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Ende Juni ist der Ausländerbeauftragte der brandenburgischen Stadt Schwedt nach Karlsruhe geflüchtet. Der gebürtige Mosambikaner hielt den Rassismus nicht länger aus. Nun lebt er sich in Baden ein.
Von Mathias Rittgerott, Karlsruhe, Artikelübernahme mit freundlicher Genehmigung von stern.de
Ibraimo Alberto sitzt in seiner kahlen Wohnung und denkt an seinen Freund Joao Manuel. "Er wurde ermordet. Vom Zug überrollt", sagt er. Aus der fahrenden Bahn wurde er hinausgeworfen auf die Gleise. "Von Rechten. Weil er schwarz war!" 1985 war das in der DDR, in der es offiziell weder Alt-Nazis noch Neo-Nazis gab.
Alberto, ein gebürtiger Mosambikaner, ist trotz des Mordes in der DDR geblieben. Dorthin war er gekommen, um zu lernen. "Daheim war ich jeden Tag 17 Kilometer zur Schule gelaufen", erzählt er. Er wollte kein Diener sein wie sein Vater und sein Opa. Er wollte einen richtigen Beruf ergreifen. Deshalb war er nach Ostdeutschland gezogen und hat den Beschwichtigungen der Polizei geglaubt, der Mord an Joao Manuel sei ein Einzelfall gewesen, Schwarze seien in der DDR sicher.
Doch jetzt ist Ibraimo Alberto vor dem Rassismus in Brandenburg, der sogenannten "kleinen DDR", geflohen. "Ich hatte Angst. Um meine Gesundheit. Meine Familie", sagt er. Er hatte das Ende der Kolonialzeit in Mosambik und den Untergang der DDR miterlebt. Sein Leben war geprägt von Umbrüchen. Und nun die Flucht.
Lange blieb er verschont - weil er ein Kämpfer war
Ibraimo Alberto war Ausländerbeauftragter in der Kleinstadt Schwedt. Das macht den Fall so aufsehenerregend. Ehrenamtlich habe er gearbeitet, betont Alberto. "Das war einigen ein Dorn im Auge. Die dachten: Der Schwarze kriegt Geld, und wir sind arbeitslos." Dabei hat Alberto vergeblich darum gekämpft, einen bezahlten Job zu finden.
48 Jahre ist er alt, seit 37 Jahren boxt er. Der "Uckermärkische Boxverein Schwedt 1948" war wie eine Heimat. Viele Kämpfe hat er für den Verein und die Stadt gewonnen. "Jede Woche stand mein Name in der Zeitung. Ich war prominent", sagt er. "Das hat mich geschützt." Als nämlich nach der Wende "Jagd auf Ausländer" gemacht wurde und gewisse Gebiete im Osten zu "No-Go-Areas" für Schwarze wurden, blieb er verschont. Sicherlich auch, weil er ein Kämpfer war.
Ein paar Mal hat er Rechte, die versucht hatten, ihn zu attackieren, vertrimmt und in die Flucht geschlagen. "Ich bin hart im Nehmen und kann austeilen", sagt er und lächelt dabei sogar. Schlimmer waren Beschimpfungen wie "Afrika für Affen". Gegen die war er machtlos.
Doch die Sorge wuchs mit jeder Attacke. Zwölf Mal hat er Rechte angezeigt, doch nie kam es zu einem Prozess. Seine Frau Birgit wurde wegen der ständigen Bedrohung depressiv. In der Stadt gibt man sich heute noch ahnungslos. Die Nöte der Familie seien "überspitzt" und "nicht nachvollziehbar". Als sein 17-jähriger Sohn bei einem Fußballspiel von einem Spieler als "Negersau" beschimpft wurde, wollte Alberto ihn schützen. "Negerhurensohn" habe ihn der Angreifer daraufhin angebrüllt. "Ich hatte Angst, dass der mich totschlagen will", sagt er. Niemand der 80 Zuschauer stand ihm bei. Da begriff er: Der Kampf ist verloren. Er muss hier weg.
Ein neues Leben in Karlsruhe
"In Karlsruhe ist alles anders", sagt Ibraimo Alberto. Er nennt Karlsruhe eine "fantastische Multikultistadt". Hier ist er nicht mehr der einzige Schwarze. "Ich bin in einen Bus eingestiegen und der Fahrer war schwarz." Für ihn eine Sensation. "Die Menschen sind freundlich zu mir. Ich hatte keine Probleme bei der Wohnungssuche." Hat er einen Job, auf den er sich beworben hat, nicht bekommen, so sei seine Hautfarbe nie der Grund dafür gewesen.
Ibraimo Alberto weiß, dass auch Karlsruhe nicht das Paradies ist. "Rechte gibt es überall", sagt er. Doch in Brandenburg sei der Rechtsextremismus alltäglich. "Viele schweigen dort, weil sie Angst vor den Rechten haben."
Karlsruhe kannte er von einem Kongress, den er vor zwei Jahren besucht hatte. "Rechts außen", hieß der. Das Namensschild von damals hat er aufgehoben. Diese gute Erinnerung hat ausgereicht, und die Familie ist auf der Suche nach einer Zuflucht hergekommen. Albertos Sohn hat sogar schon einen Ausbildungsplatz in der Sporttherapie gefunden.
Das neue Leben beginnt
Noch ist die Vier-Zimmer-Wohnung leer. Ein Gartentisch und vier Stühle stehen im Wohnzimmer. "Meine Frau muss noch Papierkram in Schwedt erledigen, dann kommt sie her. Und mein Sohn auch", sagt er. Er vermisst sie. Sein Handy klingelt. "Heute Abend kommt der Möbellaster", sagt er nach dem Telefonat freudig. Das neue Leben in Baden beginnt. Am Nachmittag trifft er sich mit seinem neuen Arbeitgeber. Ibrahim Alberto wird Behinderte betreuen.
In der Ecke des Wohnzimmers lehnt ein Bild an der Wand, das ihm seine Box-Kameraden geschenkt hatten. "Alles Gute" steht darauf. Alberto boxt jetzt für einen badischen Verein. "Als Sparringspartner motiviere ich andere", sagt er. Die Boxabteilung des Karlsruher SC ist seine neue Heimat.