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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
„Unerwünscht-Verfolgt-Ermordet." Unter diesem Titel ist in Magdeburg zur Zeit die erste Ausstellung zur lokalen Geschichte des Nationalsozialismus zu sehen. Auf einer Fortbildung der Amadeu Antonio Stiftung wurden Lehrerinnen und Lehrer aus der Umgebung in die Ausstellung eingeführt. Während die Teilnehmer der Fortbildung großes Interesse an der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Stadt zeigten, lösten Workshops zu aktuellem Rechtsextremismus Unbehagen und Schweigen aus.
Von Stella Hindemith
63 Jahre nach Kriegsende ist diese Ausstellung des Kulturhistorischen Museums die erste über Nationalsozialismus und Holocaust in Madeburg. Die Idee für die Ausstellung ist schon einige Jahre alt. „In den 90er Jahren war der Forschungsstand dürftig", erzählt Karin Grünwald vomKulturhistorischen Museumin einem Vortrag über die Entstehung der Ausstellung. „Natürlich wusste man von den KZ Außenlagern, dem Todesmarsch und auch von Widerstand in Magdeburg. Aber das war alles sehr oberflächlich, es gab keine genauen Informationen. Auch an der Universität gab es keine Forschung zu Magdeburg im Nationalsozialismus. Also wollten und mussten wir selbst forschen." Bis zur Realisierung der Ausstellung vergingen dann noch einige Jahre- 2005 erhielt das Museum durch einen Stadtratbeschluss zwar den Auftrag, die Ausstellung zu realisieren- um einen Historiker für die Arbeit zu engagieren, gab es jedoch kein Geld. Über ABM- Stellen sollte das Projekt auf die Beine gestellt werden. „Das war nicht immer ganz einfach", erzählt Frau Grünwald, „schließlich fanden wir jedoch einen wirklich sehr engagierten Mathematiker, der ganz wesentlich zur Entstehung der Ausstellung beigetragen hat." Eröffnet wurde die Ausstellung schließlich am 27. Januar 2008.
„Unerwünscht-Verfolgt-Ermordet." zeigt einen Überblick über die verschiedenen Opfergruppen, die es in Magdeburg gab, sie klärt über Konzentrationslager, den Todesmarsch, Magdeburger Täter und vieles mehr auf. Die Verantwortlichen wollen die Ausstellung allerdings ausdrücklich als nicht abgeschlossenes Projekt verstanden wissen, da es noch viele Themenfelder gibt, die nicht erforscht sind und deshalb auch nicht in der Ausstellung präsentiert werden.
Bei den Teilnehmern der von der Amadeu Antonio Stiftung, der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen- Anhalt und dem Projekt „für demokratie courage zeigen" des Landesverbandes Niedersachsen der Naturfreundejugend organisierten Fortbildung stoßen die Ausstellungsführung und die anschließenden Vorträge über ihre Entstehung und Hintergründe auf großes Interesse. Sicherlich werden viele der Anwesenden die Ausstellung noch einmal besuchen- das nächste Mal dann mit ihren Schulklassen. Den Abschluss des Tages bilden Workshops zu aktuellem Rechtsextremismus. Die Teilnehmer teilen sich dafür- je nach eigenem Interesse- in drei Gruppen auf, die anhand verschiedener Fallbeispiele diskutieren sollen, wie in der Schule auf Rechtsextremismus reagiert werden kann. Anschließend sollen die Ergebnisse präsentiert und gemeinsam besprochen werden.
Zunächst herrscht betretenes Schweigen...
Konfrontiert mit den Aufgaben, herrscht in den Gruppen zunächst betretenes Schweigen. Langsam kommen dann Gespräche in den Gang, die vor allem eines zeigen: Es gibt dringenden Bedarf, über Rechtsextremismus aufzuklären. In einer Gruppe, die die Frage diskutiert, was man tun könne, wenn auf einem Schulfest Musik von „Landser" gehört wird, stellt sich nicht nur heraus, dass den Anwesenden die Band nichts sagt- es kommt auch zu der Aussage, dass ein Einschreiten bei solchen Vorfällen nur dazu führen würde, „so etwas aufzubauschen." Es sei deshalb vielleicht besser, nichts zu sagen. Bei der Präsentation der Ergebnisse am Ende des Workshops traut sich keiner der Teilnehmer, etwas zu sagen. Als die Nachfrage kommt, wer denn in der Gruppe gewesen sei, meldet sich niemand zu Wort.
Eine weitere Gruppe diskutiert einen Fall, bei dem drei rechtsextreme Kleidung tragende Jugendliche einen anderen Jugendlichen verprügeln, nachdem sie ihm zugerufen hatten „Zecke, dich machen wir platt!" Die Teilnehmer finden, dass aus dem Sachverhalt nicht unbedingt zu schließen ist, ob die Tat einen politischen Hintergrund hat. Im Übrigen würden die rechten Jugendlichen sich ja in der Schule meistens gut benehmen. Die andere Seite sei da schon eher ein Problem. Bei der anschließenden Präsentation wird erklärt, sie würden in so einem Fall das Politische nicht hochspielen wollen. Die NPD sei nicht verboten. Und: „Man darf den Schulen auch nicht zu viel zumuten." Eventuell rechtliche Maßnahmen zu ergreifen schließt die Gruppe aus.
Das Beispiel der dritten Gruppe beschreibt eine Szene im Unterricht über den Holocaust, während dem zwei Schüler „Die Juden haben es schon hinter sich- irgendwann kriegt eben jeder, was er verdient" rufen und ihre Klassenkameraden applaudieren. Die Teilnehmer bewerten das Vorkommen als Provokation und betonen, sie wüssten nicht, wie sie auf so etwas reagieren würden. Das Thema sei zu emotional für sie, sie könnten mit so etwas nicht umgehen. Es herrscht schnell Konsens darüber, man müsse die entsprechenden Schüler aus dem Unterricht entfernen. Man wolle ja nichts Falsches sagen in so einer Situation. So etwas sei einfach zu viel für sie als Lehrer. Und erlebt hätten sie so etwas noch nie. Eine Teilnehmerin erzählt, sie könne sich so etwas schon vorstellen: „ Letztes Jahr hatte ich diese 9. Klasse, mit der ich den Nationalsozialismus behandelt habe. Da hat niemand etwas gesagt, aber ich hatte jedes Mal Angst, bevor ich in die 45 Minuten gegangen bin. Jedes mal dachte ich: Heute kommt’s, heute kommt’s. Zum Glück hat nie jemand etwas gesagt, denn ich hätte nicht gewusst, was ich da machen soll." Die Anwesenden betonen daraufhin, dass sie ja eine Hauptschullehrerin sei. Bei ihnen am Gymnasium gebe es so etwas nicht.
Einig, dass es so etwas bei ihnen nicht gibt?
Darin scheinen sich die Teilnehmer an diesem Tag einig zu sein- dass es so etwas bei ihnen nicht gibt. Zufrieden ist keiner mit den Workshops. Die Lehrer hätten sich eine Moderation gewünscht, dann wäre es besser gewesen. Eine Frau aus der Gruppe, die das Beispiel aus dem Unterricht über den Holocaust behandelt hat, sagt, sie sei doch in die Gruppe gekommen, weil sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Sie habe den Wunsch, dass sie das mal von jemandem hört, der das weiß.
Die Führung durch die Ausstellung und die anderen Teile der Fortbildung fanden sie aber gut. „Es ist wirklich auch interessant, zu erfahren, dass die Juden nicht die einzige Opfergruppe waren", meint ein Mann nachdenklich. „Den Arier an sich hat es ja eigentlich gar nicht gegeben. Da wäre ja eigentlich fast jeder ein Opfer geworden."
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Kulick