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Warum hat die NPD zeitweise ausgerechnet 8,80 Euro Mindestlohn gefordert? Gewiss auch, weil die 88 darin vorkommt, die bekanntlich für ein doppeltes H symbolisiert – als Codewort für Heil Hitler in der Neonaziszene. Lernen kann man das in einem soeben im Schwalbacher Wochenschau-Verlag erschienenen dicken Taschenbuch, das in seinem Titel die Zahl 88 bewusst funktionalisiert – und die NPD ärgern wird.
„88 Fragen und Antworten zur NPD – Weltanschauung, Strategie und Auftreten einer Rechtspartei – und was Demokraten dagegen tun können“ heißt das Handbuch, herausgegeben von Fabian Virchow und Christian Dornbusch. Sie haben mehr als 40 Rechtsextremismus-Experten gebeten, auf rund 330 Seiten griffig zu erklären, was man für eine gelingende Auseinandersetzung mit der NPD wissen muss.
Von Holger Kulick
Das Buch will „den aktuellen Stand der Forschung und seriöser journalistischer Recherche in einer Form zugänglich machen, die auch dem nicht wissenschaftliche geschultem Publikum einen qualifizierten Zugang zum Thema NPD ermöglicht“ beschreiben die Verfasser ihren Vorsatz im Vorwort, ein Anspruch, dem sie rundweg erfüllen. Prägnant weisen sie nach, inwiefern die NPD berechtigt als neonazistisch bezeichnet werden kann, „da die offenkundige Bezugnahme auf Vorbilder, Weltanschauungen und politische Konzeptionen des deutschen und europäischen Faschismus innerhalb der NPD inzwischen dominant ist.“
Ausgangspunkt des Buches ist die Geschichte der NPD, deren umstrittene Parteigeschichte 1964 begann. Schon rasch stellte sich heraus: 76 Prozent der ersten obersten Funktionäre waren im Dritten Reich Mitglieder der NSDAP. Jetzt wetterten sie gegen „bolschewistische Krawallmacher“, Langhaarige und angeblichen Kultur- und Sittenverfall. Das hat sich bis heute kaum geändert, außer, dass es eine deutliche Verjüngung gibt und unter den NPD-Anhängern anstelle eines dogmatischen Antikommunismus ein „aggressiver Antiamerikanismus gerückt ist, dessen antisemitische Komponente kaum verborgen wird“, so analysiert der Marburger Soziologe Fabian Virchow.
"Nationale Sozialisten"
Bei Demonstrationen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen zeigt sich die Partei längst Seite an Seite mit bekennenden Neonazis, die, um rechtlich kein Risiko einzugehen, sich schlicht und einfach „Nationale Sozialisten“ nennen, statt „Nationalsozialisten“. Die NPD-Jugendorganisation JN fungiert dabei offensichtlich als „Scharnier der NPD zur offen neonazionalistischen Szene“, beschreibt Christian Dornbusch. Gemeinsames Ziel ist es, das BRD-System „abzuwickeln“, was Udo Voigt einmal postuliert hat, Ziel ist eine biologisch verstandene Volksgemeinschaft, die durch einen starken Mann regiert wird, nebulös wird das von dem Dresdener NPD-Ideologen Jürgen W. Gansel mit „plebiszitärer Präsidialdemokratie“ verklärt. Der Staat müsse „über den Egoismen einzelner Gruppen stehen“, was so viel heißt wie: multipolare Konsensfindung, die Rücksicht auch auf Minderheiten nimmt und eine demokratische Auswahl erlaubt, hat im autoritär geführten Volksstaat, den die NPD anstrebt, keine Chance.
Trotz der Kürze aller 88 Kapitel hat der Leser des Buches nirgendwo den Eindruck, zu kurz zu kommen, so kompakt und verständlich werden die einzelnen Fragen beantwortet, die die Herausgeber ihren Autoren gestellt haben. „Wer sind die Götter der NPD?“, Wie versucht die NPD Jugendliche anzusprechen?“, „Wie steht die NPD zum Holocaust?“, „Wie ist das Verhältnis der NPD zur Emanzipation der Frauen?“, „Die NPD – ein Thema für den Unterricht?“, „Wie sollte der NPD im Parlament begegnet werden?“, "Und wie auf der Straße?". Diese und die 80 weiteren Fragestellungen sind klug aufeinander aufbauend angeordnet und in zwölf klare Kapitel unterteilt, von den Themen Entwicklung, Strategie und Weltanschauung über Führungspersonal, Ressourcen, Bündnispartner bis hin zur Verbotsdebatte.
Am Ende steht ausführlich das Kapitel „Der NPD entgegentreten“, denn, so die Weitsicht der Herausgeber: „Die NPD wird in absehbarer Zeit nicht von alleine verschwinden“. Gefordert ist daher „jeder Einzelne in der Konfrontation“, sei es auf Veranstaltungen, im Unterricht oder im ganz normalen Alltag mit seinem Nachbarn, Kollegen, Mitschüler oder Vereinskamerad, der den Rechtsextremen oder ihren Parolen auf den Leim gegangen ist. Auch dazu gibt es eine ganze Reihe Tipps.
Wichtig sei es, so schließt die Berliner Wissenschaftlerin Birgit Rommelspacher das Buch, auch mit Aussteigern aus der Neonaziszene solche “inhaltlich-politische Auseinandersetzungen“ zu führen, denn für die stehe oft nur die Eingliederung in ein ‚normales’ Leben im Vordergrund, so dass rechtsextreme Einstellungen oft trotz Ausstieg weiter beibehalten werden“.
Insgesamt betrachtet ist das Buch "88 Fragen und Antworten zur NPD" ein ausgesprochen hilfreiches und lobenswertes Standardwerk für die aktuelle und zukünftige Auseinandersetzung mit der NPD - sei es für Lehrer, Journalisten, Politiker, aber genauso für Schüler und Laien. Einzige Kritik: Ein paar präzisere Fußnoten und Quellenangaben wären wünschenswert. Deren Fehlen macht das Buch für wissenschaftliches Arbeiten nicht ganz einfach nutzbar. Der Preis von 24,80 schreckt 'Laien' wiederum ab. Daher wäre es dem Handbuch zu wünschen, dass beispielsweise in Partnerschaft mit der Bundeszentrale für politische Bildung alsbald eine preiswertere Ausgabe herausgegeben werden kann. Inhaltlich ist ein solches Buch nämlich überfällig: MUT-Prädikat "sehr empfehlenswert!".
Zum Buchtitel des Wochenschau-Verlags (lieferbar ab Januar): >klick
Noch ein nützliches Buch über Rechtsextremismus aus dem gleichen Verlag: >klick
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de