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„Schwarze Geister, neue Nazis“ - unter diesem Titel beschreibt der Fernsehjournalist Rainer Fromm die Anziehungskraft von totalitären Organisationen auf Jugendliche. Er untersucht Grufties und Black Metal, Satanismus, Vampire und Rechtsextremismus - und stößt auf beunruhigende Parallelen. Diese Jugendsubkulturen bestehen meist aus weiteren Subkulturen, die mindestens eine Gemeinsamkeit haben: ihre Nähe zum rechtsextremen Weltbild und zu menschenverachtender Ideologie.
Von Franziska Schwarzmann
Gemeinsames Rezept: Musik als Einstieg
Dieses ideologische Element besteht unabhängig von der Subkultur: Sozialdarwinismus, eine Kultur der Verachtung des Schwächeren, der Glaube an die Übermacht der arischen Herrenrasse – dieser Irrglaube wird den Anhängern suggeriert, eingetrichtert. Musik spielt als Instrument der Indoktrination eine besondere Rolle. Manchmal wird über gewalttätige Musik auch erst der Kontakt eines Jugendlichen zur Szene hergestellt. Jede Subkultur wird durch zahlreiche Bands repräsentiert. Bekannte Mitglieder von Musikgruppen geben oft auch einen Trend vor. Sie fungieren als Idole. Die Sehnsucht mancher Jugendlicher, sich positionieren zu wollen, führt so weit, dass sie ihre Idole imitieren ohne nachzudenken. Der Autor lässt die Frage offen, ob gegen systemfeindliche, rechtsradikale oder gewaltverherrlichende Musik nicht härter vorgegangen werden sollte. Leider ist der Einfluss der Texte auf Jugendliche noch nicht ausreichend untersucht.Die Verantwortlichen in der Szene hingegen sind sich über die Stellung der Musik bewusst: „Nimm der Szene die Musik, und sie ist tot“ lautet ein Eintrag in einem Szene-Forum.
Die nationalsozialistische Szene ist stolz darauf, ihr musikalisches Spektrum ständig erweitert zu haben. Das jugendliche Publikum, das sie dadurch ansprechen, hat sich dadurch erheblich vergrößert. Nazis sind keine Skinheads mehr: zahlreiche Vertriebe sind ein Indiz, dass sich ein Markt gebildet hat für jede Form von nationalsozialistischer Anhängerschaft. So gibt es rechtsextreme Kleidungsvertriebe, die auch für Hip Hopper produzieren.
Wer sich auf die Realität einlässt, muss die beruhigende Eindeutigkeit aufgeben.
Nicht jede Subkultur ist automatisch rechtsextrem – aber Fromm gibt zu bedenken, dass sich jugendliche Rechte nicht mehr an einem eindeutigen Stil erkennen lassen. Die einfache Kategorisierung der rechten Szene ist nicht mehr möglich. „Ein Mix unterschiedlicher Stilelemente aus den Genres Skinhead, Metal, Rocker, Hooligan, Hio-Hop, Techno und Gothic“ biete sich den Beobachtern. Gerade das machtedie Szene gefährlich: „Rechtsextremismus als Erlebniswelt und Moment der Identitätsstiftung ist eine Saat, die in der gesellschaftlichen Mitte aufgeht.“
Realitätsverlust als Gefahr
Obwohl die Subkulturen sich unterscheiden, lässt sich außer der gemeinsamen Nähe zu rechtsradikalen Einstellungen eine weitere Gemeinsamkeit festhalten: mindestens eine große Sehnsucht bleibt im Leben der Jugendlichen unerfüllt. Dabei handelt es sich um ambivalente Sehnsüchte: Anerkennung, Erfolg, Aufmerksamkeit, Liebe. Oft kommen die Jugendlichen aus schweren familiären Verhältnissen – aber wie schon oft zuvor festgestellt kann die problematische Sozialisation nicht die alleinige Erklärung sein, warum Jugendliche sich zweifelhaften Subkulturen anschließen.
Die Todessehnsucht eines Mädchens, die schließlich so groß wird, dass sie ihre Freunde anbettelt, ihr die Kehle zu durchtrennen. Das Satanisten-Ehepaar Ruda, extrem persönlichkeitsgestörte Pseudosatanisten, die kaltblütig einen ihrer Bekannten ermorden haben. Und damit auch noch zum Vorbild für viele Jugendliche Okkult-Verehrer werden. Mit solchen Beispielen erläutert Fromm die Gefahr des Realitätsverlustes nach Eintritt in eine Subkultur: „Die Phantasievorstellung wird über den reellen Zweifel erhaben“, so erklärt Manuela Ruda, Gastautorin in Fromms Buch, ihre Entwicklung. Die anfangs gehegten Zweifel über die Wirklichkeit von Vampiren legt sie völlig ab. Als sie mit ihrem Ehemann den Mord begeht, lebt sie in ihrer eigenen Phantasiewelt, isoliert von der Gesellschaft, unzugänglich selbst für ihre Therapeutin.
Ergreifend ist ihr Resümee: von einer Verantwortung schreibt sie, die sie als straffällig gewordene gegenüber all den Anhängern des Satanismus hat. Sie müss etwas für die Jugendlichen tun, die in ihrer früheren Persönlichkeit als "Pseudosatanistin" ein Vorbild sehen. Zum Handeln fordert sie auch die Gesellschaft auf.
Eines steht fest: die Grenzen zwischen Vampiristen, Satanistin und Grufties sind fließend. So berichtet Mauela Ruda, dass ihr Hass gegen andere Menschen durch den Kontakt von National Socialist Black Metal-Anhängern erzeugt wurde. Diese noch sehr junge Subkultur vereint den aus Heavy Metal entstandenen Black Metal, der sich durch eine stark antichristliche Haltung auszeichnet, mit nationalsozialistischen Einstellungen. Einer seiner bekanntesten Vertreter, Hendrik M. – ehemaliger Liedsänger der Band Absurdsteht im Sommer 2006 nach Gefängnisaufenthalt wieder auf der Bühne. Nach Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Mordes, fragt er öffentlich: „Ich weiß ja nicht, ob man in der Nazizeit bestraft worden wäre, wenn man Volksschädlinge unschädlich gemacht hätte.“
Kritik an den Medien
Besonders die Medien werden in Fromms Buch immer wieder harsch angegriffen: Indem sie den Mord, an dem M. beteiligt war, zum „kalkulierten Satansmord“ hochstilisierten, verhalfen sie dem Black-Metaller zu einem Helden-Image innerhalb seiner Szene. „Einmal mehr werden die Medien mit ihrer völlig undifferenzierten Berichterstattung zum Königsmacher einer Subkultur.“
Resümee
Rainer Fromm bündelt in seinem Werk viele neue Tatsachen und zeigt ungeahnte Zusammenhänge auf. Eine gründliche Arbeit, die Augen öffnen kann. Neben den Beschreibungen und Angst einflößenden Beispielen fehlt es mir allerdings an „Warum?“ und „Was jetzt?“. Das Buch steht sinnbildlich für einen Appell an die Gesellschaft, mediale Öffentlichkeit und Politik, endlich genauer hinzusehen, was in einer Reihe Jugendsubkulturen passiert, und die Zugehörigkeit zu einer dieser Subkulturen nicht mehr als jugendliche Sünde abzutun. Schon gar nicht, wenn auf Musiktexte Taten folgen, oder dazu angestachelt wird, wie im Beispiel durch eine norwegische Black Metall-Band, die singt: „Wir brennen Kirchen ab, um die Wut der Christen zu verstärken. Vielleicht können wir dann Krieg mit ihnen führen.“
Mit seinem Fokus auf die Gewaltdelikte, die im Namen einer Subkultur geschehen, hinterlässt Fromm aber auch ein ungutes Gefühl. Indem er detailliert die Gewalt der Täter beschreibt, gibt er denen ein Forum, welches eigentlich ihren - noch lebenden - Opfern ihrer Verbrechen gebührt hätte.
Es fehlt auch an Ideen: Was muss sich ändern in der Gesellschaft, damit Jugendliche nicht mehr in ihre Phantasiewelt flüchten? Dieser Frage können sich nur alle Verantwortlichen gemeinsam widmen und sie müsste unabhängig von Populismus und politischen Agitationen beantwortet werden.
Dennoch - ein wichtiges Buch. Es erweitert Horizonte, insofern, als dass es Zusammenhänge aufzeigt , auf die so deutlich bislang noch nicht hingewiesen wurde. Außerdem liefert es Beispiele, die eine Verharmlosungstendenz von Medien und Politikern nicht mehr zulassen. Auch die bislang übliche Stereotypisierung der nationalsozialistischen Szene führt in Irrwege, denn längst ist der rechtsextreme Zulauf unter Jugendlichen keine vorübergehende Episode abenteuerlustiger Unterschichtler mehr und kann nicht auf eine Szene beschränkt betrachtet werden – das vor allem hebt der Autor Fromm hervor. Extrem beunruhigend.
Rainer Fromm; "Schwarze Geister, Neue Nazis". Jugendliche im Visier totalitärer Bewegungen, 352 Seiten, erschienen Januar 2008 im Olzog Verlag, München
Textauszug aus dem Buch über schwarzbraune Musik-Netzwerke: >klick
Weiterer Buchtipp: >klick