Hoffentlich… Hoffentlich.“
Es sind eindringliche und erschreckende Bilder, die das Team von Panorama in Wolgast-Nord gedreht hat. Auch die Stadt Wolgast und ihr Bürgermeister sind erschrocken, allerdings aus einem anderen Grund: „Es ist erschreckend, das ein durch öffentliche Gebühren bezahlter Sender durch solche Berichterstattung dazu beiträgt, diesen Mob aufzufordern, ihr Unheil weiter zu betreiben. Statt sachlicher Berichterstattung werden weite Teile der Bevölkerung verunglimpft. Statt Aufklärung wird Hetze betrieben und so die Menschen in einer Region noch weiter verunsichert, die in derartig wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken“, heißt es in einem offenen Brief. Die Reportage sei „eine einseitige, verzerrte, wirklichkeitsfremde, falsche, verletzende und beschämende Darstellung der Sachlage“, findet Bürgermeister Weigler. Die Panorama-Redaktion reagiert wiederum in einem offenen Brief und erklärt: „Wir diskreditieren keine Stadt, sondern dokumentieren die Feindseligkeit und Bedrohung gegenüber den Asylbewerbern in einem Viertel. Dies zu dokumentieren, halten wir für unsere journalistische Pflicht.“
Die Stop-it Kampagne, ein Zusammenschluss von Flüchtlingen und antirassistischen Gruppen und Einzelpersonen, sorgt sich um die Unversehrtheit der Wolgaster Asylsuchenden und wand sich in einem offen Brief direkt an die Verantwortlichen der Stadt: „Was tun Sie dafür, dass sich die Flüchtlinge frei und ohne Angst in Wolgast und Umgebung bewegen können? Haben Sie Handlungsstrategien für akute Situationen erarbeitet?“, fragen Sie beispielsweise. Eine Antwort lässt bislang auf sich warten.