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Am Freitag, dem 24. April wird dem Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin, W. Michael Blumenthal, die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin verliehen. Anlass genug, um auf Blumenthals bewegtes Leben zurückzublicken. Als Junge musste Michael Blumenthal mit seiner Familie aus dem Berlin der Nazizeit fliehen. Das Hörbuch „Auf den Einzelnen kommt es an“ kreist in Gesprächen mit dem Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin um sein bewegtes Leben.
Von Elisabeth Gregull
Michael Blumenthals Stimme klingt ruhig, er spricht besonnen. Es ist, als ginge man mit ihm durch ein Museum seiner Erinnerungen, geführt durch eine besondere Perspektive auf die Etappen seines Lebens. Das Berlin seiner Kindheit, die Flucht der Familie ins Exil nach Shanghai, die Auswanderung in die USA. Dort legt Michael Blumenthal durch ein Wirtschaftsstudium den Grundstein für seine spätere Karriere: zunächst als Hochschullehrer, dann als Unternehmer und zwischenzeitlich auch als Finanzminister unter Jimmy Carter.
„In Deutschland, dem Land Deiner Geburt, hättest Du das als Jude nie geschafft.“
Mit diesen bitteren Worten gratuliert sein Vater Michael Blumenthal, als er 1976 zum US-Finanzminister ernannt wurde. Die Familie Blumenthal blickt in Deutschland auf eine 300jährige Geschichte zurück – unter ihren Vorfahren befinden sich bekannte Persönlichkeiten wie die Dichterin Rahel Varnhagen, der Opernkomponist Giacomo Meyerbeer und der Theaterkritiker Arthur Eloesser. Blumenthals Vater diente im Ersten Weltkrieg und erhielt das Eiserne Kreuz für seinen Einsatz. Der Verlust der Heimat und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft sind für den Vater eine weitaus schwerere Bürde als für Michael Blumenthal, der nur Nazi-Deutschland kennengelernt hatte. Er fühlt sich seit langem „durch und durch als Amerikaner“.
Das spürt man auch, wenn er über Fragen von interkulturellem Zusammenleben und Einwanderung spricht. Zum Beispiel kann er nicht nachvollziehen, dass Menschen, die seit 50 Jahren in Deutschland leben, immer noch als Ausländer bezeichnet werden: „Es fehlen die Bindestrich-Deutschen!“ So formuliert er im Hinblick auf die Vereinigten Staaten, wo es alle möglichen Kombinationen gibt: African-Americans, Italian-Americans, Polish-Americans – letztlich sind sie alle Amerikaner.
Ein Museum, das Geschichten erzählt
1997 übernimmt Blumenthal die ehrenamtliche Leitung des geplanten Jüdischen Museums und der Ausstellungskonzeption. Das erweist sich für das Haus als Glücksfall. Denn Michael Blumenthal will ein Haus für alle Menschen, nicht nur für Spezialisten. Seine Idee ist es, die Ausstellung nicht auf einzelnen Objekten basieren zu lassen, sondern Geschichten zu erzählen. Weil er das Museum zu einer „Heimstatt jüdischen Lebens“ machen will, soll es die deutsch-jüdische Geschichte der letzten 2000 Jahre umfassen. Das Museum soll Juden nicht nur als Opfer, sondern als gesellschaftlich aktive Menschen zeigen, die einen großen Beitrag zur deutsch-jüdischen Geschichte geleistet haben.
Dieser Grundgedanke zieht sich auch durch Blumenthals Buch „Die unsichtbare Mauer“ von 1998, in dem er anhand von sieben Biographien die Geschichte seiner Familie vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart erzählt. Das Hörbuch gewährt Einblick in die Gedanken von Blumenthal als Autor, seine Perspektive auf die Handlungen bekannter und weniger bekannter Persönlichkeiten. Letztlich spiegelt sich in ihren Lebenswegen eben auch die jeweilige Zeit in einer „Mischung aus der Umgebung und dem eigenen Leben“.
„Auf den Einzelnen kommt es an.“
Michael Blumenthal ist ein Mensch, der viel erfahren und gesehen hat im Leben – als Flüchtling in Shanghai, als Neu-Einwanderer in den USA, als Unternehmer, Politiker und engagierter Bürger. Sein Blick richtet sich immer wieder auf das Individuum. Denn eine wichtige Lehre aus seinen Erfahrungen sei, dass es „im Leben eben leider auch viele dumme und schlechte Menschen gibt. Und dass, wenn die in Positionen der Macht sind, sie normalen Menschen äußerst schaden können, ohne dass sie es oft verstehen. Und dass es dann auf den Einzelnen ankommt. Und dass in der Geschichte der Einzelne, der doch weiterhin moralisch denken kann und sich einsetzt für das Allgemeingut, viel Positives beitragen kann.“
Der Journalist David Dambitsch arbeitet beim Deutschlandfunk und ist unter anderem Berliner Korrespondent der Sendereihe „Shalom – Jüdisches Leben heute“, er führte mehrere Interviews mit Michael Blumenthal. Dambitschs Fragen klingen zum Teil etwas hölzern, was daran liegen mag, dass er die Gespräche in einem Zeitraum von elf Jahren durchgeführt und für dieses Hörbuch wohl neu zusammengestellt hat. Das Booklet bietet biographische Informationen, Fotos und Zitate von Michael Blumenthal und rundet damit ein sehr interessantes Hörbuch ab. Es zeigt das Lebenswerk eines Menschen, der dank der gelungenen Flucht aus Nazi-Deutschland und seiner Persönlichkeit ein bewegtes Leben führen konnte.
W. Michael Blumenthal / David Dambitsch: „Auf den Einzelnen kommt es an“ - W. Michael Blumenthal und sein Lebenswerk, Hörbuch, Music Alliance Membram, 24,99 Euro
Foto: Michael Blumenthal, von Sönke Tollkühn, Jüdisches Museum Berlin, c
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Elisabeth Gregull ist Fachjournalistin (DFJS), ihre Schwerpunktthemen sind Migration, Diversity und die Folgen der NS-Zeit. Sie arbeitet u.a. für die Online-Redaktion „Migration-Integration-Diversity“ der Heinrich-Böll-Stiftung.