Wissenschaftliche Bücher sind sachlich bis zur Langeweile – das ist mehr als nur ein Vorurteil. Dass es auch anders gehen kann, beweist Andreas Klärner mit seiner Feldstudie „Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit“. Für mehrere Monate ließ sich der Wissenschaftler in einer größeren ostdeutschen Stadt nieder und suchte das Gespräch mit lokalen Größen der rechtsextremen Szene. Sein jüngst erschienenes Buch ist dabei so unterhaltsam, dass es an einigen Stellen, trotz der Brisanz des Themas, schwerfällt, sich das Schmunzeln zu verkneifen.Von Robert Scholz, endstation-rechts.de
Das Buch ist die überarbeitete und gekürzte Fassung von Klärners Dissertation, die er vor anderthalb Jahren an der TU Darmstadt verteidigte. Der einzige Schwachpunkt dabei ist, dass die Aktualisierung leider nur sporadisch vorgenommen wurde. Nichtsdestotrotz ist das Buch eines der interessantesten Bücher, das in den letzen Jahren zum Thema Rechtsextremismus erschienen ist. Denn im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern bastelt der Soziologe nicht aus einer Vielzahl an Sekundärquellen eine Tertiärquelle, sondern begibt sich aus dem Elfenbeinturm des Wissenschaftlers hinab zu den Niederungen des Forschungsgebietes.
Aus Gründen der Anonymisierung nennt Klärner uns diese „Niederung“ nicht beim Namen und spricht von „A-Stadt“. A-Stadt wird als „größere Stadt“ in Ostdeutschland mit einer „äußerst aktiven rechtsextremen Szene“ beschrieben. Der Autor mietete sich in einem als Stadtteil A-Stadts schließlich eine Wohnung und suchte über mehre Monate den Kontakt zur rechtsextremen Szene. Wissenschaftlich betrachtet er den Rechtsextremismus als „soziale Bewegung“. „Soziale Bewegungen streben“, so Klärner, „einen grundlegenden sozialen Wandel an, sind nicht hierarchisch, sondern netzwerkartig organisiert, verfügen nicht über ein formalisiertes, für alle Anhänger verbindliches Programm, setzen ein breites Repertoire an Aktionsformen und vielfältige Mittel kollektiven und öffentlichen Protests ein, und die Mitgliedschaft ist offen und formal kaum fixiert.“ (S. 40)
Diesen sozialwissenschaftlichen Forschungsansatz, der ursprünglich das Phänomen „neuer sozialer Bewegungen“ erfassen wollte, versucht der Autor, für die rechtsextreme Bewegung urbar zu machen. Dies tut er allerdings nicht (ausschließlich) theoretisch, sondern an einem konkreten Beispiel: A-Stadt. Seinem Ansatz folgend versteht er die NPD nicht allein als „Wahlpartei“, sondern auch als „Bewegungsorganisation“. Seine Interviewpartner wählte er daher nach drei Kategorien aus: „lokale Bewegungselite“, „Basisaktivisten“ und „Umfeld der Bewegung“.
"Lokale Bewegungselite"
Die „lokale Bewegungselite“ sind laut Klärner die „Interpretationsspezialisten“, die für die „Systematisierung struktureller Unzufriedenheit“ sorgen. Als Vertreter in A-Stadt standen Klärner zum einen ein NPD-Funktionär „Peter“ (Klärner anonymisierte auch die Personen) sowie mit „Michael“ und „Rene“ zwei Vertreter der „rechtsextremen Avantgarde“ zur Verfügung.
Bei den „Basisaktivisten“, die „Anregungen und Ideen“ der „Bewegungselite“ „aufgreifen, Aktionen vorbereiten und umsetzen, die Verteilung von Flugblättern übernehmen, sich am Aufbau von Lautsprecheranlagen und Bierbänken beteiligen“, sprach der Soziologe mit drei Personen aus A-Stadt. Zu ihnen gehörten der „Parteisoldat“ „Markus“, der für die NPD Plakate klebte, der „Bewegungsaktivist“ „Lars“, der sich zu den „Freien Kräften“ zählt und in einer „Skinhead Band“ spielt und „Lena“, die 15-jährige, „bieder“ aussehende Redakteurin einer Schülerzeitung, die „vor allem wegen ihres Verlobten in die rechtsextreme Szene geraten ist“ (176).
"Säufer vor der Kaufhalle"
Zum „Umfeld der Szene“ zählt Klärner „Unterstützer und Sympathisanten, die zwar Werte und Ziele der Bewegung teilen, [sich] aber nur sehr eingeschränkt an Aktionen beteiligen“ (182). Weniger wissenschaftlich, dafür vermutlich treffender, bezeichnet er seine Interviewpartner „Ronny“ und „Sven“ mit den Worten seiner vorherigen Gesprächspartner als „Asis“ bzw. „Säufer vor der Kaufhalle“. Zum Zeitpunkt des Interviews waren beide „alkoholisiert“. Klärner sprach mit den beiden in „Svens“ Wohnung, und beschreibt die Gesprächsumstände wie folgt:
Die Couch war auf den Fernseher ausgerichtet, auf dem Wandregal befanden sich ein billiger Kassettenrecorder und ein Stapel Musikkassetten. Als Wandschmuck gab es einige NPD-Aufkleber, die jedoch nicht auf die Tapete geklebt, sondern fein säuberlich mit Reißzwecken an die Wand geheftet waren, […] sowie einen, ebenfalls mit Reißzwecken befestigten, DIN-A4-Druck oder eine sehr gute Farbkopie eines Gemäldes von Hubert Lanzinger aus den 1930er Jahren, das den „Bannerträger“ Adolf Hitler in Ritterrüstung auf einem Pferd zeigt. […] Nachdem Kaffee, Kuchen und Bier auf dem Tisch standen, diskutierten die vier kurz [die Freundinnen von Ronny und Sven waren ebenfalls anwesend], ob wir zuerst einen Videofilm schauen oder erst das Gespräch führen sollen. Glücklicherweise wurde mein Vorschlag, das Interview an den Beginn zu stellen, auch von Ronnys Freundin unterstützt, so dass Ronny und Sven sich darauf einließen.(185)
Klärners Wissenschaftlichkeit zeigt sich gerade in dieser Einteilung in drei verschiedene Typen. Er arbeitet also nicht mit einer Denkschablone, die den Rechtsextremismus in ein einheitliches, kohärentes Weltbild presst, sondern er differenziert. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Positionen arbeitet Klärner dabei deutlich anhand der Praxis heraus. Vor allem im Kapitel zur Selbstbeschreibung werden die Unterschiede zwischen den drei verschiedenen Kategorien deutlich. Klärner geht hier unter anderem der Frage „Wer sind wir?“ mithilfe seiner Interviews nach. Als zentrale Größe arbeitet er dabei das „Volk“ heraus, das zwar alle Vertreter als Richtgröße in den Interviews angaben. Allerdings hatten die verschiedenen Gesprächspartner zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was dieses „Volk“ ausmacht: „Am aufschlussreichsten sind in dieser Hinsicht die Ausführungen von Ronny und Sven, die ein klassisch rassistisches Konzept des deutschen Volkes vertreten, diejenigen von Maik und Michael, die das ‚Blut‘ als Volkssubstanz ausmachen, und die von Rene und Peter, für die Kultur und Geschichte diese Funktion übernehmen.“ (226)
Zwar schreibt Klärner selbst, dass seine Arbeit aufgrund der geringen empirischen Basis keinen Allgemeingültigkeitsanspruch behaupten kann, sie liefert allerdings als erste wissenschaftliche Studie einen differenzierten soziologischen Zugang zu unterschiedlichen Formen des Rechtsextremismus in der Praxis. Noch dazu ist das Buch leicht verständlich geschrieben und versteht es, die Wissenschaft quasi „nebenbei“ einfließen zu lassen. Allen, die daran interessiert sind, Rechtsextreme jenseits von Pauschalurteilen verstehen zu wollen, bietet dieses Buch dazu die Möglichkeit.
Andreas Klärner
Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit: Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten
Hamburger Edition, Hamburg September 2008.
348 Seiten, gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 25 Euro
ISBN: 978-3936096934
Mit freundlicher Genehmigung von
endstation-rechts.de.
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