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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wachsen. Hilfe für die Engagierten vor Ort bietet jetzt das „Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus“, das Wissen und Erfahrungen von fünf Organisationen bündelt, die Präventionsarbeit machen.
Von Simone Rafael
Wer gegen Rechtsextremismus in seinem Umfeld aktiv wird, erfährt nicht nur Zustimmung, sondern auch Gegenwehr. Ein sehr aktuelles Beispiel schildert auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen „Kompetenznetzwerks Rechtsextremismus“ Dorothea Schneider von der Initiative „Paradiesvögel statt Reichsadler“ in der Oberlausitz. Hier finden an der B96 Proteste gegen Coronamaßnahmen der Regierung statt. „Erst waren da Menschen, die empört waren und verunsichert durch die Pandemie. Und ein paar Rechtsextreme. Dann blieben schnell immer mehr ‚Besorgte‘ weg, die Rechtsextremen mit den Reichsflaggen wurden mehr“, sagt Schneider, die auch Vorsitzende des Vereins „Augen auf e.V.“ ist, „darauf wollten wir hinweisen, dagegen protestieren.“
„Karawane der Vernunft“ an der B 96 trifft auf Hass und Abwehr
Überlegt hat sich das Bündnis aus engagierten Initiativen, Kirchen und Gewerkschaften eine „Karawane der Vernunft“ – ein Autokorso mit Botschaften gegen Rechtsextremismus und Abwertung, still und friedlich, mit einem Überraschungseffekt für die B96-Protestierenden. Was dann folgte, war heftig: „Die Karawane wurde schon vorher geleakt, so gab es schon Drohungen und Gewaltaufrufe, bevor etwas passiert war. Am Tag selbst wurden wir durch Hitlergrüße begrüßt, Menschen sprangen vor die Autos, um sie zum Halten zu zwingen und dann Plakate abzureißen. Eier wurden auf die Autos geworfen, Fahrer*innen angespuckt, und die Polizei nahm die Karawane als Störung der Sicherheitslage wahr, nicht die rechtsextremen Angreifer“, schildert Dorothea Schneider. Ein Auto der Karawane habe seine Nummernschilder nicht abgeklebt: „Da gab es dann Tage später einen ‚Hausbesuch‘, der Hakenkreuze auf das Haus schmierte.“ Die Gesellschaft in Zittau und Umgebung blieb bestenfalls passiv, wiederholte das Mantra, „nicht rechts“ zu sein. Dorothea Schneider sagt: „Ich war da erst wirklich erschrocken über die Stimmung bei uns im Land.“ Beteiligte Organisationen wie der DGB, das örtliche Theater oder beteiligte Vereine wurden mit Hass und Austritten überzogen. Die angespannte Situation zerrte dann auch am Bündnis derjenigen, die sich gegen den Rechtsextremismus wehren wollten. „Wir brauchen den Zusammenhalt der Demokrat*innen, gerade in einer Region, in der die Rechtsextremen so stark sind“, sagt Schneider, „aber wegen einer Antifa-Flagge an einem Auto gab es gegen alle Beteiligten Linksextremismus-Vorwürfe, die dann auch zu Distanzierungen führten.“ Eine schwierige Situation in einer Region, die mit vielen Problemen zu kämpfen hat, die von Rechtsextremen als Rückzugsort gesehen wird.
Hilfe für die, die für die Demokratie vor Ort einstehen
Wenn Akteur*innen vor Ort nicht mehr weiter wissen, wenn sie ein Netzwerk brauchen, um Erfahrungen auszutauschen und neue Motivation zu bekommen, können sie sich zukünftig an des „Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus“ wenden, dass fünf Organisationen bündelt, die sich mit verschiedensten Facetten von Engagement gegen Rechtsextremismus auseinandersetzen. „Gesicht zeigen“ kümmert sich um die Bereiche Justiz und Wirtschaft, „Cultures Interactive“ ist spezialisiert zu Prävention in der Jugendarbeit, die Amadeu Antonio Stiftung bringt Expertise in Gender-Fragen und Rechtsextremismus in der digitalen Welt ein, das Lidice Haus unterstützt Familien im Umgang mit Rechtsextremismus, und die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus“ wirkt im kirchlichen Raum. „Ein Netzwerk aus fünf erfahrenen Trägern, dass Beratung, Qualifizierungen, Fortbildungen, Publikationen anbietet, für Organisationen, Medien, Politik und Einzelpersonen, die auf der Suche nach Netzwerken und Unterstützung sind“, stellt Jutta Weduwen, Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die Arbeit des vom Bundesprogramm „Demokratie leben“ geförderten Kompetenznetzwerks vor.
Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung bringt tagesaktuell die Analyse zu den Demonstrationsereignissen am Wochenende mit: „Natürlich sind nicht alle Teilnehmenden der Coronavirus-Demonstrationen rechtsextrem, aber alle erhalten durch die Teilnahme von Rechtsextremen und die fehlende Abgrenzung der Veranstalter und anderer Teilnehmer ein rechtsextremes, ideologisches Deutungsangebot zur Lösung der Situation.“ In der Folge rücke ein vorher diffuses Protestspektrum immer weiter nach rechts – und das feiert nun euphorisiert die Ereignisse des letzten Wochenendes: „Und sie finden inzwischen den Gedanken ganz normal, als nächsten Schritt den Sturz der verhassten liberalen Demokratie zu erwarten.“ Damit sich solche Bilder nicht mehren, hat Prävention eine zentrale Rolle. Die konkreten Angebote des „Kompetenznetzwerks Rechtsextremismus“ finden sich auf der Internetseite
„Wir dürfen nicht aufgeben“
Eines, was das Kompetenznetzwerk erreichen will, ist das Sichtbarmachen der Stimmen von betroffenen Engagierten, für ihre Erfahrungen und Nöte, auch in Medien und Politik. Einer, der die Schattenseiten des Engagements massiv zu spüren bekommen hat, ist Markus Nierth, ehemaliger Bürgermeister von Tröglitz, der von Rechtsextremen so massiv bedroht wurde, dass er sein Amt schließlich aufgegeben hat. „Aber schlimmer als die Angriffe war, dass wir als Familie die Einzigen waren, die Gesicht gezeigt haben gegen den Rechtsruck in der Region. Auch als wir Todesängste hatten, gab es keine Solidarität, stattdessen folgte der soziale Ausschluss. Vom beliebten Bürgermeister wurde ich im Ort zum Nestbeschmutzer, der ‘Schuld’ ist, dass die Nazis hier marschieren. Die Strategie der Rechtsextremen, uns zu diffamieren, zu isolieren, und wirtschaftlich zu schädigen, ist aufgegangen. Auch heute noch sind wir draußen aus der Stadtgesellschaft“, sagt er und betont, wie sehr das schmerzt: „Nur vertrieben haben sie uns bis heute nicht. Allerdings gibt es viele Menschen in Sachsen-Anhalt, die auf gepackten Koffern sitzen, wenn es schlimmer wird.“ Er habe sich damals ein Netzwerk aus Verbündeten gewünscht und begrüße daher das neue Kompetenznetzwerk sehr: „Unsere Demokratie ist in Gefahr. Und die, die sich dem entgegenstellen, brauchen Unterstützung. Denn es ist klar, dass wir noch bei der Symptombekämpfung sind, die Ebene, die der Radikalisierung zu Grunde liegt, noch gar nicht bearbeitet haben. “ Ähnlich sieht es auch Dorothea Schneider: „Es ist schwer, aber ich sage mir immer: Wie schlimm sähe es hier aus, wenn es diejenigen in der Region nicht mehr gäbe, die sich den Rechtsextremen entgegenstellen? Das dürfen wir nicht aufgeben.“