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Das Bekenntnis-Desaster der Familienministerin

Familienministerin Schröder wollte mit ihrer sogenannten „Extremismuserklärung“ die Demokratie stärken. Doch der Gesinnungscheck geht nach hinten los: Wichtige politische Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus wird lahmgelegt, zahlreiche Projekte sterben mangels Förderung.

Von Marion Kraske, zuerst erschienen im Cicero

Sie ist kurz und knapp formuliert. Keine große Sache - möchte man meinen. Eine Erklärung, die an jene verschickt wird, die sich im Kampf gegen rechts engagieren und für diese Arbeit Fördergelder vom Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ abfragen. Jeder Verein, jedes Projekt, jede Initiative muss sich dazu derfreiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ verpflichten. Mittels einer Unterschrift.

 

Das freilich wäre noch nicht das Problem. Auch wenn man sich schon fragen muss, warum Familienministerin Kristina Schröder urplötzlich politischen Akteuren einen schriftlichen Treueeid zur Demokratie abverlangt, der bislang als selbstverständlich galt. Sind nicht gerade all jene, die sich im Kampf gegen rechts engagieren, gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen aggressiver Menschenfeindlichkeit eintreten, Teil einer funktionierenden und befruchtenden Zivilgesellschaft, Teil unserer wehrhaften Demokratie? Warum sollten ausgerechnet diese Akteure nicht auf der Grundlage des Grundgesetzes agieren? Warum also dieses Misstrauen? Warum die Umkehrung der Unschuldsvermutung?

Schon im Vorfeld gab es weitreichenden Protest, ein gesellschaftsübergreifendes Bündnis von Initiativen und Vereinen sprach sich vehement gegen die Erklärung aus, es wurden Petitionen verfasst, Aktionstage organisiert - unterstützt von Anwälten, Praktikern, Wissenschaftlern, die den Sinn der Extremismusklausel in Abrede stellten. Wirkung zeigte der Protest freilich nicht: Das kleine Stück Papier gilt seit Anfang des Jahres als vermeintlicher Ausweis der Verfassungstreue, sonst bleibt das Staatssäckel geschlossen.

Nach einem halben Jahr Praxistest hat sich der Widerstand gegen die Klausel freilich noch immer nicht gelegt, im Gegenteil, der Unmut über den Gesinnungscheck aus dem Hause der jungforschen Ministerin ist größer denn je. Dabei gehen die einzelnen Initiativen mit der Erklärung durchaus unterschiedlich um. Das Kulturbüro Sachsen beispielsweise hat die Unterschrift zähneknirschend geleistet. Die Gefahr, aufgrund finanzieller Probleme gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden und damit wichtige Basisarbeit nicht mehr leisten zu können, so Matthias Hahndorf, sei für die Entscheidung ausschlaggebend gewesen. Man habe verhindern wollen, dass die Initiative eingehe. Das, so Hahndorf, wäre für die politische Kultur in Sachsen, wo die NPD im Landtag sitzt und in der Öffentlichkeit massiv ihre Ideologie verbreitet, extrem schädlich.

Andere Initiativen wagen den Spagat: Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin hat den ersten Satz der Erklärung, das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unterschrieben, die beiden Folge-Sätze aber durchgestrichen. Satz zwei und drei der Erklärung fordern von den Initiativen ein, dass sie sich nicht nur selbst zur Verfassung bekennen, sondern auch die Partner, mit denen sie zusammenarbeiten, auf Verfassungstreue überprüfen. „Wenn man sich zum Grundgesetz bekennt, was wir tun, verbietet sich die Unterschrift zu Satz zwei und drei“, sagt die Geschäftsführerin des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin, dem Trägerverein der Mobilen Beratung, Bianca Klose. „Wir wollen jene, mit denen wir bislang vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, nicht bespitzeln. Das widerspricht unserem Demokratieverständnis.“ Auch die Geschäftsführerin des rührigen Vereins Offensiv 91 e.V., Birgit Hannemann, sieht sich in alte Zeiten zurückversetzt. Das Ganze erinnere sie an die „Verpflichtungserklärungen der Stasi“, so Hannemann.

Ob die Bekenntnisklausel überhaupt grundgesetzkonform ist, ist in der Tat nach wie vor offen: Während ein vom Ministerium in Auftrag gegebenes Gutachten der erklärwütigen Ministerin Rückendeckung gibt, kommen zwei weitere Gutachten zu gänzlich anderen Ergebnissen. Der renommierte Berliner Verfassungsrechtler Ulrich Battis bezeichnet in einem Gutachten den zweiten Teil der Extremismuserklärung als „verfassungsrechtlich bedenklich“. Wenn der Staat Geld verteile, müsse er vor der Vergabe regeln, nach welchen Kriterien das geschehe, so der Jurist. Dabei müssten jedoch die Grundrechte der Empfänger gewahrt bleiben. Die vom Ministerium abgefragten Kontakte zu vermeintlichen Linksradikalen widersprächen klar dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Zudem sei der letzte Teil der Erklärung „unverhältnismäßig, das geht zu weit“, so Battis.

Gestützt wird das Gutachten zudem von einer Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Anders als bei einer Verbeamtung oder Einbürgerung, so der Verfasser, unterliege es „gewissen Zweifeln“, ob man Trägern von Projekten gegen Rechtsextremismus überhaupt eine solche Bekenntnispflicht abverlangen könne. Denn anders als bei einem Beamtenverhältnis oder bei Einbürgerungen gehe es bei der Projektförderung nicht um eine „auf Dauer angelegte, sehr enge Rechtsstellung".

Dass man mit der „Extremismuserklärung“ somit möglicherweise nicht auf der Basis des Grundgesetzes agiert – für die Bundesregierung augenscheinlich kein Problem. Sehr wohl aber für die betroffenen Projekte und Initiativen – mit weitreichenden Folgen für die über Jahre aufgebauten Netzwerke gegen rechts. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin hat es da noch am besten getroffen: Bundesgelder erhält sie vorerst zwar nicht mehr, statt dessen finanziert das Land Berlin fortan ihren Kampf gegen rechte Recken. Doch auch wenn damit die Arbeit der Beratungsstelle erst einmal gerettet ist, macht Projektleiterin Klose schon jetzt einen „sehr großen Schaden“ aus. Funktionierende Strukturen brächen zusammen, da etliche Partner, abgeschreckt von der eingeforderten Erklärung, erst gar keine Förderanträge mehr stellten.

Was als Demokratie-Stärkung angedacht wurde, droht damit, die gesellschaftlich breit aufgestellte Arbeit im sensiblen Bereich des Rechtsextremismus zu untergraben. Welche Auswirkungen das in der Praxis hat, zeigt auch ein Beispiel aus Berlin-Kreuzberg: Da auch die namhafte Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) die eingeforderte Erklärung nicht unterzeichnet hat, musste sie eine bereits vom Bezirksamt genehmigte Aktion abblasen. Ursprünglich war geplant, mit Stolpersteinen an drei während des Holocaust in Kreuzberg ermordete Kinder zu erinnern. Dass die Gedenkaktion nun wegen fehlender Mittel nicht stattfinden könne, so VVN-Geschäftsführer Markus Tervooren, sei ein fatales Zeichen im Kampf gegen rechts.

Von der rigiden Gesinnungspolitik betroffen ist auch das Zentrum für Demokratie in Treptow-Köpenick, einem Bezirk, in dem sich zahlreiche organisierte Neonazis tummeln. Hier, im Ortsteil Schöneweide, hat die NPD-Bundeszentrale ihren Sitz, immer wieder rufen die Verfassungsfeinde zu Aktionen auf. Der massiven Präsenz der Nazis stellte sich das Zentrum für Demokratie bislang mit zahlreichen eigenen Kundgebungen entgegen. Mit der Weigerung, die Bekenntnisklausel zu unterzeichnen, hat das Zentrum drei Projekte in Höhe von 50.000 Euro eingebüßt, mehr als 50 Prozent der gesamten Förderung. Die Folge: Viele Aktionen können in dem politisch brisanten Stadtteil, in dem sich in letzter Zeit die Angriffe der Rechtsextremen gegenüber Mitarbeitern des Zentrums häufen, nicht umgesetzt werden. Auch das Register, mit dem das Demokratie-Zentrum detailliert rechtsextreme Gewalt-und Propagandadelikte im Bezirk dokumentiert – 162 Fälle allein im vergangenen Jahr – wurde erst einmal auf Eis gelegt.

Ministerin Schröder freilich hält die Erklärung nach wie vor für ein geeignetes Instrumentarium und schiebt den schwarzen Peter den Projekten zu: Wenn einzelne Gruppen sich dafür entscheiden, lieber auf eine staatliche Förderung zu verzichten als sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, verlautet es lapidar aus ihrem Ministerium, „dann bedauern wir das sehr“.

Harsche Kritik kommt derweil vom Zentralrat der Juden, der die aktuellen Entwicklungen mit Sorge betrachtet: Da ohne staatliche Förderung die Fortführung vieler Projekte entweder gar nicht oder nur in einer eingedampften Version möglich sei, warnt Generalsekretär Stephan Kramer, werde letztlich „unsere demokratische Kultur unterminiert, das Vertrauen in unseren Rechtsstaat beschädigt“. Beides aber, so Kramer, „sollen und können wir uns gerade im Kampf gegen Rechtsextremismus nicht leisten“.

Auch der Rechtsextremismusexperte Alexander Häusler von der Fachhochschule Düsseldorf fällt nach sechs Monaten „Extremismuserklärung“ ein vernichtendes Urteil: Es gebe keine empirisch reale Grundlage für die vom Schröder-Ministerium in Gang gesetzte „Verdachtskultur“. Eigentlich gehe es in einer Zivilgesellschaft darum, Engagement und demokratisches Ringen um Positionen zu fördern, so der Wissenschaftler. Der Vorstoß der Politik aber komme einer „ideologisch-motivierten Handlung“ gleich, die diesem Ziel zuwiderlaufe. Immerhin, beobachtet Häusler, stößt die Gesinnungsklausel wenigstens in der rechten und neonazistischen Szene auf großen Beifall: Da die Extremismuserklärung Projekte gegen rechts unter Generalverdacht stelle, mit dem extremen linken Spektrum verbandelt zu sein, biete sich den Rechtsextremen ein geeigneter Vorwand, um von den eigenen demokratiegefährdenden Positionen abzulenken.

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Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf.

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