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Germanenkult

Erstmals wurde das Germanentum zur Zeit der Renaissance neu bewertet: Mit der Hinwendung zur Antike wurde das Bild der Germanen vom Vorwurf der Barbarei befreit und mit tugendhaften Merkmalen besetzt. Allerdings gab es noch keine Verknüpfung von Germanentum mit völkisch-nationalistischen Ideen. Im föderalen Vielvölkerstaat des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen bildeten Religion und Fürstenloyalität die Gemeinschaft stiftenden Grundpfeiler.

Romantik
Erst in der Romantik (zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts) wurde Germanentum mit völkischen Ideen verbunden. Die daraus entstandene Philosophie hatte eine Tendenz zu Mystik, Geschichtsverklärung und zum "Blut-und-Boden"-Heimatmythos und entstand in Abgrenzung zur französischen Aufklärung.

Dem aufklärerischen Liberalismus und dem Rationalismus wurde die rückwärtsgewandte Vorstellung des Staatswesens als organisches Ganzes und Teil göttlicher Schöpfung entgegengestellt. In dieser Zeit erfolgte eine Neuentdeckung des Mittelalters. Zudem entwickelte sich in den von Napoleon besetzten deutschen Kleinstaaten zunehmend ein eigenes deutsches Nationalgefühl mit romantisch-völkischen Elementen. Dabei bezog man sich u.a. auf Hermann den Cherusker und die Schlacht im Teutoburger Wald sowie nach den Befreiungskriegen auf die Völkerschlacht bei Leipzig gegen die Franzosen, was später verstärkt mythologisiert und in Denkmälern zum Ausdruck gebracht wurde (Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald).

Industrialisierung
Mit dem Zeitalter der Industrialisierung gewann der völkische Nationalismus, der sich argumentativ auf die Germanen als Vorfahren berief, an Popularität. Durch die neuen Forschungserkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften schwand die gesellschaftlich stabilisierende Autorität der christlichen Kirchen. Die sozialen Umbrüche, die die Industrialisierung hervorrief, verunsicherte das Gesellschaftbild der Menschen zusätzlich. Völkischer Nationalismus bot Ersatzreligion (germanische „Naturfrömmigkeit“ und Pantheismus) und neue Werte und Ordnung: die Fiktion einer nationalen Einheit und Gemeinschaft, die auf gleicher Volkszugehörigkeit, Kultur, Sprache und Rasse beruhe.

Frühes 20. Jahrhundert
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbinden Lanz von Liebenfels und Guido von List die "Wurzelrassentheorie" (Theosophie) und die "Lehre der rassischen Überlegenheit der Arier" (Ariosophie) mit germanischer Mystik und Runenkult. Sie gründen eine neugermanische, deutsch-völkische Gesellschaft, die dem Kampf gegen das "Untermenschentum" dienen soll und Beispiel für weitere neuheidnische, neogermanische und antisemitische Glaubensgemeinschaften wurde. Diese Vereinigungen verstehen sich im weitesten Sinne als "Naturreligionen" und sehen die Legitimation ihrer völkischen Weltanschauung in dem Bestehen eines "Naturgesetzes" und eines "Blutsmythos".

In der Zeit der Weimarer Republik schritt die Entfaltung der neuheidnischen germanischen Szene weiter voran. Schon 1917 entstand die Thule-Gesellschaft, die mit dem frühen Nationalsozialismus verbunden war, später allerdings aufgelöst wurde.

Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus waren die absolute Übersteigerung des Nationalgefühls und die "Ideologie des Völkischen" Grundlage des Systems. Dabei spielten die völkisch-neuheidnischen Gruppierungen keine unwesentliche Rolle, indem sie die nationalsozialistische Weltanschauung ins Religiöse erhoben.

Im Dritten Reich wurde Hitler von vielen als ein "Erlöser" seines angeblich gedemütigten Volkes (Versailler Vertrag) angesehen. Parteitage wurden zelebriert, als seien es Messen, das Wahrzeichen des Dritten Reiches, das Hakenkreuz, entsprach einem Kreuz in Form eines keltischen Sonnenrades. Hohepriester des Germanenkultes war der SS-Führer Heinrich Himmler. In der Wewelsburg, der "Ordensburg" der SS, schmückt eine Schwarze Sonne als Zeichen neuheidnischer Religion noch heute den so genannten Obergruppenführersaal. Auf der Suche nach indogermanischen und arischen Wurzeln zogen manche SS-Forschungsprojekte bis in die Berge Tibets oder suchten Runen auf Hünengräbern und in alten Steinbrüchen. In der SS-Symbolik wimmelt es von germanischen Bezügen, die Doppelsigrune ist wohl das bekannteste Zeichen.

Wo neuheidnisch-germanische oder esoterische Gruppen im Nationalsozialismus nicht die rassistische Lehre vom Herrenvolk unterstützten, sondern eigenständige religiöse Vereinigungen bilden wollten, wurden sie als eine Art Konkurrenz empfunden und bekämpft.

Standpunkte. Erziehung für Demokratie • gegen Rechtsextremismus, CD-Rom für LehrerInnen. RAA Berlin e.V. / LISUM 2002