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Was tun gegen Neonaziaufmärsche? <br> Nicht alle betroffenen Städte sind einfallsreich, viele sogar hilflos</br>

Von Holger Kulick

In immer mehr Städten blockieren Menschen NPD-Aufzügen einfach den Weg. Dennoch werden solche Märsche weitergehen, denn die Rechtsaußen nutzen die Verunsicherung in vielen Kommunen aus, die nicht wissen, wie damit umzugehen. Braune Kameradschaften melden bundesweit solche Umzüge an, auch um das Wir-Gefühl ihrer eigenen Gruppen zu stärken.

Bislang war Pößneck ein beschauliches Städtchen und rühmt sich gerne, „Stadt der ersten Thüringer Landesgartenschau“ zu sein. Das war im Jahr 2000. Mittlerweile macht Pößneck andere Schlagzeilen. Anfang April feierten bis zu 1800 Neonazis eine Einweihungsparty für einen neuen rechten Treffpunkt in der Stadt, im ehrwürdigen Schützenhaus, das bereits Ende 2003 von eine dubiosen englischen Stiftung zum Schnäppchenpreis von 360.000 Euro ersteigert worden war: Die Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation in London, zu deren Hintermännern der Hamburger Rechtsextremist Jürgen Rieger zählt. Kombiniert wurde das Einweihungskonzert mit einem Landesparteitag der NPD, 70 zur Verfügung stehende Polizisten schauten dem anschließenden Treiben mit verbotener Musik machtlos zu.


Gehört jetzt indirekt der NPD - das Schützenhaus Pößneck,
einst das Kreiskulturhaus der thüringischen Kleinstadt.


Das Nazievent hat Folgen. Nunmehr sind Landkreis und Gemeinde besorgt um ihr Image und bemühen sich nachzuholen, was bislang versäumt wurde, kulturelle und politische Arbeit gegen Extremismus zu forcieren. Bundesweit wird um Rat nachgesucht. Druck geht besonders von Jugendlichen aus, die in einem Aktionsbündnis für Courage (ABC) gewaltfrei Aufklärung und Widerstand organisieren wollen, denen aber mangels konstant arbeitsfähiger Jugendeinrichtungen in der Stadt Anlaufpunkte und logistische Unterstützung fehlen. Selbstbewusst beschloss der Kreis immerhin eines: die Gedenkveranstaltung am 8. Mai wurde aus dem Kreistag von Schleiz in ein Gymnasium verlegt, direkt gegenüber vom rechten Schützenhaus. Um zu signalisieren: haut ab!



Leipziger Rechts-Auflauf:
Für die Neonazis ein Spiel um den internen Zusammenhalt zu stärken


Vorbildliches aus Verden
Vorgemacht, wie Antinazi-Engagement effektiv funktionieren kann, hat das unlängst die niedersächsische 30.000-Seelenstadt Verden. Im nahe gelegenen Dörverden hat der Rechts-Statege Rieger im Juni 2004 ebenfalls über besagte Tietjen-Stiftung ein großes Gehöft erworben und zum Neonazitreffpunkt ausgebaut. Die Gegend gilt laut Verfassungsschutz als Zielregion der Rechtsextremisten. Auf juristischem Weg bemüht sich die Stadt, die Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude immer weiter einzuschränken, zum Beispiel darf der Hof nicht mehr als Wohnstätte benutzt werden. Als die NPD Anfang Februar einen Aufmarsch in Verden ankündigte, machte der dortige Bürgermeister mobil: Mehr als 120 Vereine, alle Kirchen und Institutionen der Stadt wurden gebeten, gemeinsam ein Fest der Demokratie in der gesamten Innenstadt zu gestalten. Die wurde auf diese Weise für die Extremisten blockiert. Gewitztes Schild an einem Stand: „Bei uns ist nur der Kaffee braun“. Vergeblich klagte die NPD dagegen, denn eine Kommune habe kein Recht gegen eine nicht verbotene Partei eine Veranstaltung zu planen. Denkste, konterte der SPD-Bürgermeister. „Ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen und die schützen wir hier vor einer politischen Strömung, nämlich vor demokratiefeindlichem Rechtsextremismus“.


Verdener Schülermüllabfuhr:
Der braune Dreck muss weg


Unterstützt wird er dabei von einem breiten Schülerbündnis, contrasst.de, das (im Kontrast zur ultrarechten Schülerwebsite kontrasst.de) sogar dafür gesorgt hat, dass Verdens Schulen mit einer zusätzlichen braunen Mülltonnen ausgestattet wurden, um rechtsextremistische Flugblätter, Zeitungen und CDs sofort wegzuschmeißen. Auch die örtliche Lokalzeitung agiert beispielhaft: zwei Redakteure wurden abgestellt, um bei den Verdener Nachrichten, die zum Weserkurier gehören, das Thema Rechtsextremismus kontinuierlich hochzuhalten. Mit seinen Erfahrungen wirbt Verdens Bürgermeister Lutz Brockmann inzwischen darum, dass sich auch Kommunen in einem Art Netzwerk gegen Rechts mit ihren erfahrungen austauschen, um voneinander zu lernen.

Hilflosigkeit in Dessau
Denn einfallsreich sind nicht viele Kommunen, eher hilflos. Beispiel Dessau in Sachsen-Anhalt.
Dort war Mitte März die NPD aufmarschiert, um ausgerechnet in der Stadt, in der Zyklon B zur Vergasung der Juden hergestellt wurde, an deutsche Bombenopfer zu erinnern. Für einen ungestörten Verlauf des Naziumzugs machte sich der parteilose Bürgermeister Dessaus stark, nachdem ein gerichtliches Verbot gescheitert war. Statt mit lautem Gegenprotest sollten die Nazis mit Nichtachtung gestraft werden, der Bürgermeister selbst suchte das Weite. Doch aus dem Ignorieren der Nazis wurde Ignoranz gegenüber dem Gesamtproblem.


Dessauer Negativbeispiel:
Polizei ebnete Neonazis ungehindert den Weg.


Sogar der öffentliche Nahverkehr wurde an jenem Sonnabend eingestellt und die Stadt weiträumig abgesperrt, so dass der Nazinachwuchs stolz bis zum Ehrenfriedhof Dessaus marschieren konnte. Selbst als ein junger Hamburger Rechtsaußen namens Alexander H. allen Gegnern der Demonstration wünschte, dass sie einmal so „gegrillt werden im Feuersturm", wie einst die Dessauer Bombenopfer, schritt die Polizei nicht ein. Dies sei „keine Aufforderung zu Gewalt, sondern liege noch im Ermessensspielraum freier Meinungsäußerung“.

„Politische Soldaten des Widerstands“
Landauf, landab haben in den vergangenen Wochen braune Kameradschaften, Gruppen des so genannten „Nationalen Widerstands“ und der NPD-Jugendorganisation JN solche Aufmärsche veranstaltet und Kommunen gereizt.

Welch Geistes Kind sie sind, machen ihre Selbstbeschreibungen deutlich.
Die „Jungen Nationaldemokraten“ definieren sich als erklärte Gegner des „herrschenden Systems“. Auf ihrer „Heimseite“ im Internet beschreiben sie sich als „politische Soldaten“ im Sinne einer „Vorhut...eines Deutschlands, welches ein auf der Solidargemeinschaft der deutschen Stämme begründetes neues Reich sein wird.“ Ihr Ziel sei es, „so viele Widerstandszellen wie möglich zu bilden“, und das als „als eine weltanschaulich-geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung und strenger innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivisten hohe Einsatz- und Opferbereitschaft abverlangt wird.“


Gezielte Provokation:
Aufruf rechter Demokratiefeinde nach Berlin.



Berlin als Schlachtfeld?
Gewieft hatten die jungen Nationaldemokraten schon im vergangenen November eine Demonstration am 8. Mai in Berlin angemeldet, die offensichtlich zum vorläufigen Höhepunkt der braunen Aufmarschiererei werden sollte. Das bewusst provozierende Motto genau 60 Jahre nach Kriegsende und Befreiung vom Hitlerfaschismus: „Gegen den Schuldkult“. Ausgerechnet am Brandenburger Tor. Die Bundeshauptstadt hatte verschlafen, das historisch so sensible Terrain rechtzeitig „zu besetzen“. Stattdessen kam arg verspätet und mit viel finanziellem Aufwand der Auftrag an eine Agentur zustande, rund um das Brandenburger Tor zwei Tage der Demokratie zu organisieren. Mit Stars von Boris Becker bis Yvonne Catterfeld und zahlreichen Informationsständen über die mühselige Basisarbeit von Initiativen gegen Rechtsextremismus (denen in Berlin gerade 10 Prozent ihrer Mittel gestrichen wurden). Auch die Amadeu Antonio Stiftung war auf Einladung des Serliner Senats vertreten. Mehr als 100.000 Menschen besuchten das Fest und halfen durch weitgehend friedliche Straßenblockaden den NPD-Aufzug zu verhindern.


Antifa-Gegenrede in Berlin-Pankow

Es hatte sich herumgesprochen, dass die Polizei Sitzblockaden auf der Nazilaufroute nicht wegräumen will, sollte es dazu kommen. Mehr als 3000 Bürger reagierten prompt. So wurde für die Neonazis ihr Ziel unerreichbar, Richtung Brandenburger Tor zu laufen. Zahlreiche Prominente hatten darum geworben, dass Bürger zur Demokratiemeile am Brandenburger Tor strömten, oder zu den anderen Gegen-Demonstrationen, wie der von den Brothers Keepers durch Berlins Mitte. Diese wurde gemeinsam angemeldet mit der Amadeu Antonio Stiftung, um entlang mehrerer kleiner Mahnmäler den Opfern von Nazis und Neonazis zu gedenken, die die Rechtsaußen bis heute verleugnen. Es war für die Neonazis "die größte Provokation“ sagte der evangelische Landesbischof Huber, „nicht wahrgenommen zu werden im Gegensatz zu denen, die Engagement für Demokratie und Toleranz bewiesen“. Sicherlich: überzeugend war zwar das Resultat, nur der Anlauf eben nicht. "Wir haben alle gepennt", meinte im Blick zurück der Berliner Diakoniesprecher Christian Weber.


8.Mai: Überraschend klarer Bürgermut - Tausende Berliner
versperren der NPD den Zugang Unter die Linden (Foto: dpa)



Langfristiges Denken in Wunsiedel

Geschickter und vor allem strategisch langfristig geht inzwischen die bayrische Gemeinde Wunsiedel vor. Alljährlich rund um den 17.August feiern dort Neonazis mit einem Aufmarsch den Geburtstag des dort beerdigten Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess. Diesmal soll am 20. August auch in Wunsiedel ein Tag der Demokratie gefeiert werden. Zu diesem Zweck sind bei der Verwaltung Veranstaltungsanmeldungen aus der ganzen Bundesrepublik extra erwünscht - sogar jetzt schon 15 Jahre im Voraus. Auch jeder Bürger der Stadt - so lautet ein Vorschlag auf www.wunsiedel-ist-bunt.de - soll vor seiner Haustür eine Veranstaltung anmelden, um die Bewegungsfreiheit der Nazis Richtung Null zu reduzieren. Wichtigstes Kalkül der Kommune: Wenn die Gegenaktionen der Bürger im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen, verlieren die Nazis die Lust, für ihren Marsch durch Wunsiedel zu mobilisieren. Zweites Ziel: eine Musterklage.



Ein frühzeitig angemeldtere rechter Aufzug darf keinen Vorrang vor einer Mehrzahl anderer Anmeldungen haben, auch wenn diese später erfolgen.
Wunsiedels zweiter CSU-Bürgermeister Matthias Popp weiß inzwischen schon rund 500 Bürger hinter sich, die das örtliche Bündnis gegen Rechtsextremismus tragen. "Das ist sensationell viel". Gleichwohl sieht er Tendenzen, die ihm Sorge machen: Denn vor Ort wächst auch der Zulauf zur Neonazibewegung: "Da machen inzwischen junge Leute aus angesehenen Familien mit, denen das niemand zugetraut hätte", beobachtet er. „Nahezu jede Gemeinde hier, jede Schule hat ein solches Rechtsextremismus-Problem, aber hat Angst, darüber zu reden. Genau damit fördern wir erst den Erfolg dieser Leute!“

Brothers Keepers schützen Ducherow
Davon können derzeit die Brothers Keepers ein Lied singen. Die multikulturelle deutsche Band ist eine Partnerschaft mit einer Schule im mecklenburgischen Ducherow eingegangen, die jetzt mangels ausreichender Schülerzahl geschlossen werden soll. Als sie jüngst zur Sympathiekundgebung nach Ducherow reisten und mit Schülern das Ausmaß rechter Durchdringung diskutierten, machten die aus ihren bedrückenden Erfahrungen keinen Hehl. Eltern und Lokalpolitiker wollten allerdings nichts davon wissen.


Neonazis aus Ducherow in Pasewalk:
Von den Stadtvätern geflissentlich übersehen.


Längst sind hier Neonazis in die Strukturen von Freiwilligen Feuerwehren, Sozialverbänden und Schülervertretungen vorgedrungen und verteilen regelmäßig selbstgedruckte Zeitungen, die prall sind mit nur oberflächlich harmlos scheinender Deutschtümelei. "Für uns ist eine artgerechte völkische Kultur die Grundlage zur Erhaltung und Gesundung unseres Volkes" heißt es beispielsweise im Selbstverständnis des Ueckermünder Kulturkreises, der sich rühmt, oft überfallartig im braven Volkstanzkostüm mal ein Dorfest, eine goldene Hochzeit oder ein Erntedankfest zu besuchen, um nach "einer kurzen knalligen Rede Taten sprechen zu lassen".

Braune Aussichten?

„Die sind dabei, zielgerichtet Netzwerke auszubauen, indem sie "wie mit trojanischen Pferden in neue Strukturen vordringen, um sich vorzubereiten auf ihren Tag X", resümiert Günther Hoffmann vom Netzwerk Vorpommern des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Diesen Tag X beschreiben die Anhänger des Heimatbunds schon mal mit Gedichten in ihrer Zeitung, in denen sie sich als "der deutschen Zukunft Saat" betrachten : "Wir schreiten gegen die Masse der Zeit/ Und stehen mit Opfer und Tat bereit/....Wir werden trotzen und schreiten zur Tat/Auch wenn der Tod auf uns warten mag".


© mut-gegen-rechte-gewalt.de - 06.05.2005/09.05.2005 
    Copyright Leipzig-Fotos: Raymond Romanos

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Demonstrationszug in Leipzig