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Das Ende des freien Ungarns

„Ungarische Republik: 1989-2011”- so lautet eine Transparentaufschrift, welche am 2. Januar auf dem Andrássy Boulevard zu sehen war. An diesem Tag versammelten sich zehntausende Demonstranten und Demonstrantinnen, um gegen das Inkrafttreten der neuen Verfassung zu demonstrieren, die die rechtskonservative Fidesz-Partei am 23. April 2011 verabschiedete.
 
Von Fabian Sieber
 
Zeitgleich zu den Demonstrationen, fand in dem Budapester Opernhaus die Festveranstaltung zum Inkrafttreten der neuen Verfassung statt. Die neue Verfassung macht aus der „Republik Ungarn“ schlicht und einfach „Ungarn“, des Weiteren wurden die Rechte des Verfassungsschutzgerichtes beschnitten, die Unabhängigkeit der Justiz generell eingeschränkt. Ein mit Orbántreuen besetzter Haushaltsrat kann in Zukunft ein Veto gegen die Finanzpläne des Parlamentes einlegen und es damit auflösen. Auch ist die Präambel, die jetzt „Nationales Glaubensbekenntnis“ heißt, in nationalistischem Pathos nicht zu überbieten. So steht als erster Satz: „GOTT, SEGNE DEN UNGARN!“ (ungar. Isten, áldd meg a magyart!), und weiter unten: „Wir sind stolz darauf, dass unser König Stefan der Heilige vor tausend Jahren den ungarischen Staat auf feste Grundlagen gebaut hat und unsere Heimat zu einem Teil des christlichen Europas machte.“ Die KritikerInnen sehen in der Verfassung einen Abbau der Demokratie.
 
„Europas dunkelste Ecke“
 
Die Proteste wurden von einem breiten Bündnis verschiedener zivilgesellschaftlicher Initiativen, Oppositionsparteien und Gewerkschaften initiiert, darunter die soziale Bewegung „Ungarische Solidatität“ und die Parlamentsparteien MSZP (Sozialdemokraten Ungarns) und LMP (Grüne). Verschiedene RednerInnen, darunter auch Abgeordnete der Landesversammlung, dem ungarischem Parlament, kritisierten die Politik des Ministerpräsidenten Viktor Orbán, forderten ihn sogar zum Rücktritt auf. Der ungarische sozialdemokratische Abgeordnete Tibor Szanyi sagte, dass Orbán „und seine Handlanger Ungarn von einem vielversprechenden Platz in die dunkelste Ecke Europas“ verwandelt hätten.
 
Die Proteste werden von vielen Seiten begrüßt, direkt auf der Demonstration wurden Banner hochgehalten auf denen zur Rettung der Demokratie und Republik aufgerufen wurde. Des Weiteren wurde Regierungschef Viktor Orbán als „Viktator“ bezeichnet. In den staatlichen Medien wurde kaum von den Protesten berichtet, Fidesz-Abgeordnete haben von „wenigen tausend Verwirrten“ gesprochen.
 
Mit der neuen Verfassung und den am 23. Dezember beschlossenen Gesetzen hat sich im zum Jahreswechsel die Situation folgendermaßen verändert: Das Verfassungsgericht, in den vergangenen 22 Jahren der größte Schutz der Demokratie, ist quasi entmachtet worden. Ein Haushaltsrat, dessen drei Mitglieder allesamt Orbángetreue sind, kann die Landesversammlung auflösen, falls er nicht mit dem Parlamentshaushalt einverstanden ist. Die Unabhängigkeit der Notenbank und der Ungarischen Zentralbank wurden ebenfalls eingeschränkt. Auch der Leiter des staatlichen Justizamtes und der Oberste Staatsanwalt sind neu eingesetzt worden. Mehrere Ämter von VerfassungsrichterInnen wurden neu besetzt, natürlich ebenfalls mit Anhängern der Fidesz-Partei. Damit wird, KritikerInnen zufolge, die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt. Die verschiedenen Ämter wurden jeweils auf neun oder zwölf Jahre verliehen, nach Ablauf der Amtsperioden bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Parlament um die Ämter neu besetzen. Ansonsten verbleiben die Personen in ihren Ämtern. Damit können sie die Politik auch nach einer eventuellen Abwahl der Fideszpartei weiterhin erheblich beeinflussen. Eine Abwahl ist aber insofern unwahrscheinlich, als dass die Wahlkreise neu eingeteilt wurden, zum Vorteil der Fidesz-Partei.
 
Aber auch der nun verpflichtende Schutz für alle „ethnischen Ungarn“, die Möglichkeit ihnen die ungarische Staatsbürgerschaft zu verleihen und die Verpflichtung zum Schutz der ungarischen Kultur und Identität lassen insbesondere die Nachbarländer aufhorchen. Denn gerade diese Argumentationsstrukturen dienen ungarischen Ultra-Konservativen und Rechtsextremisten, welche auch in der Regierungskoalition vertreten sind, dazu, Grenzrevisionen zu fordern.
 
EU reagiert noch verhalten
 
Auch auf internationaler Ebene wird immer mehr Kritik an der Fidesz-Regierung unter Orbán laut. So äußerte sich der EU-Delegationschef der SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) Jörg Leichtfried gegenüber Ungarn, dass die Lage dort „immer dramatischer“ werde. „Ein Rechtsradikaler wurde unter Orbán Theaterdirektor in Budapest, der IWF muss das Land vor dem Bankrott retten und gewählte Abgeordnete der Opposition werden von der Polizei festgenommen“, so der Abgeordnete weiter. Die Abgeordneten wurden am 23. Dezember verhaftet, als sie sich aus Protest gegen die neuen Gesetze der Regierung vor dem Parlamentsgebäude festketteten. Vorher wurde von der Zweidrittelmehrheit der Fidesz ihre Immunität aufgehoben.
 
Auch die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton äußerte sich kritisch gegenüber der neuen Verfassung und den Fidesz-Gesetzesreformen. Sie sehe Ungarn auf dem Weg zu einem autoritären System. Orbán sieht das naturgemäß anders. In Ungarn werde „derzeit nicht einfach regiert, sondern es läuft eine Systemwende ab“, stellte Orban im Interview der Weihnachtsausgabe seines konservativen Leibblattes „Magyar Nemzet“ (dt. „Ungarische Nation“) klar. „Es findet der Abschluss des Post-Kommunismus statt. Das ist nicht einfach die Zeit nach dem Kommunismus, sondern eine Ära, ein System.“ 
 
Bisher reagierte die EU verhalten, jedoch soll am Freitag (6.1.) von der EU-Kommission über Maßnahmen beraten werden. In der Kommission wird geprüft, ob mit den beschlossenen Gesetzen und der neuen Verfassung gegen geltendes EU-Recht verstoßen wird. Jedoch gab es schon bei dem neuen Mediengesetz seitens der EU nur wenige Reaktionen. Mit diesem Gesetz wurde die Pressefreiheit in Ungarn de facto aufgehoben. Auch sind die Sanktionsmechanismen nur sehr begrenzt. Trotzdem sagte der französische Außenminister, Alain Juppe, dass die Kommission prüfen müsste, ob die Verfassung und die Gesetze mit den rechtstaatlichen und demokratischen Prinzipien der EU vereinbar sind.
 
Rechtskonservative Regierung seit Mai 2010
 
Die Fidesz-Partei ist seit Mai 2010 in Ungarn an der Macht. Bei den Parlamentswahlen errang sie 53 Prozent der Stimmen, womit ihr, nach dem ungarischen Wahlrecht (eine Mischung aus einfachen Mehrheits-, Listen- und Verhältniswahlrecht), eine Zweidrittelmehrheit im Parlament sicher war. In ihren Inhalten ist die Partei sehr stark an Autoritarismus und Nationalismus orientiert. Erwartungen von Wahlbeobachtern, dass die Partei ihre Kampfrhetorik und Inhalte mit der Regierungsverantwortung mäßigen würde, erfüllten sich bisher nicht. Im Gegenteil, Fidesz hetzt weiterhin gegen Roma und Oppositionelle.  Erste internationale Beachtung fand die neue Regierung damit, dass sie ein neues Mediengesetz verabschiedete, welches alle Medien unter die Kontrolle eines, von der Fidesz kontrollierten, Medienrates setzte. Damit wurde die Pressefreiheit eingeschränkt, das letzte noch kritisch berichtende Radio wird im März 2012 seine Frequenz verlieren. Mit der Verabschiedung der neuen Verfassung im April 2011, ohne maßgebliche Beteiligung von Opposition oder Bevölkerung, folgte die Partei weiter ihrem rechtskonservativen Kurs. Als letztes wurde im Dezember 2011 Obdachlosigkeit unter Strafe gestellt, es wird mit Geld- oder, alternativ dazu, mit Gefängnisstrafen belegt.
 

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Das ungarisches Parlamentsgebäude in Budapest, Foto: Civertan Grafikai Stúdió (via Wikipedia) cc