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Kinderrechte-Salon in der Amadeu Antonio Stiftung

"Kinderrechte lehre ich erst ab der zweiten Klasse, in der ersten müssen die Kinder lernen, still zu sitzen.", so die Aussage einer Lehrerin. Künftig müssen Kinderrechte an Grundschulen gelehrt werden. Aber wie? Gute Praxis ist gefragt. In Eberswalde gibt es sie schon. Eindrücke von einem Salon der Amadeu Antonio Stiftung.

Von Julia Schörken und Jan Schwab

Der Salon "Human Rights - Kinder haben Rechte" der Amadeu Antonio Stiftung am 7. Juli hatte zwei Themenschwerpunkte: Kunst und Politik. Zu Beginn des Salons kam die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, Kunst und Politik zu vereinen. Ida Schildhauer vom Kreis der Freunde und Förderer der Amadeu Antonio Stiftung gab eine positive Antwort, indem sie einige Exponate des Projekts "Human Writes" der Forsythe Company präsentierte, die der Stiftung sechs Arbeiten zur Verfügung gestellt hat.

Die Entstehung der Kunstwerke erwies sich alles andere als einfach. Die Künstler_innen und Tänzer_innen sollten unter den denkbar schwierigsten Bedingungen jeweils einen Artikel aus der „Declaration of Human Rights“ zu Papier bringen: Die weißen Papierbögen lagen auf den Tischen, manche der Künstler waren an die Tische angebunden, wieder andere mussten sich Kreide und Kohle in den Mund oder zwischen die Zehen klemmen. Die Realisierung der Menschenrechte erwies sich in diesem Kunstprojekt als sehr schwierig. Die Aussage: Die Menschenrechte in die Tat umzusetzen ist alles andere als einfach!

Jedes Kind hat den Anspruch auf eine Geburtsurkunde

Im Anschluss an die Präsentation der Exponate diskutierten Helga Thomé (Praxisbegleitung des Projekts „Kinderrechte in der Kommune“ der Amadeu Antonio Stiftung) und Dr. Claudia Lohrenscheit (Deutsches Institut für Menschenrechte) mit André Koch (Amadeu Antonio Stiftung) über Theorie und Praxis der Kinderrechte. „Wenn man Kinder auf das Thema anspricht, fragen viele als erstes, warum es denn überhaupt Kinderrechte gebe“, so Claudia Lohrenscheit. Kinder seien doch auch Menschen - wie unterscheiden sich also die Kinderrechte von den allgemeinen Menschenrechten? Lohrenscheit zufolge hätten die Kinder damit genau den Kern der Sache getroffen: Es lässt sich nämlich vieles aus der allgemeinen Menschenrechtskonvention ableiten, aber nicht alles ist selbstverständlich. So zum Beispiel der Name und die Geburtsurkunde. Auf beides hat jedes Kind einen Anspruch – zumindest theoretisch.

Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz UN-Kinderrechtskonvention genannt, wurde im November 1989 von der UN-Generalversammlung angenommen und trat im September 1990 in Kraft. Beim Weltkindergipfel im gleichen Jahr verpflichteten sich Regierungsvertreter von Ländern aus der ganzen Welt zur Anerkennung der Konvention. Die Kinderrechtskonvention hat die größte Akzeptanz aller UN-Konventionen.

Mit Ausnahme von zwei Staaten (USA und Somalia) haben weltweit alle Länder dieser Erde die Kinderrechtskonvention ratifiziert. Die Konvention definiert Kinder als Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen haben. Sie legt wesentliche Standards zum Schutz der Kinder weltweit fest und stellt die Wichtigkeit von deren Wert und Wohlbefinden heraus. Die vier elementaren Grundsätze, auf denen die Konvention beruht, beinhalten das Überleben und die freie Entwicklung von Kindern, die Wahrung ihrer Interessen, die Nichtdiskriminierung sowie die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben.

Aber wie sieht es damit in der Praxis aus? Helga Thomé berichtete von ihren Erfahrungen mit dem Projekt „Kinderrechte in der Kommune“, das an einer Regel- und einer Förderschule in Brandenburg durchgeführt wurde. Als die Schülerinnen und Schüler mit der Frage konfrontiert wurden, welche Rechte sie für sich in Anspruch nehmen möchten, so erwähnten viele sofort das Recht auf Mitbestimmung. Die Kinder wollen nicht einfach auf einem Spielplatz spielen, der von Erwachsenen angelegt wurde. Sie wollen selbst entscheiden, wo sie spielen dürfen, wollen selbst entscheiden, welche Farbe die Wand bekommt oder neben wem sie im Klassenzimmer sitzen dürfen.

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Claudia Lohrenscheit, André Koch und Helga Thomé im Gespräch

Kinderrechte im Alltag

Die Kinder beziehen diese Frage ganz konkret auf ihr Alltagsleben; sie möchten ihr Leben aktiv mitgestalten. Zudem war es auffällig vielen Kindern wichtig, dass Erwachsene ihre Privatsphäre achten. Während der Arbeit mit den Kindern, so Helga Thomé, kam die Frage auf, bis wohin die Eltern in das Leben der Kinder eingreifen dürfen. Viele Schülerinnen und Schüler richten sich beispielsweise vehement gegen eine ständige Kontrolle ihrer Handys durch die Eltern. Positiv überrascht war Thomé vor allem darüber, dass die Kinder während des Projektes viel mehr Eigeninitiative zeigten als im normalen Unterricht.

Als die Kinder erfuhren, wie wenig die meisten Erwachsenen über das Thema Kinderrechte wissen, wollten sie dagegen etwas unternehmen. Sie backten Glückskekse, die jeweils ein Kinderrecht enthalten, drehten einen Film und nahmen sogar einen selbst getexteten Kinderrechte-Song auf. Wichtig war den Projektleitern, dass die Kinderrechte nicht einfach als ein Pflichtthema unter vielen theoretisch abgehandelt wird, wie es häufig im regulären Unterricht geschieht. Das interaktive Element sowie Eigeninitiative und Beteiligung aller stehen beim Kinderrechte-Projekt im Vordergrund. Die Erfahrung, dass sie selbst etwas erreichen können, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen, wird die Kinder stärker prägen als eine theoretische Schulstunde.

"Kinder sollen Demokratie früh erleben"

„Was aber haben nun Kinderrechte mit Demokratie und mit Arbeit gegen Rechtsextremismus zu tun?“ wollte André Koch zum Schluss wissen. Claudia Lohrenscheit betonte, dass es darum gehe, Kinder für eine demokratische Gesellschaft fit zu machen. „Kinder sollen Demokratie so früh wie nur möglich lernen und erleben. Wir können doch nicht erwarten, dass sie mit achtzehn Jahren wissen, was Demokratie bedeutet, wenn sie in vollkommen hierarchischen Strukturen aufwachsen.“

Lohrenscheit sagte, dass die Kinderrechte nicht isoliert von anderen Rechten betrachtet werden dürften. Die erst kürzlich abgesegneten Behindertenrechte beispielsweise seien ja in erster Linie für die nicht-behinderten Menschen gedacht, die Frauenrechte vor allem für die Männer, die Anti-Rassismus Gesetze nicht in erster Linie für die Opfer, sondern für den Rest der Gesellschaft. „Erst durch eine aktive Zivilgesellschaft können all diese Gesetze in Kraft treten.“

„Vielleicht gelingt es uns, was den Künstlern verwehrt blieb: Eine lesbare Umsetzung der Menschen- und Kinderrechte.“, bemerkte Ida Schildhauer abschießend.

Der Link zu der Kinderrechtskonvention der UN

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/js/js/Fotos: H. Kulick

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