Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Die Grüne Bundestagsfraktion hatte eine Idee: Sie besorgte einer sächsischen Schule das Geld für ein sogenanntes Culture-on-the-road-Projekt des Berliner Archivs der Jugendkulturen und diskutierte anschließend an einem runden Tisch mit allen Beteiligten der Kommune die Ergebnisse. Nicht ohne Widersprüche aufzudecken. "Culture-on-the-road" versucht Jugendlichen unterschiedliche Jugendkulturen näherzubringen, deren Entstehung zu erläutern und für Toleranz zwischen den Szenen zu werben.
Morgens früh geht es los, das Culture-Team bietet Workshops zu verschiedenen Jugendkulturen an – dabei dreht sich vieles ums Mitmachen, das heißt tanzen, skaten, Musik produzieren. Es gibt aber auch einen Teil, in dem es um die politische Selbsteinschätzung und die Entstehung der jeweiligen Jugendkultur geht. Man lernt zum Beispiel, dass es beim Breakdance keine Trainer gibt oder Skinheads nicht automatisch rechts stehen. Nach dem lehreichen Schultag der anderen Art treffen sich alle die wollen mit Fachpolitikern der GrünenBundestagsabgeordneten Monika Lazar, der Schulleitung, einigen Lehrkräften und Kommunalpolitikern zum runden Tisch. Eine Schule, die mitmachen konnte, heißt Ernst-Rietschel-Mittelschule, Schule ohne Rassismus, in Pulsnitz.
Pulsnitz liegt in Sachsen ca. zwanzig Kilometer von Dresden entfernt – Lehrer und Schüler sind sich einig: „Rechtsextremismus gibt es hier nicht, das ist in Hoyerswerda oder Großröhrsdorf.“ Solche Meinungen hört man häufig, egal ob in Ost- oder Westdeutschland. Die Devise lautet ja: Bloß keine Panik, die Investoren könnten verzichten, die Touristen umbuchen. Nicht dass die ganze Region in Verruf gerät…
Einen etwas anderen Blick auf die Dinge hat das Culture-Team schon, so hört man in den persönlichen Eindrücken immer wieder die Wörter brav, desinteressiert, latent rassistisch. Auch Homophobie ist in der Schülerschaft weit verbreitet.
Bei den Lehrerinnen stößt dieser Eindruck auf erhebliche Kritik – kein Wunder, will er doch gar nicht zum Bild der Schule passen. Oder zu den Bildern in Schule: „Wir Menschen sind zum Glück verschieden“, steht an den Collagen, die das friedliche Miteinander betonen wollen. Eine Ethiklehrerin erklärt wie wichtig ihr die Auseinandersetzung mit den Pogromen ist. „Ich war mit meinen Schülern in der Synagoge, die waren fasziniert. Als sie von den Geschehnissen unter dem NS-Regime gehört hatten gab es keinen, der nicht schockiert war.“ Wenn so engagierte Lehrerinnen von irgendwelchen Berlinern erzählt bekommen, dass ihre Schüler in Geschichte mal nacharbeiten müssten, ist das natürlich frustrierend. Wenn aber im vormittäglichen Workshop die höchste Schätzung einer Schülerin für die durch die Nazis ermordeten Juden 100.000 nicht übersteigt – dann ist eine gewisse Fassungslosigkeit auf Seiten der Berliner erklärbar.
Doch in den Workshops am Morgen kristallisierte sich noch ein interessanter Mangel heraus: Viele Schüler vermissen jugendkulturelle Angebote, neben Sport gäbe es eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten den Nachmittag rumzukriegen: vor dem Computer oder im Park mit Bier. So gibt es einen Jugendclub – doch der schließt um 18:00. Begeistert waren fünf Jungen und Mädchen vom Skaten. Eine Anlage gibt es aber nicht, dabei ist vier Rampen aufzustellen an sich keine schwierige Sache.
Monika von Culture-on-the-road stellt fest: „In Berlin ist das alles etwas einfacher, das ist ein offeneres Klima. Da macht jeder irgendwas, wenn er Bock drauf hat. Dadurch gewinnt man Ideen, lernt andere Sachen kennen, kann sich für etwas begeistern.“ Immerhin der Schulleiter will mit der Stadtverwaltung sprechen, damit der Jugendclub länger geöffnet ist. Vielleicht holen sich ja auch die fünf Schüler Boards und skaten so lange vorm Rathaus, bis man ihnen wenigstens ein paar Rampen zur Verfügung stellt.
Der Schulleiter wiederholt zum Abschluss gebetsmühlenartig: „Lasst uns diesen wunderbaren Vormittag nicht am Nachmittag schlecht reden.“ Wer auch immer das vorhatte, es ist ihm nicht gelungen. Mitnehmen konnte jeder etwas, morgens eher die Schüler, nachmittags vor allem Lehrer, Sozialarbeiter und andere Interessierte. Dass die Stadtspitze nicht gekommen ist, ist schade, den Tatendrang der Versammlung konnte das jedoch nicht hemmen. Couragiert gezeigt hat sich die Schule auf jeden Fall: Sie hatte den Mut ein Thema anzusprechen, dass sich andere mit Rücksicht auf Ruf und Ehre nicht anzusprechen trauen. Dafür gebührt ihr Respekt.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: D.Gollasch