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In der Nacht ist ein 22-Jähriger, der vor sechs Jahren auf der Flucht nach Deutschland kam, in der Haller Neustadt unterwegs, wo er aus rassistischen Motiven attackiert und schwer verletzt wurde. Seine Erinnerungen an die Tat schildert er in einem Interview gegenüber Belltower-News folgendermaßen:
"Ich war mit einem Freund nachts unterwegs in Halle-Neustadt. Wir sind gegen Mitternacht am Rennbahnkreuz aus der Straßenbahn gestiegen, weil wir mit dem Bus weiterfahren wollten. Schon in der Bahn haben mich drei junge Männer die ganze Zeit angeguckt. Ich habe extra aus dem Fenster geschaut, weil ich die nicht provozieren wollte und den Augenkontakt zu vermeiden versuchte. Ich hatte Kopfhörer auf und wollte Musik genießen, was leider nicht geklappt hat. Außerdem haben sie immer versucht Augenkontakt aufzunehmen. Und dann haben die sich einfach umgesetzt. Ich wusste da, die wollen irgendwas. Ich habe die aber weiterhin ignoriert. Ich hatte da allerdings schon Sorge, ob die irgendwas machen wollen.
Was ist dann geschehen?
Als wir dann aus der Bahn ausgestiegen sind, habe ich gemerkt, dass mein Kumpel nicht mehr neben mir war. Dann, als wir im Bus waren, hat die Gruppe durch die offene Tür gerufen. Sie sagten zu uns: „Ihr Schwuchteln habt uns in der Bahn die ganze Zeit angeguckt“. Mein Freund hat gehört, wie sie uns als „Kanaken“ beschimpft haben. Ich geh mal davon aus, die haben was gegen Migranten. Und Plötzlich sind bei mir alle Lichter ausgegangen. Ich habe gerade noch gemerkt, dass ich von hinten geschlagen wurde. Dann war ich bewusstlos.
Wie lange warst du bewusstlos?
Das hat wohl eine bis zwei Stunden gedauert. Als ich wieder aufgewacht bin, saß ich auf der Bank der Bushaltestelle. Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Ich habe einen kompletten Blackout und mehrere Kopfwunden. Aber wenn ich weiß, dass mein Schädel fast kaputtgegangen ist, kann ich mir ja vorstellen, was die gemacht haben – mit ihren Händen, Füßen und Flaschen.
Warst du dann im Krankenhaus?
Später kam ein Krankenwagen. Ich glaube ich habe den gerufen. Die Sanitäter haben mich ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte stellten eine Schädelfraktur, gebrochenes Nasenbein sowie zerstörte Teile der Hirnhaut fest. Die haben meinen Kopf zertrümmert. Ich bin drei Wochen im Krankenhaus geblieben. Dann war ich eine Woche zu Hause und drei Wochen in der Reha. Die Ärzte – auch die Neurologen – gratulierten mir, dass ich noch lebe. Bis heute fühlen sich Teile meines Gesichts taub an und die Ereignisse beschäftigen mich täglich. Ich fühle mich nicht sicher.
Ich mache ja gerade mein Fachabi, um danach im IT-Bereich zu arbeiten. Das letzte Schuljahr musste ich jedoch wegen des Angriffs aussetzen. Die haben mich so zusammen geschlagen, dass mir nun ein ganzes Schuljahr fehlt.
Weißt du, wie die Leute reagierten, die den Vorfall beobachtet haben?
Als ich wieder wach wurde, war mein Kumpel nicht mehr da bzw. nur ganz kurz. Ich denke, ich habe einmal sein Gesicht gesehen und seine Stimme gehört und dann habe ich weitergeschlafen. Die wichtigere Frage ist, was ist mit dem Busfahrer? Der müsste den Vorfall ja mitbekommen haben. Und eigentlich erwarte ich von so einem Unternehmen, dass sie Leute einstellen, die Erste Hilfe leisten, einschreiten oder zumindest den Notruf betätigen. So ein Fahrer sollte sich um Menschenleben kümmern können, z.B. wenn es einen Unfall gibt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mitbekommen haben muss, was da in seinem Bus passiert ist.
Ende des Jahres soll der Prozess beginnen. Wie ist da der Stand?
Es gibt Probleme. Soweit ich weiß, wird der Busfahrer nicht als Zeuge geladen. Und das krasse ist: Die Behörden haben wohl die Akte zu meinem Verfahren verloren. Ich hoffe, das Gericht arbeitet seriöser. Die Anklage der Staatsanwaltschaft ist wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags. Die politischen Beleidigungen spielen bislang wohl keine Rolle. Die Polizei hat den Angriff nicht als politisch motivierte Kriminalität erfasst, die Opferberatung hingegen schon. Einige Täter sollen meines Wissens auch Kampfsport machen und sind gefährlich. Sie müssen verurteilt werden.
Was erwartest du vom Prozess?
Ich habe leider das Gefühl, dass das Verfahren nicht ernst genommen wird. Dabei wäre es so wichtig, für mich und alle anderen, denen Ähnliches passiert ist, dass die Täter verurteilt werden. Niemand ist sicher, nirgendwo, speziell als Migrant nicht, leider auch in der BRD."