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Am 18. September ist in Berlin Wahltag. Die heiße Phase des Wahlkampfes hat begonnen. Wie kämpfen die Parteien aus dem rechten Spektrum um Wählerstimmen, welche Ideen und Ziele stehen in ihren Wahlprogrammen und wie reagieren die etablierten Parteien?
Von Franziska Jung
Am Sonntag, den 18. September sind knapp 2,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner aufgefordert, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen ihre Stimmen abzugeben. Neben den etablierten Parteien CDU, SPD, FDP, Die Linke und Die Grünen sowie zahlreichen kleineren treten mit der NDP, Pro Deutschland und Die Freiheit gleich drei Parteien aus dem rechten Spektrum an. Obwohl sich diese stark in ihrer Geschichte, Struktur, Ideen und Zielen unterscheiden, eint sie offenbar ein zentrales Wahlkampfthema: Integration und Migration. Genauer eigentlich das Gegenteil, das Scheitern der „Integration“ und die daraus resultierenden Forderungen in ihren Wahlprogrammen. Außerdem ist ihnen im Kampf um Bekanntheit und Wählerstimmen scheinbar jede Methode recht, um zum Gesprächsthema zu werden. Alle drei erreichen dies hauptsächlich durch gezielte Provokation. Obwohl es wahrscheinlich weder die NPD noch Pro Deutschland oder Die Freiheit schaffen werden, die zum Einzug ins Abgeordnetenhaus nötigen fünf Prozent zu erreichen, könnten sie aufgrund der hier geltenden Drei-Prozent-Hürde in die ein oder andere Bezirksverordnetenversammlungen einziehen.
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDP)
Dies war bereits bei der letzten Wahl vor fünf Jahren der Fall. Damals verpasste die NPD mit 2,6 Prozent zwar den Einzug in das Abgeordnetenhaus, konnte aber in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Neukölln in die Bezirksverordnetenversammlung einziehen. Bei dieser Wahl tritt die NPD mit einer Landesliste, mit 17 Direktkandidatinnen und - kandidaten und in 11 von 12 Wahlbezirken an. Das Wahlprogramm bedient hauptsächlich die traditionellen Themen der Partei. Besonders Migrantinnen und Migranten bzw. Menschen, die als solche von der NPD identifiziert werden, werden zum Feindbild stilisiert, indem die althergebrachte Behauptung, sie nähmen Deutschen die Arbeitsplätze weg, aufgegriffen wird. Statt Integration fordert die NPD Abschiebungen, den Abriss aller Minarette und ein Ende des „antideutschen Gedenkstättenrummels“.
Im Wahlkampf setzt die NPD nicht auf ihr Wahlprogramm, sondern auf gezielte Provokation. Wahlplakate zeigen in rassistischer Manier Menschen, die auf einem fliegenden Teppich sitzen und darunter die Bildunterschrift „Guten Heimflug“. Ebenso demonstrativ provokant ist der Slogan „Gas geben“. Diese Wahlwerbung wurde auch in der Nähe des Jüdischen Museums und der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ platziert. „Geschmackloser und widerlicher geht es kaum“, sagt dazu Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden. Als „menschenverachtend und widerlich“ verurteilt diese Form der Wahlwerbung die CDU und auch SPD, FDP, Die Linke und Grüne äußern sich ähnlich. Inzwischen hat die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ gegen das Wahlplakat Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet.
Auch mit ihrem Wahlwerbespot sorgte die NPD für Aufsehen. „In ihrem Wahlwerbespot tritt die NPD offen rassistisch und mit falschen Zahlenangaben auf.“, so die Linke. Der darin verbreitete Eindruck, dass Migrantinnen und Migranten für den Hauptanteil der Straftaten verantwortlich seien, veranlasste den rbb dazu, die Ausstrahlung zu verweigern und bekam damit vor Verwaltungsgericht Berlin recht. Diese Entscheidung des Senders wird von den Grünen ausdrücklich begrüßt. Das Thema Migration macht die NPD auch in ihren Social Media Auftritten zum Thema. So postete Holger Apfel, NDP-Fraktionsvorsitzender in Sachsen am 18. Juli:
Foto: Screenshot, Facebook-Seite von Holger Apfel
Ob Holger Apfel diesen letzten Satz seines Postings aus Unverfrorenheit oder Unwissenheit zweckentfremdet zitiert, ist unklar. Denn der jüdische Maler Max Liebermann hatte diesen im Anbetracht des Fackelumzug der NSDAP am 30. Januar 1933 ausgesprochen und damit genau die gemeint, die ihn sich jetzt zueigen machen.
Mit 32 Kommentaren ruft dies die erwartete Reaktion bei den Facebook-Parteianhängerinnen und -anhängern hervor und besonders ein Kommentar ist mehr als bedenklich: "Ich bin dafür ,daß dieser bezirk umzäunt wird,als quarantäne-zone [sic!]", schrieb der User Mirko R. Diese rassistische Hetze und die Idee der Ghettoisierung sind Beleg, welche Meinung die NDP und ihre Anhängerinnen und Anhänger vertreten, denn Holger Apfel lässt die Gelegenheit zum Kommentar oder Widerspruch ungenutzt.
Bürgerbewegung Pro Deutschland
Die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pro Deutschland, die im Januar 2005 von der Bürgerbewegung Pro Köln gegründet wurde, tritt in Berlin erstmals zur Wahl an. Sie sind sowohl mit einer eigenen Landesliste, in 77 von 78 Wahlkreisen mit Direktkandidatinnen und – kandidaten als auch für alle 12 Bezirksverordnetenversammlungen breit aufgestellt. Unterstützung erhält die Partei von den Republikanern, die auf ihren Wahlantritt verzichteten und von der DVU, deren ehemaliger Landesvorsitzender sich Pro Deutschland angeschlossen hat.
Pro Deutschland bedient im Wahlkampf vor allem ein Thema: die Hetze gegen Migrantinnen und Migranten, wobei auch der Versuch, gezielt Angst zu säen, unternommen wird. Ähnlich wie die NPD sorgte auch Pro Deutschland bisher vor allem durch ihre Wahlplakate für Aufsehen. Ein Vermummter streckt unter dem Slogan „Hauptstadt der Angst? Nicht mit uns!“ seine linke Hand bedrohlich in Richtung des Betrachters. Ein anderes Wahlplakat wirbt neben einer durchgestrichenen Moschee unter dem Motto „Wählen gehen für Thilos Thesen“. Der Ex-Bundesbankmanager und frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte 2010 mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine deutschlandweite Debatte ausgelöst. Pro Deutschland wollte wohl nun von der Bekanntheit Sarrazins und der erhofften Zustimmung in der Bevölkerung zu dieser Meinung profitieren. Diese Wahlkampfstrategie begeisterte Sarrazin offenbar nur wenig. Das Berliner Landgericht untersagte diese Form der Wahlwerbung, weshalb der Name auf den Plakaten mit einem Aufkleber versehen wurde. Damit lautet der Wahlspruch nun „Wählen gehen für zensierte Thesen“. Dennoch konnte Pro Deutschland natürlich von der Berichterstattung über ihre Wahlplakate profitieren.
Weitere Aufmerksamkeit und Zuspruch erhoffte sich Pro Deutschland offenbar von der Durchführung eines sogenannten „Anti-Islamisierungskongresses“, der am 27. und 28. August in Berlin stattfand. Frank Metzger vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) resümiert: „Nach dem der sogenannte ‚Kongress' groß angekündigt worden war, hat Pro Deutschland bereits im Vorfeld die Erwartungen zurückgeschraubt. Bezüglich der als Höhepunkt geplanten Demonstration am Sonntag war zunächst von 1.000 zu erwartenden Teilnehmenden die Rede, ein paar Tage vorher schon nur noch von 500. Aber auch diese Schätzung stellte sich als übertrieben hoch heraus, denn letztlich waren nur etwa 100 Leute da. Zudem ist fraglich, ob abgesehen von einer Pressekonferenz, einer daran anschließenden provokativen, inszenierten Aktion und der Demonstration ansonsten überhaupt etwas und wenn ja was im Rahmen des ‚Kongresses' stattgefunden hat.“ Der „Anti-Islamisierungskongress“ weckte bei den Bürgerinnen und Bürgern nur wenig Interesse und weder durch die zahlreichen langen Redebeiträge noch mit der angekündigten „Aktion an einem Brennpunkt“ konnten potentielle Wählerinnen und Wähler erreicht werden. „Bei der Aktion von Pro Deutschland in Neukölln wurde unter dem Motto ‚Unsere Frauen bleiben frei‘ die Verhüllung einer Frau mit einer Burka inszeniert. Doch statt Zustimmung rief dies eine spontane Gegendemonstration mit 200 Teilnehmenden hervor, darunter zahlreiche empörte und wütende Migrantinnen und Migranten“, erläutert Frank Metzger. „Nachdem der sogenannte ‚Kongress' groß angekündigt worden war, dürften die Ergebnisse selbst in den eigenen Reihen nur schwer als Erfolg verkauft werden können.“
Von der erwarteten Aufmerksamkeit für Pro Deutschland wollte offenbar auch die NPD profitieren. Nach Angaben des apabiz wollten 10 bis 15 NPD-Anhänger an der Demonstration des „Anti-Islamisierungskongresses“ mit einem Transparent „Sarrazin hat Recht!“ teilnehmen. Dies wurde jedoch sowohl durch die Gegendemonstrierenden als auch durch die Pro Deutschland-Anhängerinnen und Anhänger, die jede Assoziation zur NPD unterbinden will, verhindert.
Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie – Die Freiheit
Die Partei „Die Freiheit - Partei für mehr Freiheit und Demokratie“ nimmt erstmals an einer Wahl teil. Die erst im Oktober 2010 gegründete Partei, an deren Spitze der ehemalige CDU-Politiker René Stadtkewitz steht, tritt mit einer Landesliste, für 11 der insgesamt 12 Bezirksverordnetenversammlungen, aber nur in 30 der 78 Wahlkreise mit Direktkandidatinnen und - kandidaten an. „Während es Pro Deutschland dank ständiger Präsenz in den letzten Wochen gelang, Menschen zu mobilisieren und dadurch auch die notwendigen Stützunterschriften für ihren Wahlantritt zu sammeln, tut sich Die Freiheit diesbezüglich schwer“, erläutert Metzger. „Statt provozierender Wahlsprüche zeigen die wenigen Die Freiheit-Wahlplakate ihren Spitzenkandidaten René Stadtkewitz, statt Kundgebungen setzen sie auf das gelegentliche Verteilen von Werbeflyer und eine professionelle mediale Inszenierung.“ Damit konnten sie jedoch im bisherigen Wahlkampf nur wenig Aufmerksamkeit erreichen. Dies könnte sich aber durch den für den 3. September geplanten Auftritt des niederländischen Politikers Geert Wilders ändern. Dieser ist vor allem durch seine antiislamische, rechtspopulistische Haltung bekannt. Auch die angekündigten Redner Oskar Freysinger und Robert Spencer sind diesem Spektrum zuzuordnen. Aus ungeklärten Gründen wird der Veranstaltungsort bislang geheim gehalten. Durch die hohen Eintrittspreise wird diese Veranstaltung wohl kaum potentielle Wähler anlocken.
Während die Freiheit nach außen versucht gemäßigt zu erscheinen und ihr Wahlprogramm auch Themen wie Bildungspolitik und Stadtentwicklung bedient, macht sie dennoch Migration zu ihrem Hauptthema und positioniert sich bei diesem noch schärfer als antiislamistisch und rassistisch Pro Deutschland. Die Freiheit fordert eine „Kürzung von Sozialleistungen bei Integrationsverweigerung und Straffälligkeit“, will die Integrationsmaßnahmen auf ein Minimum beschränken, in Schulen weder religiöse Kleidungsstücke erlauben noch Gebetsräume zur Verfügung stellen und Predigten in Moscheen systematisch auswerten lassen.
Der Kampf gegen rechts als Wahlkampfthema?
Drei rechtsextreme bzw. –populistische Parteien bestimmen maßgeblich den Berliner Wahlkampf und erreichen dank Provokation immer wieder Resonanz in den Medien und der Öffentlichkeit. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie die anderen Parteien reagieren. Die Linke positioniert sich zum wiederholten Mal eindeutig mit ihrem Wahlplakat „Nazis raus aus den Köpfen“ und erklärt dies folgendermaßen: „Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus sind nicht nur bedrohlich für die Menschen, die von Angriffen, Gewalt und Verachtung betroffen sind. Vor allem rassistische und antisemitische Haltungen und Denkmuster reichen bis tief in die Mitte in die Gesellschaft und sind damit in der Lage, die Qualität von Freiheit und Demokratie hier und in Europa zu bedrohen. Deshalb ist der Kampf dagegen ein Kampf um Demokratie, gleiche Rechte für alle und Freiheit.“
Währenddessen verzichten CDU, SPD, FDP und Grüne darauf, dieses Thema direkt auf Wahlplakaten oder ähnlich anzusprechen. Die SPD erklärt dies: „Die Berliner SPD wird es nicht zulassen, dass die rechtsextremen Parteien die Themen in dieser Stadt bestimmen. Unsere Schwerpunkte sind gute Arbeit, Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung sowie sozialer Zusammenhalt, Teilhabe und Integration für alle.“ Ähnlich sieht es die FDP: „Die Schwerpunkte der FDP in diesem Wahlkampf sind die Bereiche Wirtschafts-, Bildungs-, Verkehrs- und Haushaltspolitik. Andere – insbesondere extremistische oder populistische – Parteien zum Thema unseres Wahlkampfes machen, halten wir nicht für sinnvoll.“ Leider wirkt dies in der Wählerwahrnehmung allzu leicht so, als ob die etablierten Parteien das Thema ignorieren und dies wäre eindeutig fatal.
Dennoch thematisiert die FDP „Integration" auch auf ihren Wahlplakaten: „Wir meinen, dass es eine nette Geste ist, in Paris nach Croissants statt nach Schrippen zu fragen.“ Dessen Bedeutung erklärt die FDP: „Das Plakat vermittelt unsere Einstellung zur Integration: Es ist eine nette Geste, wenn man in einem französischen Bistro nicht erwartet, dass das französische Gegenüber schon wissen muss, was man mit ‚Schrippen' meint. Statt dessen kann man sich auch in der Landessprache verständigen und die Rechts- und Werteordnung des Landes, in dem man sich befindet, beachten. So wird man verstanden und bekommt das, was man will.“
Die CDU beantwortet die Frage, warum sie sich im Wahlkampf nicht klar gegen das rechte Spektrum positioniert, wie folgt: „Der Kampf gegen jede Form politischen Extremismus ist Teil unseres Wahlprogramms ‚100 Lösungen für Berlin' (Lösung Nr. 51).“ In Lösung 51 schlägt die CDU einen „runden Tisch zur Klärung und klaren Ächtung des Phänomens jeglicher extremistischer Gewalt“ vor. „Insbesondere linke Krawallmacher können sich noch zu häufig hinter den Anliegen ihrer Proteste verstecken. Autonome Gewalttäter müssen mit aller Härte verfolgt und bestraft werden“, so die CDU weiter. In diesem Fall haben NPD, Pro Deutschland und Die Freiheit ja nichts zu befürchten.
Festzuhalten ist aber, dass alle Parteien sich in ihren Wahlprogrammen mit der Integration auseinandersetzen, diese als wichtige Aufgabe herausheben und Lösungsvorschläge entwickelt haben. Außerdem verweisen allen auf den Ende Juni unterzeichneten „Berliner Konsens“, indem die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien das gemeinsame Vorgehen gegen alle rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien beschlossen haben. Dementsprechend wird der Wahlkampf, den die NPD, Pro Deutschland und Die Freiheit führen von den demokratischen Parteien verurteilt, wie die SPD treffend auf den Punkt bringt: „Die Wahlplakate der rechten Parteien sind so widerlich wie die Parteien selbst. Es werden Ängste vor Migrantinnen und Migranten geschürt und diese in herabwürdigender Art und Weise dargestellt. Wir gehen davon aus, dass die Berlinerinnen und Berliner auf die rechten Rattenfänger nicht hereinfallen werden.“
Ein Blick in die jeweiligen Wahlprogramme der drei Parteien, NPD, Pro Deutschland und Die Freiheit offenbart, dass sich hinter den Parteinamen rassistische Meinungsbilder und kompromisslose, angebliche Lösungen verstecken. Auch wenn diese nicht immer sofort auf Wahlplakaten oder auf an Infoständen verteilten Wahlflyern zu erkennen sind, so sollte dem Kreuzchen auf dem Wahlzettel immer der eigenständige Blick hinter die Fassade vorangehen. Denn schließlich müssen die Berlinerinnen und Berliner mit der am 18. September getroffenen Wahl fünf Jahre lang leben.
Mehr Informationen zum Thema liefert die Handreichung des apabiz.