Berlin Hohenschönhausen. Stasiknast, viele Plattenbauten und viele Nazis – das ist für gewöhnlich alles, was die Leute mit diesem Stadtbezirk im Osten der Hauptstadt assoziieren. Doch wie es oft der Fall ist, ist auch Hohenschönhausen weit facettenreicher als die Vorurteile glauben machen. Ja, natürlich gibt es viele, der grauen Ost-Plattenbauten, die teilweise seit der Erbauung vor über 30 Jahren noch nicht einmal modernisiert wurden. Und ja, auch Neonazis streunen hier vermehrt herum. Aber Hohenschönhausen hat auch eine lebendige alternative Szene, die sich ihren Kiez nicht tatenlos durch Nazis vereinnahmen lässt.
Ein Beweis dafür war das Livin´ n Concrete Festival am 19.09.2009. Schon zum fünften Mal jährte sich die Veranstaltung zwischen den Plattenbauten und dem großen grauen Einkaufscenter, dem „Herzstück“ Neu-Hohenschönhausens. Gerade weil an diesem Ort immer wieder Neonazis auffällig werden, wurde er vom Organisationsteam ausgewählt, um symbolisch diesen Platz für alle sichtbar zurückzuerobern. „Vor einigen Jahren trafen sich noch jeden Abend Nazigruppen von bis zu 30 Personen auf diesem Platz, haben sich betrunken und gepöbelt, das ist jetzt nicht mehr so“, erinnert sich Paul Fritsch, von der Antifa Hohenschönhausen, der das Festival seit Jahren besucht und nun Mitorganisator war. Veranstaltet wird das Fest jedes Jahr von einem Bündnis aus den lokalen Antifa-Gruppen, Schülerinnen und Schülern, sowie Bürgerinnen und Bürgern. „Es hat mich gefreut, dass sich so viele Organisationen gegen Rechtsextremismus aus dem Bezirk vorgestellt haben.“, kommentiert Paul weiter.
Im Mittelpunkt stand wie immer die politische Diskussion. Dieses Jahr haben Experten und Betroffene die Bildungspolitik kritisiert und eine Systemänderung gefordert. Skater zeigten ihr Können in einem Wettbewerb und an Stellwänden konnten Sprayer mit ihrer Kunst ganz legal die Zuschauer beeindrucken. Für die Verpflegung sorgte ein Kuchenbuffet von Schülerinnen eines hohenschönhausener Gymnasiums. Die Einnahmen sammeln sie für eine Gedenktafel für eine Familie, die im Zweiten Weltkrieg Juden versteckte. Der örtliche Jugendclub „Arche“ sorgte mit Kreide und Ton für die Unterhaltung der Kleinsten.
Den Abend über haben Nachwuchsbands gerockt, die, wie die Mehrzahl der Besucherinnen und Besucher, selbst in Hohenschönhausen aufgewachsen sind. Sie sind der Beweis, dass man nicht automatisch zum Nazi wird, nur weil einem das im Kiez von vielen vorgelebt wird. Für das nächste Jahr wünscht sich Paul nur noch mehr Besucherinnen und Besucher, aber das sei in Berlin immer schwierig, da es „so viele Angebote parallel gibt.“
Nur am Rande gab es einen Zwischenfall mit drei jugendlichen Neonazis, die sich betrunken unter die Menge mischten. Sie fielen durch ihre Thor-Steinar-Bekleidung auf und wurden des Platzes verwiesen. Thor Steinar hier in den Straßen zu sehen, sei laut Paul nichts Besonderes mehr: „Es gibt bei uns Nazis, die sich offen dazu bekennen und in der Öffentlichkeit ungestört bewegen können.“ Paul weiß, dass der Bezirk ein großes Naziproblem hat. „Als wir das Fest verlassen wollten, wurden wir schon an der Haltestelle mit „Heil Hitler“ angepöbelt. Ich finde oft Aufkleber mit rechtsextremer Hetze in den Straßen.“ Auch die NPD macht sich im Bezirk bemerkbar, ihre Plakate sind verbreitet. Doch Paul lässt sich nicht entmutigen, „so lange es immer noch Leute hier gibt, die diese Plakate unermüdlich wieder entfernen.“
*Name wurde von der Redaktion geändert
Foto: Paul Fritsch Text: Bea Marer