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Professionelle Hilfen für „Aussteiger“ gibt es erst seit etwa acht Jahren. Bis zum Herbst 2000 musste in Deutschland jeder Rechtsextreme selbst sehen, wie er aus der Szene herauskam, wenn er sich entschlossen hatte, dem rechtsextremen Lebensstil abzuschwören. Schwierig bei einer oft sektenähnlich organisierten Szene, die zumindest im Bereich der Kameradschaften ungern Mitakteure einfach frei gibt, sondern gerne Druck auf Aussteiger und deren Familienangehörige ausübt. Aussteiger können sich mittlerweile an Ausstiegshelfer in den Verfassungsschutzämtern oder an (wenige) private Initiativen wenden. Kommt es zu einem Ausstieg, wird in der Regel darauf verzichtet, dies gleich mit Schlagzeilen zu verknüpfen. Denn ein ernsthafter Ausstieg aus solchen extrem ideologisch geprägten Zirkeln ist oft langwierig, da die Betroffenen auch viele menschliche Bindungen aufgeben müssen.
Ins rechtsextreme Milieu steigen vor allem sozial und psychisch instabile Personen im Alter zwischen 13 bis15 Jahren ein, die dann dort ihren gesamten Freundeskreis aufbauen. Sich von ihm zu lösen, fällt natürlich schwer. Rückfälle geschehen immer wieder. So bot sich im Jahr 2002 ein Berliner NPD-Mann und Kameradschaftsführer der Aussteigerhilfe EXIT an und hielt Vorträge über seine angeblich ehemalige Szene. In die kehrte er allerdings im Jahr 2007 wieder zurück, als Honorarkraft der NPD in Berlin-Marzahn. Solche Rückfälle sind aber die Ausnahme, bekräftigen die Macher von EXIT, deren Initiative bundesweit nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ funktioniert, um „Aussteigewilligen aus der rechtsextremen Szene neue Perspektiven außerhalb ihres bisherigen Milieus zu entwickeln“. Rund 300 Aussteiger wurden seitdem erfolgreich betreut.
Federführend ist der ehemalige Kriminalist Bernd Wagner. An seiner Seite stand beim Aufbau ein ehemaliger Neonaziführer aus Ost-Berlin, Ingo Hasselbach. Große Probleme, so Hasselbach damals, bestehen für Aussteiger nicht nur im Bereich ihrer Sicherheit, sondern vor allem sozialen Integration. Einerseits würden sie von ihren alten Kameraden als „Verräterschweine“ bedroht, andererseits litten sie unter dem gesellschaftlichen Vorurteil „einmal Nazi – immer Nazi“, was ihre berufliche Eingliederung beträchtlich erschwere.
Erfolgreiche Aussteiger sah Hasselbach in der Pflicht, auch anderen zu helfen, entweder auch auszusteigen oder gar nicht erst einzusteigen. Hasselbach hat längst an einem anderen Ort in einem neuen Beruf Fuß gefasst, EXIT arbeitet aber auch ohne ihn nach den mit ihm entwickelten Kriterien weiter. Dazu gehören laut einer Broschüre von EXIT aus dem Jahr 2007 das Ziel auch eine Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Ideologie und den begangenen Taten bei den Aussteigern zu bewirken. Kernpunkt und oftmals schwierigster Teil des Ausstiegskonzepts von EXIT ist die Auseinandersetzung des Aussteigenden mit der zuvor vertretenen rechtsextremen Ideologie. Dieser Lernprozess stellt für die Betroffenen eine große Herausforderung dar. So führen der Zusammenbruch der alten Überzeugungen und Denkweisen und das Begreifen, jahrelang Demagogen auf den Leim gegangen zu sein, bei vielen Aussteigern zu Depressionen. Grundsätzlich gilt, dass in jeder Phase des Ausstiegsprozesses Eigeninitiative und aktive Mitarbeit des Aussteigewilligen dazugehören. Sonst geht es schief.
Hilfe beim Aussteigerverein EXIT unter: www.exit-deutschland.de
Aus: Holger Kulick (Hrsg.), MUT-ABC für Zivilcourage. Ein Handbuch gegen Rechtsextremismus. Von Schülern für Schüler, Leipzig 2008.
Einen Schwerpunkt zum Thema Ausstieg aus der rechtsextremen Szene bietet auch das Dossier Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung:
www.bpb.de/themen/QXUKZK,0,Schwerpunkt:_Aussteiger.html