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Die guten vorurteilsfreien Patrioten sind ein frommer, empirisch widerlegter Wunsch. Wer sich über die Zugehörigkeit zur Nation definiert, ist anfällig für die Abwertung der anderen.
Von Michael Kraske, debattiersalon.de
Jetzt flattern sie wieder und verwandeln glanzpolierte und schrottreife Autos der Deutschen in Karikaturen von Staatskarossen. Pünktlich zur EM zeigt Deutschland wieder Flagge und käut damit einher gehend seine periodische Patriotismus-Debatte wieder auf. Die Grüne Jugend geißelte den „Party-Patriotismus“ als unreflektierte Glorifizierung des Nationalstaats und bezog dafür nicht nur von publizistischen Fahnenschwenkern Prügel, auch untereinander waren sich die Grünen nicht grün. Die schwarz-rot-goldenen Fähnchen im Wind sind tatsächlich eher ein ästhetisches als ein moralisches Problem. Richtig ist aber auch, dass Stolz hässliche Blüten treibt.
Die deutsche Debatte ist durchzogen von Antagonismen: Man ist entweder stolz oder antideutsch. Das sind scharfe, aber falsche Trennlinien. Die Fahnen am Auto sind zunächst ein Symbol der Identifikation. Mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, natürlich auch mit dem eigenen Land. Man drückt im Übrigen einer Nationalmannschaft die Daumen, in der nicht mehr nur Müllers spielen, sondern auch Spieler, deren Namen wie Özil, Khedira, Boateng oder Podolski für ein buntes, nicht für ein ethnisch homogenes Deutschland stehen. Seit Jahren jammern Neonazis eine rassistisch reine Nationalmannschaft herbei, die sich kein Fußball-Fan wünschen kann. Im Internet hetzen sie gegen den Mesut Özil, den begnadetsten deutschen Spieler.
Unverkrampfter Patriotismus?
Insofern kommen die schwarz-rot-golden bemalten Wangen der Fans tatsächlich dem viel beschworenen „unverkrampften Patriotismus“ nahe. Weitgehend ausgeblendet wird jedoch, dass im Zuge dieses Fußball-Patriotismus immer wieder Sieg-heil-Gröler das öffentliche Spiele-Schauen bevölkern; dass am Rande der Bierseligkeit Ausländer attackiert werden wie in Dresden geschehen. Das sagt nichts über die große Mehrheit der Deutschland-Fans, zeigt aber sehr wohl den schmalen Grat, auf dem der „unverkrampfte Patriotismus“ ausgleiten kann.
So einfach ist die Trennung zwischen gutem Patriotismus und bösem Nationalismus ohnehin nicht. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der Patriot zum Nationalismus neigt, also zur chauvinistischen Überhöhung. Die guten vorurteilsfreien Patrioten sind ein frommer, empirisch widerlegter Wunsch. Wer sich über die Zugehörigkeit zur Nation definiert, ist anfällig für die Abwertung der anderen. Nationalstolz ist per se exklusiv, er beinhaltet den Stolz, kein Türke oder Grieche zu sein, er schließt diejenigen aus dem „Wir“ aus, die nicht zur eigenen Nation gehören. Er zieht in einem Land bewusst ethnische Trennlinien.
Blinder Stolz
Identifikation mit seinem Land lässt hingegen Raum für positive Gefühle, aber auch für Kritik. Sie ist in der Lage, Stellung zu konkreten Zuständen zu beziehen, verträgt sich aber auch mit Werten wie Toleranz. Identifikation mit dem eigenen Land und Sorge um die pluralistische Demokratie schließen sich nicht aus, sondern gehen im Idealfall Hand in Hand. Das ist beim Stolz ganz anders. Stolz ist gefährlich. Er ist die unvermeidbare Lieblingskategorie der deutschen Identitäts-Debatte. Am Ende läuft diese stets auf die Frage hinaus: Darf ich stolz sein, ein Deutscher zu sein? Sollten nicht alle Deutschen stolz sein, Deutsche zu sein?
Eine Gegenfrage: Kann man überhaupt stolz auf eine Zufälligkeit sein? Ist es sinnvoll auf etwas stolz zu sein, für das man nichts kann? Man kann stolz auf eine bestandene Prüfung oder auf ein geschossenes Tor sein. Aber kann man stolz auf eine Abstammung sein? Auf eine Staatszugehörigkeit? Unter dem Label „Stolz“ werden in der öffentlichen Debatte die kleinen, aber wichtigen Nuancen zugekleistert. Die Zeit titelte kürzlich mit einem Zitat von Bundespräsident Joachim Gauck. Der antwortete auf die Frage, ob man auf Deutschland wieder stolz sein könne: „Ja, das ist wieder möglich.“ Das ist etwas ganz anderes als der Stolz, Deutscher zu sein. Stolz auf Deutschland bezieht sich auf Errungenschaften, Entwicklungen, Zustände der Gesellschaft. Dieser Stolz hat einen Wertmaßstab. Auch wenn es genug Gründe gibt, auf dieses Land nicht nur stolz zu sein, sondern sich für Zustände in diesem Land zu schämen. Dafür, dass sich Neonazis in vielen Regionen unter den Augen von Politikern, Kirchenvertretern und Nachbarn ungeniert austoben können. Dafür, dass nicht mal der Terror des NSU-Netzwerks das Land nachhaltig aufgerüttelt und Konsequenzen provoziert hat.
Der Stolz, Deutscher zu sein, ist blind. „Deutsch“ ist in diesem Konstrukt die einzige Bezugsgröße. Eine ethnische und exklusive, andere ausschließende Kollektiv-Eigenschaft. Kritik an Zuständen muss dieser Stolz als Nestbeschmutzung empfinden. Dieser Stolz ist ein Blutsbruder der Ehre. Beide, der Nationalstolze und der Ehrhafte sind leicht zu kränken, leicht reizbar, beide sind unempfindlich gegen den Verstand. Beide sind vormodern. Demokratie ist das Gegenteil. Sie ist aufgeklärt, vom Mythos des Stolzes befreit.
Legitimation für Diskriminierung
Ganz selten wird nach dem Warum gefragt. Was soll der Stolz uns eigentlich bringen? Nationalstolz wirkt homogenisierend. Er kann Unterschiede zwischen Oben und Unten, zwischen Ost und West einebnen. Doch mangelt es in Deutschland am Zusammengehörigkeitsgefühl? Und ist egal, was die Basis für einen stolzgeschwellten Schulterschluss ist? Seit Jahren messen Forscher im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung oder das Team um Wilhelm Heitmeyer rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen. Seit Jahren ist ein Drittel der Deutschen beinhart ausländerfeindlich eingestellt, ein weiteres Drittel latent, fast die Hälfte empfindet das Land als „in gefährlichem Maß überfremdet“. In Deutschland wird der Schulterschluss eines deutschen „Wir“ nicht zu schwach vollzogen, sondern in gefährlichem Maß zu stark. Die angsterfüllte Abgrenzung gegen alles Fremde und Nichtdeutsche, vom Islam bis zum Ausländer, der vermeintlich nur kommt, um das deutsche Sozialsystem auszunutzen, ist das geistige Gift, das unsensibel dafür macht, dass Ausländer oder Obdachlose aus rassistischem oder sozialdarwinistischem Menschenhass erschlagen werden. Auf diese Befindlichkeit zusätzlich Nationalstolz zu gießen, muss wie ein Brandbeschleuniger wirken. Stolz kann als Legitimation für Diskriminierung dienen.
Vielerorts verfestigen sich die Abehrreflexe gegen Fremde. In Leipzig soll derzeit eine große Sammelunterkunft für Asylbewerber durch diverse kleine Unterkünfte in verschiedenen Stadtteilen ersetzt werden. In öffentlichen Anhörungen bricht der offene Rassismus aus den deutschen Anwohnern heraus. Sie haben Angst vor Drogen, Beschaffungskriminalität, Krankheiten, Müll, Dreck und Lärm. Wie selbstverständlich werden Menschen, die als politisch oder religiös Verfolgte Schutz suchen, als Überträger allen denkbaren Übels gebrandmarkt. Es sind die gleichen Argumente, die vor 20 Jahren die ungeheuerliche Pogromstimmung in Rostock-Lichtenhagen befeuerten. Sie werden auch von Bildungsbürgern vorgetragen. Nicht in einem kleinen, hässlichen Nest irgendwo in der Provinz, sondern in einer modernen, lebenswerten, Kulturstadt. Der Vorzeige-Metropole des Ostens, die in Anlehnung an Goethe gern als „klein Paris“ beschrieben wird.
Heitmeyers Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit belegen, dass die Solidarität bei den Gutverdienern und Sorgenfreien seit Jahren gefährlich bröckelt. Das Ressentiment und das unverschämte Vorurteil sind längst integraler, oft nicht mal mehr problematisierter Kern der deutschen Gesellschaft geworden. Der Rassismus ist mitten unter uns.
Von Sommermärchen und trüben Tagen
Die Stolz-Debatte hat keinen erkennbaren Nutzen, im Gegenteil verhindert sie, dass die wirklich wichtigen Debatten geführt werden. Wir brauchen eine Toleranz-Debatte und eine Demokratie-Debatte. Wir brauchen keine Bewohner, die stolz sind, dass sie Deutsche sind, sondern welche, die aufpassen, dass dieses Land demokratisch bleibt. Wir brauchen keine Fetischisierung ethnischer Homogenität, sondern eine Strategie für einen Prozess, der dazu beiträgt, dass Abweichung von einer als deutsch verehrten Norm nicht als Gefahr erlebt wird, sondern als lebenswerte Normalität. Wir brauchen keine Kollektiv-Angsthasen, sondern gute Demokraten und gute Nachbarn.
Ja, sie sollen flattern die Autofahnen. Bemalt euch die Gesichter, hängt euch Papiergirlanden um den Hals und fahrt hupend durch die Straßen, wenn Jogis Jungs gewonnen haben. Schreit so laut Tor, dass es alle hören. Aber macht auch den Mund auf, wenn sie neben euch nur den rechten Arm heben und nach dem Sieg auch noch heil brüllen. Der Märchensommer der Fußball-WM in Deutschland mit seiner liebenswerten Leichtigkeit hat dieses Land nicht offener gemacht. Er war nur folgenlose Selbstvergewisserung: Ja, wir können nett sein und locker. Wir sollten nicht locker lassen. Nicht nostalgisch an das tolle Sommermärchen erinnern, sondern an Wintermärchen auch in trüben Tagen basteln. Auf einen krampfhaft unverkrampften Patriotismus können wir verzichten. Auf eine unverkrampfte Gesellschaft nicht.
Michael Kraske ist Journalist und Buchautor u.a. von "Und morgen das ganze Land - Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst; ein Insiderbericht" (Herder) sowie Mitbegründer des Politblogs debattiersalon.de. Michael Kraske wurde mehrfach für seine Berichterstattung über Ostdeutschland und Rechtsextremismus ausgezeichnet.
Wir danken Michael Kraske und www.debattiersalon.de für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung!