In vielen Gesetzen oder Dokumenten des Menschenrechtsschutzes wird unbedacht immer noch der Begriff der „Rasse“ verwendet, der eindeutig aus rassistischen Theorien hervorgeht. Eine neue Studie des Instituts für Menschenrechte empfiehlt dringend, diese Praxis zu ändern. Es wäre ein wichtiger Schritt, denn welcher Gesetzestext kann glaubhaft Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen verhindern wollen, wenn er selbst mit einem ideologisch belasteten Begriff wie „Rasse“ operiert?
Von
Sarah Köneke
Mit der Frage, ob der Begriff der „Rasse“ weiterhin verwendet werden sollte, beschäftigt sich Dr. jur. Hendrik Cremer in seiner Ausführung „’… und welcher Rasse gehören Sie an?’ Zur Problematik des Begriffs ‚Rasse’ in der Gesetzgebung“. Hendrik Cremer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er ist Experte für die UN-Kinderrechtskonvention und promovierte zu der Rechtsstellung unbegleiteter Flüchtlingskinder nach der Kinderrechtskonvention. Außerdem zählen Diskriminierungsschutz, Migration und Folterprävention zu seinen Themenschwerpunkten.
Wie sehr der Begriff „Rasse“ für rassistische Denkweisen und Ideologien steht, zeigt Hendrik Cremer an der begriffsgeschichtlichen Entwicklung. Es ist belegt, dass der Begriff „Rasse“ seit dem 13. Jahrhundert in den romanischen Sprachen gebraucht wird. Der etymologische Ursprung des Wortes ist jedoch unklar. Zu dieser Zeit wurde „Rasse“ im Sinne von Abstammung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie, einem Haus von „edlem Geschlecht“ oder als Synonym für „Herrscherhaus“ benutzt. Der Adel versuchte, sich durch die Regeln der Abstammung vom „normalen“ Volk abzugrenzen. Besonders deutlich wird dies, als der Begriff „Rasse“ mit dem Hinweis auf die „Reinheit des Blutes“ zu einem politischen Schlüsselbegriff wird. Bereits zu diesem Zeitpunkt grenzt sich also eine bestimmte Menschengruppe mithilfe des Begriffs der „Rasse“ ab und stellt sich über andere Menschen. 1492 wird der Begriff in Spanien dann erstmals im Zusammenhang mit Juden verwendet. Man diskriminiert mit dem Hinweis auf eine angebliche „Reinheit des Blutes“ Juden und schließt sie aus der spanischen Gesellschaft aus.
Geschichte des Begriffs „Rasse“
Im Zuge der Aufklärung wurde seit dem 17. Jahrhundert der Begriff der „Rasse“ für die Kategorisierung von Menschen verwendet. Er wurde zudem auch immer öfter benutzt, um die Bevölkerung anderer Länder zu beschreiben. 1684 trat der Begriff „Rasse“ erstmals in seiner „modernen“ Form auf. François Bernier kategorisierte die Menschen nach physischen Merkmalen wie ihrer Hautfarbe, Statur oder Gesichtsform. Es gab jedoch auch ganz andere Erklärungsansätze für die Kategorienbildung und die Einteilung in unterschiedliche „Rassen“. Die verschiedenen Theorien hatten jedoch alle etwas gemeinsam. Sie schafften neben der Einteilung in Rassen gleichzeitig eine Hierarchie, bei der die „weiße“ oder „europäische Rasse“ den anderen Rassen grundsätzlich überlegen war und als etwas Besseres angesehen wurde.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es dann vermehrt Veröffentlichungen, in denen das Judentum nicht als Glaubensrichtung, sondern als angeblich eigene Rasse bezeichnet wurde. Alte christliche Vorurteile gegenüber Juden wurden übernommen, aber sozusagen modernisiert und ergänzt. Darüber hinaus wurden Juden schlechteste Charaktereigenschaften zugeschrieben und gefährliche politische Ziele wie Revolution oder Weltherrschaft. Der gebürtige Engländer Houston Stewart Chamberlain ging in seinem 1899 erschienenen Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ noch einen Schritt weiter. Er verherrlichte die „arisch-germanische Rasse“, der laut seines Werkes legitimer Weise die Weltherrschaft zustünde, und den „Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte“. Andere „Rassen“, wie zum Beispiel „Neger“, bezeichnete er als eine „untergeordnete, minderwertige, in sich selbst kulturunfähige Menschenunterart“. Eine direkte Bedrohung der „arisch-germanischen Rasse“ sah er im Judentum, da dieses ebenfalls die Weltherrschaft anstrebe. Allgemein bildeten Juden bei Chamberlain das negative Gegenbild zu seinem „arisch-germanischen“ Ideal. Bei diesen Theorien ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Nationalsozialisten später immer wieder auf Chamberlain beriefen.
Die Rassenideologie fand ihren traurigen Höhepunkt schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts im Nationalsozialismus. Im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie stand der „Rassenkampf“, bei dem die „Arier“ eine sogenannte „Herrenrasse“ bildeten. In diesem Kampf, der auch als "Endkampf" propagiert wurde, sollte die „Reinhaltung des Blutes“ gesichert und gleichzeitig das „gefährliche“ und „parasitenhafte“ Judentum vernichtet werden. Rassenlehre und Antisemitismus wurden also untrennbar miteinander verknüpft. Die Konsequenz aus dieser menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten war der Genozid am Judentum und damit die systematische Vernichtung „unwerten Lebens“.
Heutige Verwendung des Begriffs „Rasse“
Trotz der negativen Belastung des Begriffs wurde er auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges weiter verwendet. Seine Ausbreitung ist jedoch völlig unterschiedlich. Es gab auf internationaler Ebene des Öfteren Aufrufe, den Begriff der „Rasse“ zu vermeiden. Vor allem die UNESCO setzte sich mehrfach dafür ein. Bereits 1950 wies sie in ihrem „Statement on Race“ darauf hin, dass die Terminologie „Rasse“ für einen bestimmten sozialen Mythos stehe, der sehr viel Gewalt verursacht habe. 1978 ging sie dann noch einen Schritt weiter und ließ offiziell verlauten: „Alle Menschen gehören einer einzigen Art an und stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. Sie sind gleich an Würde und Rechten geboren und bilden gemeinsam die Menschheit.“ Und im Juni 1995 sprachen sich Anthropologen, Humangenetiker und Biologen auf der UNESCO-Konferenz „Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung“ gegen das Konzept der „Rasse“ aus. Die Forscher erklärten, es gebe keinen wissenschaftlichen Grund an der Einteilung in „Rassen“ festzuhalten, da die menschliche Vielfalt aus wissenschaftlicher Sicht nicht in „rassische“ Kategorien einzuordnen sei. Erst recht könne man nicht von genetisch bedingten Merkmalen auf den sozialen Wert eines Menschen schließen.
Doch trotz dieser Bemühungen und dem weitgehenden Konsens, dass der Begriff der „Rasse“ nicht zutreffend ist, blieb er durchgängig in den internationalen Dokumenten des Menschenrechtsschutzes stehen. Ein Beispiel dafür ist die Anti-Rassismus-Richtlinie 2000/43/EG der Europäischen Gemeinschaft. Bei der Ermächtigungsgrundlage für diese Richtlinie wurde bereits der Begriff „Rasse“ verwendet, ohne dass es Proteste der Mitgliedsstaaten gegeben hätte. Dies änderte sich zwei Jahre später bei der Ausarbeitung der Richtlinie selbst. Mehrere Mitgliedsstaaten hatten Bedenken bekommen und wiesen darauf hin, dass das Verwenden dieses Begriffes einer Akzeptanz rassistischer Theorien gleichkomme. Es gab aber auch einige, die die Verwendung des Begriffs entschieden befürworteten, da er dem normalen Sprachgebrauch entspreche und nur mit ihm eine Richtlinie gegen Rassismus eindeutig formuliert werden könne. Der Kompromiss, der schließlich gefunden wurde, ließ den Begriff „Rasse“ zu. Allerdings wurde der Richtlinie der Erwägungsgrund 6 voran gestellt, in dem die EU sämtliche Theorien zurückweist, die die Existenz verschiedener menschlicher Rassen belegen.
Andere Länder fortschrittlicher
Auf nationaler Ebene wird mit dem Begriff der „Rasse“ ganz unterschiedlich verfahren. Viele EU-Staaten haben in der Umsetzung der EU-Richtlinie bewusst darauf geachtet, den Begriff „Rasse“ in ihren nationalen Gesetzen nicht zu verwenden. In Finnland wurden beispielsweise stattdessen lediglich die Begriffe „Herkunft“ beziehungsweise „ethnische und nationale Herkunft“ verwendet. Schweden und Österreich benutzten etwa statt „Rasse“ den Begriff der „ethnischen Zugehörigkeit“. In Deutschland dagegen findet sich der Begriff der „Rasse“ noch immer in den entsprechenden Gesetzestexten. Sogar in der deutschen Verfassung, in der die grundsätzlichen staatlichen Werte festgelegt sind, wird „Rasse“ im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 verwendet: „Niemand darf wegen … seiner Rasse, … benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Besonders in der Verfassung, die ja das Fundament der deutschen Rechtsordnung bildet, wäre es wichtig, nicht mehr diesen Begriff zu verwenden, sondern eine andere Formulierung zu finden, die den Schutzbereich der Norm nicht vermindert.
Auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das unter anderem die EU-Richtlinie gegen Rassismus umsetzt ist von „Rasse“ die Rede. In § 1 AGG heißt es: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen ethnischer Herkunft, … zu verhindern oder zu beseitigen.“ Für diesen Gesetzestext wäre beispielsweise eine Änderung in „Ziel des Gesetzes ist, rassistische Benachteiligungen oder Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, … zu verhindern oder zu beseitigen.“ denkbar. Dabei wird „Rasse“ also durch „rassistische Benachteiligungen“ ersetzt, einem unbestimmten Rechtsbegriff, der genauso wie „Rasse“ im jeweiligen Fall durch Auslegung zu bestimmen wäre.
Aber wie den Begriff ersetzen?
Hendrik Cremer betont, dass bei dem Ersetzen des Begriffs „Rasse“ besonders darauf zu achten ist, dass er adäquat ersetzt wird. Es erklärt, dass dies mit Formulierungen wie „ethnische Herkunft“ oder „ethische Zugehörigkeit“ allein nicht unbedingt möglich ist. Wenn auf den Begriff „Rasse“ verzichtet wird, sei es wichtig, immer den Begriff „Rassismus“ im Gesetzestext selbst zu nennen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Es sei ebenso wichtig, darauf zu achten, dass die gewählte Formulierung nicht zu eng verstanden wird und somit eventuell die Norm nicht alle Formen des Rassismus oder des Verstoßes gegen die Gleichheit aller Menschen abdeckt. Darüber hinaus dürfe nicht bloß die unmittelbare, also direkte Diskriminierung abgedeckt werden, sondern auch die mittelbare und somit indirekte Diskriminierung müsse bei einer veränderten Formulierung bedacht werden.
Es muss also festgehalten werden, dass der Begriff der „Rasse“, der ideologisch eindeutig nicht zu vertreten ist, aus den Gesetzestexten verschwinden sollte, da er wie oben beschrieben seit jeher diskriminierend und rassistisch belegt ist. Und das sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Auch die Diskussion, die sich keineswegs nur in Deutschland, sondern auf internationaler Ebene abspielt, zeigt die Wichtigkeit dieses Schrittes. Allerdings bleibt zu betonen, dass in dieser Hinsicht langfristig gedacht werden muss. Es bringt nichts, unüberlegt den Begriff der „Rasse“ aus den Gesetzesbüchern zu streichen. Es ist absolut notwendig für den Schutz derer, die durch das entsprechende Gesetz geschützt werden sollen, eine gleichwertige Formulierung zu finden. Denn einen rassistisch belegten Begriff zu streichen, um aber gleichzeitig wegen unüberlegter Wortwahl den Anti-Rassismus-Gesetzen teilweise die Wirkung und den Schutzbereich zu nehmen, wäre mehr als kontraproduktiv.
Den ausführlichen Bericht von Dr. jur. Hendrik Cremer „’… und welcher Rasse gehören Sie an?’ Zur Problematik des Begriffs ‚Rasse’ in der Gesetzgebung“ finden Sie unter: http://files.institut-fuer-menschenrechte.de/488/d81_v1_file_48b3bc51eb1d9_pp_rasse.pdf
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: hk