Aus Charkow in der Ukraine sind sie als jüdische Kontingentflüchtlinge nach München gekommen: Leonid, der Schachspieler, Olga, die Filmemacherin, Nina, die Russischlehrerin.
Der Film „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land“, zweiter Teil einer Trilogie zur Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945, erzählt die Lebensgeschichten dieser Menschen, die Probleme in ihrer alten Heimat, der Sowjetunion, und ihrer neuen Heimat Deutschland. Begleitet wurde der Film von Micha Brumlik und Michael Wolffsohn, die ausführlich interviewt wurden.
Von
Claire Keruzec
Zu Beginn ein Blick zurück: 9. November 1989, die Mauer ist offen, Kanzler Kohl darum bemüht, die europäischen Nachbarn in ihrer Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland zu beruhigen. Die beschwichtigende symbolische Geste: 200.000 jüdische Emigranten aus der Sowjetunion. Eine Zeitlang hatte Deutschland so die am schnellsten wachsende jüdische Gemeinde der Welt.
Der Film zeigt die Theatergruppe der jüdischen Gemeinde in München. Ohne die Einwanderer gäbe es sie nicht. Ohne sie auch keinen Chor, keinen Schachclub und kein neues Gemeindezentrum.
Leonid, Olga und all die anderen, die Daniel Targownik und Janusch Kozminski in ihrem Film zu Wort kommen lassen, sind dem Antisemitismus in der Sowjetunion entflohen.
Dort durften sie ihre Berufe nicht frei wählen, ihre Religion nicht ausüben. Die Synagoge betraten sie nur im Sportdress – sie war Sitz des Sportvereins Charkows.
Weil sie jahrelang in einem religionsfeindlichen, antisemitischen Land lebten, haben sie oft auch den Bezug zu ihren jüdischen Wurzeln verloren. Nun sitzen sie in der Münchener Synagoge und der Rabbiner unterbricht seine Zeremonie für Belehrungen. Das Judentum müssen viele der Flüchtlinge erst neu entdecken, in der russischen Kultur fühlen sie sich mehr zu Hause als in der Synagoge.
Ein anderer Teil der jüdischen Kontingentflüchtlinge ist nach den religiösen Gesetzen des Judentums gar nicht jüdisch - für die deutschen Behörden jedoch schon – in ihrem sowjetischen Pass stand schließlich als Nationalität „jüdisch“. Diese unterschiedlichen Definitionen führen zu Konflikten.
Flüchtlinge mit „jüdischem Ticket“ wird diese Gruppe der Kontingentflüchtlinge oft verächtlich genannt. Robert Rajber, alteingesessenes Mitglied der Münchener jüdischen Gemeinde, findet, dass die jüdischen Einwanderer zu wenig Einsatz und Interesse an die Gemeinde zurück geben.
Der Historiker Michael Wolffsohn hält mit Kosten-Nutzen-Denken dagegen: er spricht von einem zumindest für die Bundesrepublik „kostenlosen Import“ einer „qualitativ hochstehenden Einwanderungsgruppe“.
Der Film jedoch fragt: gibt die Gemeinde denn ihren neuen Mitgliedern überhaupt genug?
Warum kann sich die russische Nachmittagsschule vor dem Ansturm kaum retten, während die Synagoge leer bleibt?
Am Ende des Filmes noch ein Blick nach Charkow: In der Synagoge wird nicht mehr gefochten oder Handball gespielt – das jüdische Leben in der Stadt blüht wieder auf. Doch Anatoly Girshfeld, jüdischer Unternehmer in Charkow, ist trotzdem nicht beruhigt. Es gäbe zwar keinen öffentlichen Antisemitismus mehr, sagt er, doch der Antisemitismus sei auch noch nicht ganz raus aus den Köpfen der Menschen.
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