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"Aufpassen!!! Hoch-Zeit für Lebkuchen-Messer!! Das nächste 'Opfer' stellt sich zur Verfügung! Gossel? Kommt von Gössel = Gans. Weihnachtszeit, Weihnachtsgänsezeit...". Auf diesen Interneteintrag stieß der Bürgermeister von Warin in Mecklenburg-Vorpommern, Hans-Peter Gossel Ende 2008 und tauchte sicherheitshalber zunächst ein paar Tage unter. Solche Beschimpfungen und Drohungen sind ein Standardwerkzeug in der rechtsextremen Szene, um engagierte Nazigegner einzuschüchtern. Was sollte man tun?
Von Holger Kulick
Wüste Beschimpfungen von Personen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, aus Neonazikreisen ausgestiegen sind oder sich als Journalist mit Neonazis auseinandersetzen, gehören schon lange zum Alltag. Gezieltes Verunsichern und Einschüchtern sind wesentliche Waffen von Extremisten. Auch in der MUT-Redaktion ist es beispielsweise keine Seltenheit, dass uns Sätze wie diese per Mail erreichen: "…ich will verdammt sein wenn diese antideutschen multikulti pseudo Demokraten nach unserer Machtübernahme lebendig davon kommen…".
Manchmal sind die Beschimpfungen auch etwas sanftmütiger formuliert ("Sie Gutmensch sollten besser auf sich aufpassen"). Sicherlich beklemmender ist, wenn die Dohszenarien öffentlich auf Flugblättern oder im Internet erfolgen oder durch Graffitti an der Hauswand oder in Form häufiger Sachbeschädigungen an PKWs bekräftigt werden. Dies sollte man unbedingt anzeigen und auch öffentlich machen, bei Bedrohungen im Internet unbedingt auch dem Provider melden und ggf. einen Anwalt einschalten, denn nicht selten haben Neoinazis auch schon Videosteckbriefe ihrer Gegner auf YouTube eingestellt. Sich dadurch aber verängstigen oder gar lähmen zu lassen, ist grundverkehrt. In der Anfangszeit ist für jeden, der mit dieser Szene zu tun hat, das Erschrecken groß. Doch mit der Zeit muss man - bei allem Ernst - auch lernen, so etwas zu belächeln (!). Denn zumeist handelt es sich nur um verbale Muskelspiele oder um Mutproben, um sich in seiner eigenen Gruppe als Held zu beweisen.
Diejenigen, die auf diese Weise drohen, finden ihre Selbstbestätigung darin, anderen Angst einzujagen. Das baut ihr Ego auf und ist für sie als Absender relativ risikofrei. Denn sie bleiben in der Regel anonym oder hinter Decknamen verborgen. Ihre Gegner einzuschüchtern ist daher sogar eine sogar sehr beliebte Form der Gewaltausübung: Drohungen und Einschüchterungen sind (abgeschaut bei der Mafia) ganz bewusst eingesetzte Waffen der Neonazi-Szene. Sie werden umso mehr bei denen ausgekostet, die zeigen, dass sie sich verängstigen lassen.
Cool bleiben!
Deshalb: cool bleiben ist elementar, aber trotzdem aufmerksam sein! Und keineswegs den Weg zur Polizei scheuen! Durchgeknallte Rächer der Szene gibt es leider immer, deshalb schreiben beispielsweise viele Fachjournalisten über Rechtsextremismus nur noch unter Pseudonymen. Und viele Experten über Rechtsextremismus machen ihre Privatanschriften nur ungern publik oder treffen zumindest Sicherheitsvorkehrungen. Dass Passaus Polizeichef Mannichl, der schon mehrere Drohungen erhielt, bevor Mitte Dezember vor seiner Wohnungstür ein Messerstecher auf ihn losging, keine Überwachungskamera an seinem Haus hatte, verblüfft dabei schon. Zumindest Funktionsträger sichern sich in der Regel wenigstens auf diese Weise ab.
Was tun, wenn die Drohung per Mail oder Post kommt?
Drohbriefe und auch Forumsbeiträge in drohendem Tonfall hat auch unsere Redaktion, das MUT-Portal immmer wieder erhalten, aber anfangs regelmäßig im Papierkorb versenkt. Inzwischen melden wir grenzwertige Fälle der Polizei, denn die Zahl unflätiger, offen drohender und volksverhetzender Mails hat erschreckend zugenommen, darunter auch von fiktiven Absendern mit Pseudonamen wie Adolf.Hitler@... etc. Solche Fälle sollte man unbedingt auch den jeweiligen Providern sofort melden.
Manchmal wird nicht die MUT-Redaktion beschimpft, sondern Personen oder Personengruppen, über die wir schreiben werden Opfer von Verbalinjurien. Eine solche Mail etwa ging im Juli 2008 ein und behandelte das Thema Gerichte und Richter, die Neonazis verurteilen. Darin schrieb der Mail-Autor:
"...ich will auch nicht alle Richter über einen Kamm scheeren, es mag ja auch in dieser Berufsgruppe noch den einen oder anderen anständigen Menschen geben, doch so manche Richter in diesem Land haben tatsächlich den Tod verdient. Da würde ich mich echt freuen, wenn der eine oder andere einem Attentat zum Opfer fiele! Es zeigt sich in diesem Dreckstaat doch immer mehr, dsaß nur noch Gewalt der einzige Weg zu Recht und Gerechtigkeit sein kann!..." [Fehler im Original]
Solche Forumsbeiträge werden in der Regel nicht veröffentlicht, um dem Absender nicht Genugtuung zu verschaffen. Stattdessen werden sie der Polizei gemeldet, wenn der Absender - in diesem Fall war es so - ersichtlich ist.
Beispiel aus dem MUT-Alltag
Ein anderer User hatte an MUT im Jahr zuvor wechselnd unter drei fiktiven Namen drohende Lesermails geschickt, bis wir einzelne davon auf unserer Website zitierten und ihm mitteilten, dass wir sie in Zukunft alle ungelesen versenken. Daraufhin wollte er sich steigern und schickte er sogar einen Droh-Brief. Darin enthalten war ein Portrait des vermeintlichen Redaktionsleiters. Er hatte es aus dem Internet geladen, es war bei der Verleihung des Alternativen Medienpreises der Medienakademie Nürnberg 2007 an die MUT-Redaktion entstanden und stand dort auf der Homepage. Beigefügt war ein Stadtplanausschnitt Berlins. Der vermeintliche Standort der MUT-Redaktion wurde mit einem Davidstern als jüdisch markiert. Darunter stand handschriftlich die schlichte Mitteilung: “We know you we kill you“. Natürlich wanderte dieser Brief zur Polizei. Ermittelt wurde zunächst in Berlin und Köln, aber der Absender war – wie so üblich – fiktiv. In der Regel verlaufen solche Ermittlungen nach einiger Zeit leider im Sande und werden eingestellt. In diesem Fall wurde allerdings eine verdächtigte Person ausgemacht, die wohl immer noch unter Beobachtung steht.
Wichtig ist: solche Droh-Post nicht lange aufbewahren und durch zu viele Hände gehen lassen, sondern gleich an die zuständige Polizei – bzw. Staatsschutz-Abteilung weitergeben und Strafantrag stellen. Sinnvoll ist, diesen Schritt dann auch offen seinen Lesern gegenüber kundzutun, denn damit verunsichert man wiederum die Mail- oder Briefautoren: Haben sie nicht doch Spuren hinterlassen?
Bei E-Mails ist für die Polizei wichtig, den exakten Header der Mails zu erfahren, um über die Provider nach den Absendern fahnden zu können. Bei Webseiten mit Kommentarfunktion empfiehlt es sich, eine Barriere einzubauen, die es dem Absender unmöglich macht, anonyme (Massen-) Mails zuzusenden oder mittels Spams eine Mailbox zu überfluten. Ein ständig wechselnder Zahlen- und Buchstabencode, der vor Absenden einer Mail abgetippt werden muss, ein sogenanntes "Captcha", wie es auch bei MUT verwendet wird, wirkt abschreckende Wunder.
Sollte man aber nicht alle unflätigen Mails auch veröffentlichen? Und was vor allem soll man mit Einträgen von Rechtsextremen in Foren tun? Wir bei MUT hatten diese Entscheidung im Frühjahr 2008 in einer Umfrage unseren Lesern überlassen. Drei Antworten waren möglich: 1.) Ja, veröffentlichen. Das gehört zur Demokratie. 2.) Nein, denn zur Demokratie gehört auch der Respekt vor bestimmten Werten und die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt. 3.) Jaein. Einzelne Beispiele sollten veröffentlicht werden, aber nicht eine jede volksverhetzende Mail. Die Voten drittelten sich. Aber das größe Drittel stimmte für Antwort 2.
Wir haben als Konsequenz zeitweise eine automatische Mitteilung an jeden Lesermailschreiber formuliert: "Ihr Schreiben wird veröffentlicht – sofern der Inhalt nicht beleidigend, volksverhetzend oder reine ideologische Propaganda ist."
Ist das Zensur? Nein, Anstand. Und die Mails, die wir exemplarisch veröffentlichen erhalten in der Regel auch sehr schnell eine Antwort von wachen Mitgliedern der MUT-Community. Und auf die kann man bauen!
Was aber tun bei Hetze auf Youtube?
Dreister ist das Vorgehen von neonazis auf YouTube. Folgende Mail eines regelmäßigen Users der Internet-Videoplattform YouTube erreichte die MUT-Redaktion am 5.1.2009. Hallo! Auf folgender Seite http://www.youtube.co.......zlk wird der Name eines youtube-users genannt mit Mordrohungen in den Kommentaren. Er engagiert sich gegen Nazis bei Youtube. Er weiß nichts davon, da er seit 6 Tagen nicht mehr online war! Bitte unternehmt etwas, das Melden bei Youtube hat keinen Sinn! Mfg, A.." Unter dem Link war ein perfide getarnter Steckbrief eines Neonazigegners verborgen. "Zu Besuch in Bad L...." heißt dasVideo, das im Dezember 2008 bei Youtube ins Netz gestellt wurde. Es stellt zunächst musikalisch unterlegt ausschließlich touristische Ansichten der Kleinstadt vor, dann zeigt die Kamera aber nur noch einem Wohnblock in einem Plattenbauviertel von allen Seiten, zoomt an bestimmte Fenster heran, zeigt den Straßennamen und den Briefkasten mit Namen. Auf diese Weise wird die Adresse eines Neonazigegners öffentlich gemacht, auch die Leserkommentare darunter machen deutlich, wer hier hauptsächlich die User sind. "Hervorragend Kameraden!", "Dort leben doch nur Tiere, die auf die Schlachtbank warten ... ", "Bin gespannt, wann der Zugriff erfolgt. Dann wird die Muschel aufgeschlitzt und ihre Innereien werden gründlich untersucht nach Conterganresten!" lauten recht eindeutige Einträge.
Auf Nachfrage von MUT schilderte das Opfer Anfang Januar, so etwas nicht zum ersten Mal zu erleben. Er hatte sich im vergangenen Frühjahr bei YouTube über Nazivideos beschwert und dies auch in eigenen User-Beiträgen deutlich gemacht, unvorsichtigerweise mit einer rückverfolgbaren Adresse. Dies nahm die rechtsextreme Szene gleich zum Anlass ihn auszuforschen und seitdem mit mehreren solcher mehr oder minder deutlich drohenden Videos, Hassmails und sogar nächtlichen Telefondrohungen einzuschüchtern. Auch mehrere abgehörte Telefonate mit ihm wurden von bekennenden Neonazis, die von ihm fordern ihnen "den Spielplatz Internet zu überlassen", auf YoutTube gestellt. Zudem wurden von ihm selbst gepostete Videos diffamierend verändert und neu platziert. Auf Beschwerden, so sagt er, wurde bei YouTube leider gar nicht reagiert. Erst nachdem er das zuständige LKA einschaltete und sich die Kripo an YouTube wendete, entfernte die Firma einige der Videos - die aber an anderer Stelle gleich wieder auftauchten. Dennoch: auch hier der dringende Rat - ohne Strafanzeigen bei der Kripo wäre bei YouTube wohl gar nichts passiert, was die rechtsextreme Szene dort kaltschnäuzig ausnutzt. (Mehr zum Thema Drohungen: /service/um-rat-gefragt/was-tun-bei-bedrohungen/)
Mehr zum Thema im TV
Report ;München am 26.1.2009 über Neonazi-Drohungen
Aufrufe im Internet gegen Bürgermeister (spiegel.de, 29.12.)
Gräfenberg - dem rechten Pöbel ausgeliefert (süddeutsche, 30.12.)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Kulick