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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Vor zwei Jahren starb in Remscheid der Asylbewerber Mohammed Sillah (Foto r.). Ihm wurde die medizinische Versorgung verwehrt, da er abgeschoben werden sollte. In Gedenken an den 23-jährigen aus Guinea fand am 14.1. eine Kundgebung in Remscheid statt, bei der die Ausgrenzung und Isolation von Flüchtlingen zum Thema wurde.
Diesen Terminhinweis schickte uns die Wuppertaler 'KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen' (http://thecaravan.org).
"Mohammed Sillah konnte nicht rechtzeitig medizinisch behandelt werden, weil er zur Abschiebung freigegeben worden war und das Sozialamt Remscheid ihm den Krankenschein verweigerte. Was uns von ihm bleibt ist seine Musik und seine Freude, die er uns tagtäglich vermittelte. Anlässlich des zweiten Todestages von Mohammad Sillah werden wir Flüchtlinge aus Remscheid zusammen mit der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen auf unsere Situation und die unserer Brüder und Schwester in Remscheid aufmerksam machen und unsere Forderungen den Bewohnerinnen und Bewohnern von Remscheid näherbringen und ihre Solidarität gegen die ausgrenzenden Flüchtlingspolitik der Stadt Remscheid einfordern.
Wir haben gemeinsam einen offenen Brief an Sozialdezernenten der Stadt Remscheid vorbereitet, den bisher 50 Flüchtlinge aus unterschiedlichen Flüchtlingsheimen in Remscheid unterschrieben haben. Diesen Brief werden wir in den nächsten Tagen veröffentlichen. Wir haben diesen Brief geschrieben, weil wir nicht mehr wie im offenen Vollzug leben wollen. Hier einige Punkte, die uns besonders bedrücken:
Zur Situation der Flüchtlinge in Remscheid
Anwesenheitspflicht in der Unterkunft:
In den Unterkünften besteht Anwesenheitspflicht, d.h. die Bewohner müssen jeden Tag ab 10 Uhr morgens beim Hausmeister eine Anwesenheitsliste unterschreiben. Wenn sie das nicht tun, werden die Sozialleistungen entweder ganz gestrichen, oder sie bekommen ausschließlich Gutscheine. Für diese Bestrafung gibt es keine feste Regel, Willkür und Schikane sind an der Tagesordnung. Die Kontrolle und Anwesenheitspflicht in der Unterkunft ist für die Bewohner schikanierend und „wie offener Vollzug“. „Wir wollen unsere Freiheit“, sagen sie. Ein Bewohner mit Knasterfahrung in seinem Herkunftsland fühlt sich an die Zeit nach dem Gefängnis erinnert, als er die Auflage hatte, sich täglich bei der Polizei zu melden.
Sanktionen bei „Fehlverhalten“:
Wer sich weigert, täglich die Anwesenheit zu bestätigen, bekommt vom Sozialamt nur noch Gutscheine. Die Ausgabe von Gutscheinen wird vom Sozialamt darüber hinaus – in Absprache mit der Ausländerbehörde – als Sanktionsmittel eingesetzt, wenn der Flüchtling nicht ausreichend an seiner Abschiebung mitarbeitet – wenn ihm z.B. vom Ausländeramt unterstellt wird, sich nicht um Pass(ersatz)papiere zu bemühen. Manchmal erfolgt die Umstellung von Barleistungen zu Gutscheinen als Strafe für aufmüpfiges Verhalten auf dem Amt. Einige Flüchtlinge bekommen schon über drei Jahre Gutscheine. Manchmal nur für einen Tag, manchmal für eine Woche, manchmal für einen Monat.
Zimmerkontrollen und Missachtung der Privatsphäre:
Darüber hinaus wird die Zimmereinrichtung der Flüchtlinge von den Hausmeistern kontrolliert; evt. wertvolle Gegenstände werden an das Sozialamt gemeldet, wo die Flüchtlinge aufgefordert werden, diese erstmal zu verkaufen, bevor sie weitere Leistungen bekommen können. In einem Fall handelte es sich um einen kaputten Computer, den ein Flüchtling auf dem Sperrmüll gefunden hatte.
Gutscheinsystem:
Die Flüchtlinge bekommen die Gutscheine täglich: Ein älterer Mann, der noch dazu psychisch schwerkrank ist, muss jeden Tag die 7,2 km von Lennepzum Sozialamt laufen und wieder 7,2 km zurück – denn für Fahrkarten reicht das Geld nicht. Die Möglichkeiten zum Einkaufen mit Gutscheinen in der Nähe der Unterkunft sind begrenzt: Für Lebensmittel gibt es Geschäfte, aber für Kleidung praktisch keine. Noch dazu sind die Gutscheine für Kleidung in manchen Fällen praktisch nicht einlösbar: Ein Flüchtling hat einen Gutschein von 6,50€ für Schuhe bekommen – aber keinen guten Tipp, wo man für diesen Preis Schuhe kaufen kann.
Für Diabetiker wird kein Zuschlag für Spezialkost bezahlt.
Auch nach dem Tod von Mohammad Sillah am 14. Januar 2007 hat sich die Praxis bei der Ausstellung von Krankenscheinen nicht geändert. Für Flüchtlinge gibt es keine freie Arztwahl, sondern das Sozialamt stellt eine Liste von Ärzten zusammen, die der Patient aufsuchen kann. Krankenscheine werden erst ausgestellt, wenn man schon einen Termin bei einem Arzt hat, und dann nur für diesen Arzt und diesen Tag. In einem Fall war der Termin auf dem Schein für den Vortag ausgestellt, und der Patient musste einen neuen Termin machen und erneut zum Sozialamt gehen. Auf akute oder dringende Behandlungen ist das System nicht eingestellt. Wenn der Patient überwiesen wird, checkt das Gesundheitsamt das Attest / die Überweisung des Arztes gegen. Bei psychischen Beschwerden wird der Patient erneut von Amtsärzten untersucht. Nach wie vor wird manchen Leuten – trotz erheblicher psychischer Belastung - die Behandlung verweigert. In einem Fall begründete der Amtsarzt die Verweigerung einer Therapie damit, dass der Patient ja eine kompetente Sozialarbeiterin habe. Das Ausländerrecht – Behandlung nur bei akuten Schmerzen oder gesundheits- oder lebensbedrohlicher Krankheit – wird über die objektive Therapienotwendigkeit gestellt.
Schikanen:
Flüchtlinge haben mitunter den Eindruck, auf dem Sozialamt so lange provoziert zu werden, bis sie wütend und ausfallend werden – sie werden auf dem Amt mit einer Kamera gefilmt, die allerdings nur sie, jedoch nicht die SachbearbeiterInnen aufzeichnet. In einem Fall wurde einem Flüchtling gesagt, er solle erst einmal sein Handy verkaufen, bevor er Leistungen
erhalten könne. Einem anderen wurde vorgeworfen, er könne sich ja ein Monatsticket leisten. Dieser Flüchtling hatte ein Schülerticket, weil er ganz normal zur Schule geht."
Mehr über diesen und andere, vergleichbare Fälle unter: http://thecaravan.org
Haben auch Sie einen Termin, auf den Sie uns aufmerksam machen wollen? Hier der MUT-Terminkalender.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk