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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Bislang war Pößneck ein beschauliches Städtchen und rühmt sich gerne, „Stadt der ersten Thüringer Landesgartenschau“ zu sein. Das war im Jahr 2000. Mittlerweile macht Pößneck andere Schlagzeilen. Anfang April feierten bis zu 1800 Neonazis eine Einweihungsparty für einen neuen rechten Treffpunkt in der Stadt, im ehrwürdigen Schützenhaus, das bereits Ende 2003 von eine dubiosen englischen Stiftung zum Schnäppchenpreis von 360.000 Euro ersteigert worden war: Die Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation in London, zu deren Hintermännern der Hamburger Rechtsextremist Jürgen Rieger zählt. Kombiniert wurde das Einweihungskonzert mit einem Landesparteitag der NPD, 70 zur Verfügung stehende Polizisten schauten dem anschließenden Treiben mit verbotener Musik machtlos zu.
Vorbildliches aus Verden
Vorgemacht, wie Antinazi-Engagement effektiv funktionieren kann, hat das unlängst die niedersächsische 30.000-Seelenstadt Verden. Im nahe gelegenen Dörverden hat der Rechts-Statege Rieger im Juni 2004 ebenfalls über besagte Tietjen-Stiftung ein großes Gehöft erworben und zum Neonazitreffpunkt ausgebaut. Die Gegend gilt laut Verfassungsschutz als Zielregion der Rechtsextremisten. Auf juristischem Weg bemüht sich die Stadt, die Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude immer weiter einzuschränken, zum Beispiel darf der Hof nicht mehr als Wohnstätte benutzt werden. Als die NPD Anfang Februar einen Aufmarsch in Verden ankündigte, machte der dortige Bürgermeister mobil: Mehr als 120 Vereine, alle Kirchen und Institutionen der Stadt wurden gebeten, gemeinsam ein Fest der Demokratie in der gesamten Innenstadt zu gestalten. Die wurde auf diese Weise für die Extremisten blockiert. Gewitztes Schild an einem Stand: „Bei uns ist nur der Kaffee braun“. Vergeblich klagte die NPD dagegen, denn eine Kommune habe kein Recht gegen eine nicht verbotene Partei eine Veranstaltung zu planen. Denkste, konterte der SPD-Bürgermeister. „Ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen und die schützen wir hier vor einer politischen Strömung, nämlich vor demokratiefeindlichem Rechtsextremismus“.
Unterstützt wird er dabei von einem breiten Schülerbündnis, contrasst.de, das (im Kontrast zur ultrarechten Schülerwebsite kontrasst.de) sogar dafür gesorgt hat, dass Verdens Schulen mit einer zusätzlichen braunen Mülltonnen ausgestattet wurden, um rechtsextremistische Flugblätter, Zeitungen und CDs sofort wegzuschmeißen. Auch die örtliche Lokalzeitung agiert beispielhaft: zwei Redakteure wurden abgestellt, um bei den Verdener Nachrichten, die zum Weserkurier gehören, das Thema Rechtsextremismus kontinuierlich hochzuhalten. Mit seinen Erfahrungen wirbt Verdens Bürgermeister Lutz Brockmann inzwischen darum, dass sich auch Kommunen in einem Art Netzwerk gegen Rechts mit ihren erfahrungen austauschen, um voneinander zu lernen.
Hilflosigkeit in Dessau
Denn einfallsreich sind nicht viele Kommunen, eher hilflos. Beispiel Dessau in Sachsen-Anhalt.
Dort war Mitte März die NPD aufmarschiert, um ausgerechnet in der Stadt, in der Zyklon B zur Vergasung der Juden hergestellt wurde, an deutsche Bombenopfer zu erinnern. Für einen ungestörten Verlauf des Naziumzugs machte sich der parteilose Bürgermeister Dessaus stark, nachdem ein gerichtliches Verbot gescheitert war. Statt mit lautem Gegenprotest sollten die Nazis mit Nichtachtung gestraft werden, der Bürgermeister selbst suchte das Weite. Doch aus dem Ignorieren der Nazis wurde Ignoranz gegenüber dem Gesamtproblem.
Sogar der öffentliche Nahverkehr wurde an jenem Sonnabend eingestellt und die Stadt weiträumig abgesperrt, so dass der Nazinachwuchs stolz bis zum Ehrenfriedhof Dessaus marschieren konnte. Selbst als ein junger Hamburger Rechtsaußen namens Alexander H. allen Gegnern der Demonstration wünschte, dass sie einmal so „gegrillt werden im Feuersturm", wie einst die Dessauer Bombenopfer, schritt die Polizei nicht ein. Dies sei „keine Aufforderung zu Gewalt, sondern liege noch im Ermessensspielraum freier Meinungsäußerung“.
„Politische Soldaten des Widerstands“
Landauf, landab haben in den vergangenen Wochen braune Kameradschaften, Gruppen des so genannten „Nationalen Widerstands“ und der NPD-Jugendorganisation JN solche Aufmärsche veranstaltet und Kommunen gereizt.
Welch Geistes Kind sie sind, machen ihre Selbstbeschreibungen deutlich.
Die „Jungen Nationaldemokraten“ definieren sich als erklärte Gegner des „herrschenden Systems“. Auf ihrer „Heimseite“ im Internet beschreiben sie sich als „politische Soldaten“ im Sinne einer „Vorhut...eines Deutschlands, welches ein auf der Solidargemeinschaft der deutschen Stämme begründetes neues Reich sein wird.“ Ihr Ziel sei es, „so viele Widerstandszellen wie möglich zu bilden“, und das als „als eine weltanschaulich-geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung und strenger innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivisten hohe Einsatz- und Opferbereitschaft abverlangt wird.“
Berlin als Schlachtfeld?
Gewieft hatten die jungen Nationaldemokraten schon im vergangenen November eine Demonstration am 8. Mai in Berlin angemeldet, die offensichtlich zum vorläufigen Höhepunkt der braunen Aufmarschiererei werden sollte. Das bewusst provozierende Motto genau 60 Jahre nach Kriegsende und Befreiung vom Hitlerfaschismus: „Gegen den Schuldkult“. Ausgerechnet am Brandenburger Tor. Die Bundeshauptstadt hatte verschlafen, das historisch so sensible Terrain rechtzeitig „zu besetzen“. Stattdessen kam arg verspätet und mit viel finanziellem Aufwand der Auftrag an eine Agentur zustande, rund um das Brandenburger Tor zwei Tage der Demokratie zu organisieren. Mit Stars von Boris Becker bis Yvonne Catterfeld und zahlreichen Informationsständen über die mühselige Basisarbeit von Initiativen gegen Rechtsextremismus (denen in Berlin gerade 10 Prozent ihrer Mittel gestrichen wurden). Auch die Amadeu Antonio Stiftung war auf Einladung des Serliner Senats vertreten. Mehr als 100.000 Menschen besuchten das Fest und halfen durch weitgehend friedliche Straßenblockaden den NPD-Aufzug zu verhindern.
Ein frühzeitig angemeldtere rechter Aufzug darf keinen Vorrang vor einer Mehrzahl anderer Anmeldungen haben, auch wenn diese später erfolgen.
Wunsiedels zweiter CSU-Bürgermeister Matthias Popp weiß inzwischen schon rund 500 Bürger hinter sich, die das örtliche Bündnis gegen Rechtsextremismus tragen. "Das ist sensationell viel". Gleichwohl sieht er Tendenzen, die ihm Sorge machen: Denn vor Ort wächst auch der Zulauf zur Neonazibewegung: "Da machen inzwischen junge Leute aus angesehenen Familien mit, denen das niemand zugetraut hätte", beobachtet er. „Nahezu jede Gemeinde hier, jede Schule hat ein solches Rechtsextremismus-Problem, aber hat Angst, darüber zu reden. Genau damit fördern wir erst den Erfolg dieser Leute!“
Brothers Keepers schützen Ducherow
Davon können derzeit die Brothers Keepers ein Lied singen. Die multikulturelle deutsche Band ist eine Partnerschaft mit einer Schule im mecklenburgischen Ducherow eingegangen, die jetzt mangels ausreichender Schülerzahl geschlossen werden soll. Als sie jüngst zur Sympathiekundgebung nach Ducherow reisten und mit Schülern das Ausmaß rechter Durchdringung diskutierten, machten die aus ihren bedrückenden Erfahrungen keinen Hehl. Eltern und Lokalpolitiker wollten allerdings nichts davon wissen.
Längst sind hier Neonazis in die Strukturen von Freiwilligen Feuerwehren, Sozialverbänden und Schülervertretungen vorgedrungen und verteilen regelmäßig selbstgedruckte Zeitungen, die prall sind mit nur oberflächlich harmlos scheinender Deutschtümelei. "Für uns ist eine artgerechte völkische Kultur die Grundlage zur Erhaltung und Gesundung unseres Volkes" heißt es beispielsweise im Selbstverständnis des Ueckermünder Kulturkreises, der sich rühmt, oft überfallartig im braven Volkstanzkostüm mal ein Dorfest, eine goldene Hochzeit oder ein Erntedankfest zu besuchen, um nach "einer kurzen knalligen Rede Taten sprechen zu lassen".
Braune Aussichten?
„Die sind dabei, zielgerichtet Netzwerke auszubauen, indem sie "wie mit trojanischen Pferden in neue Strukturen vordringen, um sich vorzubereiten auf ihren Tag X", resümiert Günther Hoffmann vom Netzwerk Vorpommern des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Diesen Tag X beschreiben die Anhänger des Heimatbunds schon mal mit Gedichten in ihrer Zeitung, in denen sie sich als "der deutschen Zukunft Saat" betrachten : "Wir schreiten gegen die Masse der Zeit/ Und stehen mit Opfer und Tat bereit/....Wir werden trotzen und schreiten zur Tat/Auch wenn der Tod auf uns warten mag".