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Eine Vorankündigung: Das Jüdische Museum lädt am 16. Februar um 19 Uhr zu einer außergewöhnlichen Buchvorstellung und Podiumsdiskussion ein - über "die Nachwirkungen des Völkermordes an den Juden auf die Familien der Opfer und Täter". Auf dem Podium diskutieren die Schriftstellerin Nea Weissberg-Bob und die Psychoanalytiker Hella Goldfein und Jürgen Müller-Hohagen. Die Moderation hat Shelly Kupferberg (ehem. radiomultikulti), die Texte liest Guenter Hanke, ehemals Nachrichtensprecher beim Rias Berlin.
Den Titel "Das Glück hat mich umarmt" gab der Vater, 90jährig, dem Briefroman der Tochter. Es ist sein Erklärungsversuch, wie er 1941 als polnischer Jude das grauenhafte Pogrom in Lemberg überlebt hat. Die Lieblingsschwester, seine Mutter und 120 Verwandte sind während der Judenverfolgungen vernichtet worden. Der Roman basiert auf den authentischen Briefen, die die Autorin Nea Weissberg-Bob an einen nichtjüdischen deutschen Brieffreund schrieb.
Für die Veröffentlichung wählte sie Nejusch, den Namen ihrer Großmutter. Ihr deutscher Brieffreund wird ihr Alter Ego und zeigt Interesse am Gefühlsleben der Briefeschreiberin, ihrem Aufwachsen als Kind von Überlebenden, die auf dem Weg nach Amerika in Berlin-Charlottenburg hängen blieben, einem Bezirk, in dem in den 50er und 60er-Jahren etliche jüdische Familien in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten. Ihr Brieffreund ermuntert sie zum Schreiben. Und sie schreibt: "Ich sehe in Glienicke (beim Baden) zum ersten Mal eine blau eintätowierte Nummer und einen halben Davidstern auf dem linken Unterarm eines Bekannten meiner Eltern, wage nicht zu fragen, blinzele lieber in Richtung Sonne. Höre versteckt zu, worüber sie reden, die Auschwitzüberlebenden. Ich vermute, sie wohnen in dunklen Höhlen, dass sie gezwungen wären, dort zu leben, wegen des Tonfalls, wegen der Dinge, die sie erzählen."
"Was willst du wissen, soll ich dir erzählen, wie sie mir die Zähne ausschlugen?"
Der Brieffreund, vielleicht ein Täterkind, bleibt einsilbig, als sie die Rede auf seine Kindheit bringen will. Auch das Gespräch zwischen den beiden wird von Scham, Zorn, Angst vor Verrat, Trauer und Loyalitätskonflikten bestimmt. Tabus und geheimnisvolles Schweigen hatten auch das Verhältnis zwischen Nejusch und ihren Eltern gelähmt. Auf Fragen bekommt die Autorinvon der Mutter zu hören: "Was willst du wissen, soll ich dir erzählen, wie sie mir die Zähne ausschlugen?" Voller Scham, sie in eine solche Situation gebracht zu haben, schwieg ich, aber nicht nur ihretwegen, auch meinetwegen, denn ich hatte wieder einmal keinen Zugang zu ihr gefunden. Ich begriff, dass sie darüber nicht reden konnte, bat sie in Gedanken um Verzeihung."
Für die Kritikerin Gesine Strempel sind diese Briefe "ein Tabubruch, geprägt von der Sehnsucht, sich von der Last der Erinnerung zu befreien, einen zu finden, der an ihr mitträgt" (Radio Berlin-Brandenburg). "Was dann kommt, ist eindringlich, heftig…", so der Kritiker Gerald Beyrodt, der den Schluss des Romans als "hinreißend" beschreibt (Deutschlandradio): Die Autorin erzählt, wie sie Polen besucht, die frühere Heimat der Eltern. Und wie sie trotz vager Ortsangaben die Synagoge findet, in der die Eltern kurz nach der Shoah geheiratet haben.
Nejusch sucht den Dialog mit ihrem nichtjüdischen Brieffreund und auch mit dem Leser. Sie möchte ihn ermuntern, sich den Raum zwischen den Zeilen ihres autobiographisch gefärbten Briefromans selbst zu erschließen. Es gibt sogar ein Glossar, das jüdische Begriffe erklärt, eine Literaturliste und in die Briefwechsel integrierte Analysen von jüdischen und nichtjüdischen Experten zum Thema des Schweigens, das auf Opferkindern so sehr lastet wie auf Täterkindern. Am Ende bleibt offen, welche Seite "die braune Brühe auslöffeln" muss.
Die Autorin Nea Weissberg-Bob wurde Anfang der 50er Jahre geboren und lebt in Berlin. Seit 1990 veröffentlicht sie Bücher und Beiträge zur jüdischen Gegenwart.
Buchtitel: Nejusch:
Das Glück hat mich umarmt.
Ein Briefroman mit Beiträgen von
Halina Birenbaum, Hella Goldfein,
und Jürgen Müller- Hohagen.
www.lichtig-verlag.de
Die Lesung ist eine Kooperation des Jüdischen Museums mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Centrum Judaicum, der Literaturhandlung Berlin/München und des Lichtig Verlages.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Mahnmal für die deportierten Kinder am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin / hk