Vollkommen überflüssig ist am 1. Mai in Hamburg die Gewalt eskaliert. Rund 7000 friedliche Demonstranten, die im Hamburger Stadtteil Barmbek Straßen besetzten, um einen Aufmarsch von Neonazis zu verhindern, hätten dies auch friedlich geschafft. Aber offensichtlich suchten Autonome auch den Krawall - aus dem rechts- und linksextremen Spektrum. Auch in Nürnberg kam es zu Ausschreitungen. Initiativen wie "lautgegennazis" sind entsetzt.
Mit Fotos von Holger Kulick
Zunächst war es in Hamburg mehreren tausend Demonstranten über mehrere Stunden gelungen, die "Fuhle", die Fuhlsbütteler Straße als Hauptgeschäftsstraße von Barmbek, vollkommen friedlich durch Straßenbesetzungen zu schützen. Auf zentralen Kreuzungen wurde musiziert, Reden gehalten, gepicknickt. Dabei standen sich im Bereich der für den Verkehr gesperrten S-Bahnstation Alte Wöhr Anhänger der rechtsextremen NPD und zahlreiche Gegendemonstranten stundenlang fast in Sichtweite gegenüber - getrennt nur von Polizeiketten und Wasserwerfern, die wiederholt zum Einsatz kamen.
Dort, wo sich die meisten Blockierer befanden, ließ die Polizei lange Zeit gewähren. Nur an den Rändern kamen die Wasserwerfer zum Einsatz, ohne aber nennenswerte Wirkung zu zeigen. Das Gros der Demonstranten wich lange Zeit nicht. Zunächst war damit gerechnet worden, dass die Neonazis ihre Demonstration abbrechen. Als die Rechten aber gegen 15 Uhr ihren angekündigten Aufmarsch durch das ehemalige Arbeiterviertel Barmbek doch noch mit erheblicher Verspätung beginnen wollten, entlud sich die aufgeheizte Stimmung - trotz zahlreicher Appelle zur Deeskalation. Das führte auch zum frustrierten Abwandern zahlreicher friedlicher Demonstranten.
Linke Gegendemonstranten zündeten mindestens sechs Autos an und errichteten Barrikaden. Steine flogen, Müllcontainer wurden in Brand gesteckt, Rauchbomben und Knallkörper gezündet. Auch ein Reifenlager geriet in Brand. Nahezu alle Busse, mit denen Neonazis angereist waren, wurden beschädigt. In den Straßen Barmbeks übernahmen zunehmen regelrecht militärisch operierende Autonomengruppen die Regie, mit kleinen Fähnchen gekennzeichnet.
Äußerlich unterschieden sie sich kaum noch von den Rechten. Auch die verhielten sich ausgesprochen aggressiv, laut Polizei ging anfangs die Gewalt maßgeblich von ihnen aus. Die Polizei zeigte sich von der "nackten Gewalt" der Rechten bei den Mai-Krawallen schockiert. "Wenn sich die Polizei nicht dazwischengeworfen hätte, dann hätte es Tote gegeben", sagte Einsatzleiter Peter Born am Folgetag auf einer Pressekonferenz. "Das ist meine feste Überzeugung." Er bezog sich dabei auf eine Schlägerei zwischen mehr als hundert "autonomen Nationalisten" und einer etwa gleich großen Gruppe linker Gegendemonstranten zum Beginn der stundenlangen Ausschreitungen. Besonders von der rechten Seite sei "nackte Gewalt" ausgegangen. Die rechten Autonomen seien auf Stichwort auf die Linken eingestürmt. "Es kam zu wüsten Schlägereien." "Die Aggression und nackte Gewalt ging von den Rechten aus", sagte der Einsatzleiter.
Einige Rechtsextreme hätten sich als „Ordner“ gekennzeichnet und fühlten sich daher berufen, neben der Strecke stehende vermeintliche Linke zu jagen und auf diese einzuprügeln. Schläge bekam auch eine Gruppe Polizisten, die sich vor Aufmarschbeginn plötzlich alleine unter einer Überzahl von Neonazis befand, schildert focus.de. Die Gewalt wartender Neonazis richtete sich auch besonders gegen Journalisten, notiert spiegel.de: "Einige Protestler drängen ein Kamerateam des NDR ab, während es ein Interview mit der Neonazigröße Christian Worch führt. Andere Neonazis rissen einen Bauzaun nieder, stürmten auf einen anliegenden Hügel und schlugen dort einen Kameramann brutal zusammen. Er berichtet: "15 Rechte prügelten auf mich ein, etwa eine Minute lang. Die Kamera wurde mir weggenommen. Dann kam mir die Polizei zur Hilfe". Hämisch berichteten Rechtsextreme auf dem rechten Internetforum Altermedia (nachfolgendes Foto) von diesen Attacken.
Der Augenzeuge Patrick Gensing, der mehrere solcher Situationen auf www.npd-blog.info schildert, erhielt draufhin ebenfalls hämische Reaktionen aus der Neonaziszene. So eine Lesermail folgenden Inhalts von einem "einherjer": "Nun mal nicht so mimosenhaft sein, liebe linke Presseschmierer! Wer austeilt muss auch einstecken können! Ihr glaubt doch tatsächlich, dass wir Rechten Freiwild sind, auf das man beliebig eindreschen kann. Dem ist nicht so und das werdet ihr noch häufiger zu spüren bekommen. In Anlehnung an die gute alte 68er Maxime werden wir nämlich kaputt machen, was uns kaputt macht. Und da sind die verlogenen Wordverdreher der Schweinepresse in vorderster Frontlinie. Ihr solltet mal nicht so viel kiffen und fressen…dann klappt es auch mit dem Weglaufen - oder was mich persönlich noch mehr freuen würde- Kämpfen, ihr Jammerlappen!"...
Auf dem Weg nach Hamburg hatten Neonazis sogar einen Regionalzug geentert und die Lautsprecheranlage unter ihre Kontrolle gebracht - dann beschallten sie die Waggons mit ausländerfeindlichen Parolen. Die Polizei kam erst, als alles vorbei war. Sie verweigerten anderen Reisenden den Zutritt mit den Worten "dies ist eine geschlossene Gesellschaft". Ein Nach Aussagen von Fahrgästen grölten sie: "Ab heute transportiert die Deutsche Bahn AG Ausländer und Deutsche getrennt". Für Ausländer stünden "Güterwagen zur Verfügung" (
spiegel.de, 2.5.). Schon vortags wurden weitere Züge Richtung Hamburg mit Hakenkreuzen beschmiert (s. Foto oben).
Am Tag danach rühmten sich die Rechten ihrer Gewalttaten in einschlägigen Internetforen und auf youtube (Foto oben). Der 1. Mai in Hamburg wird dort sogar als "deutsches Stalingrad" tituliert. Die Teilnehmer des zeitgleichen Neonazi-Aufmarschs in Nürnberg werden vergleichsweise als "Langweiler" betrachtet. In einer Internet-Erklärung loben sich die Organisatoren, "in aktiver Selbsthilfe" den Bahnhof von Linken "gesäubert zu haben". Ihr Fazit lautet, so zitiert das ND am 3.5.: "Für manche mag das Ausmaß der Ausschreitungen und Konfrontationen vielleicht etwas überraschend gekommen sein, aber für uns Hamburger und viele andere erfahrene Kameraden hat dieser Tag einfach nur das gehalten, was er versprochen hat."
Von dieser Vorgeschichte und den heftigen Auseinandersetzungen bekamen im Zentrum von Barmbek viele Demonstranten lange Zeit nichts mit. Zu weitläufig waren die Straßen ringsum abgesperrt. Erst die starken Scheinwerfer der Wasserwerfer, die sich aus mehreren Richtungen von Ferne näherten, um den Rechtsextremen den Weg freizuspritzen, vermittelten zunehmend das ungute Gefühl des Eingekesseltwerdens. Hätte die Polizei darauf verzichtet, wäre die Eskalation am Ende sicherlich glimpflicher abgelaufen. So entschied sich die Polizei erst um 18.30 Uhr, die Rechtsextremen per S-Bahn wieder abzuschieben, die auf ihren Weg immer wieder skandierten "National(er)Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt". Die Endung 'er' wird dabei gewöhnlich verschluckt.
Ihre Busse konnten die NPD-Anhänger wegen der eingeschlagenen Fensterscheiben nicht mehr für ihre Rückfahrt benutzen. Aufgrund dieser Sachschäden wird es für die rechte Szene in Zukunft sicher schwieriger, Transportunternehmer zu ihren Kundgebungen zu finden. Unter den demolierten Fahrzeugen sollen vor allem geparkte Autos bekennender Rechtsextremer gewesen sein, einer hatte sich durch sein Nummerschild 1488 verraten, ein Neonazicode.
Den Behörden zufolge protestierten insgesamt 6600 Menschen gegen die NPD, die Veranstalter sprachen von 10.000. An dem Aufmarsch der rechtsextremen Partei beteiligten sich bis zu 1100 Sympathisanten (Fotos davon auf
endstation-rechts.)
Zu dem Protest gegen die NPD-Veranstaltung hatte das Hamburger "Bündnis gegen Rechts" aufgerufen. Auch an vielen Fenstern hingen Bekundungen wie "Nazis raus aus Barmbek!". An dem zunächst friedlichen Protestzug nahmen auch Familien und ältere Einwohner des Stadtteils teil, immer wieder bemüht, zur Gewaltlosigkeit zu ermahnen. Aber Mitglieder des linken Spektrums hatten sich unbelehrbar schon gegen Mittag aus der Haupt-Demonstration gelöst und immer wieder kleinere Barrikaden errichtet, ein Polizeiauto umgekippt (s. Titelfoto) und sich Scharmützel mit der Polizei geliefert.
Die Rechten, die ihre Demonstration eigentlich um 12 Uhr am S-Bahnhof Alte Wöhr beginnen wollten, konnten auch deshalb nicht starten, weil am S-Bahn-Gleis Reifen entzündet worden waren und so den Verkehr der Linie S 1 vorübergehend lahmgelegt war. Auch der Busverkehr wurde eingestellt. Hamburgs Innensenator Udo Nagel gab dem Hamburger Oberverwaltungsgericht eine Mitschuld am Chaos und den schweren Krawallen. Das Gericht hatte strenge Polizeiauflagen gekippt, wonach die Demonstrationszüge stärker räumlich getrennt werden sollten. Nagel bezeichnete dieses Urteil gegenüber WELT ONLINE als „weltfremd“. „Hier hat sich das Gericht in Polizeitaktik eingemischt. Das ist falsch“, so Nagel. Das Urteil habe erlaubt, dass sich linke und rechte Demonstranten sehr nahe kamen. So seien die Ausschreitungen "absehbar" gewesen. Sogar aus Berlin, wo der 1. Mai diesmal weitgehend friedlich bleib, wurden noch Polizeieinheiten eingeflogen.
Enttäuscht über den Verlauf des Tages im Arbeiterviertel Barmbek nahm am 2.5. auch die Hamburger Kampagne "lautgegennazis" Stellung. Ihr Sprecher Jörn Menge sagte:
"Wir möchten hiermit anzeigen, dass wir die Gewalt während und nach der Kundgebung gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai 2008 in Hamburg – Barmbek auf das Schärfste verurteilen. Seit vier Jahren versuchen wir einen Zusammenschluss der Zivilgesellschaft gegen den unaufhaltsam wachsenden Rechtsextremismus und seinen Folgen – Rassismus, neuer Antisemitismus im Alltag und rechte Gewalt- zu schaffen. Wir selbst waren in dem Stadtteil Barmbek zugegen und konnten durchaus positive Dinge feststellen. Immerhin ist es den zum größten Teil friedlich demonstrierenden Menschen (ca. 7.000 nach offiziellen Angaben) gelungen, die Nazis vom pünktlichen Marschieren abzuhalten. Insgesamt konnten diese vier Stunden lang festgesetzt werden. Hinzu stellten wir fest, dass fast alle Gesellschaftsschichten und Geburtsjahrgänge auf der Straße waren, um den Aufmarsch von Jürgen Riegers (Naziführer in Hamburg) Schergen nicht zuzulassen. Beeindruckend fanden wir auch die Anwohner des S-Bahnhofes „Alte Wöhr“, die ganz klare Statements gegen Nazis von ihren Balkons abgaben. Dies sind Erfolge, die in der Brutalität und Gewalt einiger linksextremen Autonomen leider untergingen.
Das Auto unseres Laut gegen Nazis- Partners wurde ebenfalls im Rahmen der Straßenschlacht (Saarlandstraße) beschädigt. Ein eher kleiner Schaden, gemessen an den abgefackelten Fahrzeugen, die nicht unbedingt den Nazis zuzuordnen waren und den ideologischen Folgen. Wie sollen wir Menschen dazu bewegen auf die Straße zu gehen, wenn eine Minderheit massive Gewalt anwendet und somit das Bild einer Einheit gegen die menschenverachtende Ideologie der Nazis zerstört? Wir appelieren an die Steineschmeißer und Brandstifter unabhängig von anderen Ideologien gegen den braunen Sumpf auf solchen Kundgebungen ohne Gewalt zu agieren. Eigentlich haben wir zumindest diesbezüglich doch ein gemeinsames Ziel. Nazis und deren Gedankengut von der Straße fegen-ohne Gewalt. Argumente zählen, um Gemeinschaften gegen Nazis zu schaffen. Hierbei sollten auch diejeneigen mithelfen, die gestern exzessiv bei der Ausübung von Gewalt mitgewirkt haben." Soweit das Zitat von Jörn Menge.
Kirchen & DGB in Hamburg protestierten gegen Neonazis - fernab des NPD-Aufzugs
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die beiden großen Kirchen hatten zunächst zu einer gemeinsamen 1. Mai-Kundgebung in Hamburg aufgerufen. Diese Kundgebung und ein anschließender ökumenischer Gottesdienst gälten zugleich dem Protest gegen die NPD. Die Neonazis müssten „sehen und hören, dass ihre demokratiefeindliche und menschenverachtende Politik in Hamburg keinen Platz“ habe, sagte Pumm. Diese Veranstaltung fand auf dem Spielbudenplatz an der Reeperbahn statt - fern des geplanten Aufzugs der Rechtsextremen. Das Thema Rechtsextremismus-Bekämpfung war hier auch nur ein Thema unter vielen.
Anstoß für das gemeinsame Engagement von Kirchen und DGB in Hamburg zum 1. Mai war der Kalender, der den traditionellen Tag der Arbeiterbewegung und Christi Himmelfahrt aufeinander fallen lasse, sagte Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm. Darüber hinaus würden Gewerkschaften und Kirchen „viele Gemeinsamkeiten“ haben, erklärte er in Übereinstimmung mit der evangelischen Bischöfin Maria Jepsen und dem katholischen Erzbischof Werner Thissen.
„Es ist ein Skandal, dass es die NPD überhaupt gibt“, fügte Pumm hinzu. Senat und Justizbehörde forderte er auf, ein Verbot der NPD-Demo zu prüfen: „Wir erwarten dazu eine Position“, sagte Pumm. Er verwies darauf, dass drei der angekündigten rechten Redner bereits wegen Volksverhetzung verurteilt worden seien.
Bischöfin Maria Jepsen forderte: "Stopp für diese rechte Bewegung!" Bischöfin Jepsen sah im gemeinsamen Engagement für Gerechtigkeit und Solidarität, Nächstenliebe, Freiheit und Frieden eine enge Nähe zur Arbeiterbewegung. Insbesondere müsse man gemeinsam die Stimme erheben „gegen alle Gewalt und Arroganz derer, die vom Nationalsozialismus durchtränkt sind“. „Stopp für diese rechte Bewegung“, forderte sie. Erzbischof Werner Thissen forderte „entschiedenen Widerstand“ gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Dieses Engagement verbinde alle Christen, da es für sie keine Ausländer gebe. Christen seien eine „weltoffene Glaubensgemeinschaft aus allen Völkern und Nationen“. Allein in Hamburg würden Christen aus mehr als 130 Nationen leben. Gleichzeitig betonten Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften den traditionellen Anspruch der Arbeiterbewegung. „Christen und Gewerkschafter wollen sich auf ein gemeinsames Ziel hin bewegen: Dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft gelingt. Unverzichtbar gehören dazu angemessene Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung“, sagte Erzbischof Thissen. Wenn allein in den drei norddeutschen Bundesländern 80.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte noch staatliche Unterstützung brauchten, „dann befinden wir uns in einer gesellschaftlich prekären Situation“, betonte Thissen.
Die Demonstration von DGB und Kirchen begannen um 11 Uhr am Gewerkschaftshaus (Besenbinderhof). Ein ökumenischer Gottesdienst folgte um 14 Uhr, im Anschluss fand ein „Kulturfest gegen Rechts“ statt. Pumm verteidigte die Entscheidung des DGB, die Demonstration von Barmbek durch die Stadt zum Gewerkschaftshaus wegen des Neonazi-Aufmarsches an die Reeperbahn zu verlegen. Denn schon am Vorabend hatte es Krawalle gegeben. (Quellen:
spiegel.de, 1.5.,
welt-online, 28.4.2008)
Auch in Nürnberg Antinazi-Proteste - und viel Polizei
Auch Nürnberg hatte sich für zahlreiche Aufmärsche und Demonstrationen am 1. Mai gerüstet. Mit 1000 Absperrgittern und rund 3000 Polizisten aus ganz Deutschland sollten Neo-Nazis und Gegendemonstranten auf Distanz gehalten werden. „Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen das Recht der NPD auf Versammlungsfreiheit schützen, solange die Partei noch nicht verboten ist“, begründete Polizeidirektor Gerhard Schlögl die deutschlanweit bislang einmalige Absperrmaßnahme.
Auf diese Weise konnte die NPD in den konsequent abgeriegelten Straßenzügen zwar weitgehend ungestört aufmarschieren. Mit der Marschroute und dem Ort der Abschlusskundgebung hatte die Stadt aber zugleich dafür gesorgt, dass die Neonazis kaum wahrgenommen wurden. So verloren sich die rund 1000 Teilnehmer des Aufzugs am Nachmittag in einer von leeren Bürohäusern gesäumten Nebenstraße des Nürnberger Innenstadtrings. Viele Anwohner waren der Aufforderung der Stadt gefolgt, den Aufmarsch mit Nichtbeachtung zu strafen. Stadtrechtsdirektor Hartmut Frommer hatte an die Bürger appelliert, den Rechtsextremen „die kalte Schulter“ zu zeigen. Außerdem sollten die Fenster entlang der Strecke geschlossen gehalten werden.
Schwieriger gestaltete sich für die Polizei, die Gegendemonstranten auf Abstand zu halten. Vor allem Autonome, die es offensichtlich auf eine Konfrontation mit den Rechtsextremen angelegt hatten, suchten nach gescheitertem Blockadeversuch am Mittag immer wieder nach Schlupflöchern entlang der Aufmarschstrecke. Erst als am Nachmittag die rund 1000 rechten Demonstranten mit Sonder-U-Bahnzügen aus der Stadt gebracht wurden, atmeten die Sicherheitsbehörden auf.
Die Polizei stellte ihren Großeinsatz unter das Motto „Besonnenheit für Deeskalation“. Es sei zu erwarten, dass die NPD- Anhänger „Wölfe im Schafspelz“ spielten und sich an alle Auflagen der Stadt hielten. Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rechtsradikale“ veranstaltete die Stadt Nürnberg außerdem eine "demokratische Versammlung", bei der neben dem Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, Arno Hamburger, auch Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) als Redner vorgesehen waren. Doch darüber gab es schon im Vorfeld Streit:
Ein Nürnberger Bündnis Nazistopp veröffentlichte zuvor am 30.4. folgende Erklärung, die auf einen tiefen Riss zwischen den unterschiedlichen Veranstaltern von Gegenprotesten hinweist:"Das „städtische Bündnis“ unter der Führung von OB Dr. Maly ruft am 1. Mai zur „Kundgebung aller Demokraten“ gegen den rechtsradikalen Aufmarsch auf dem Hans-Sachs-Platz auf, weitab von der Nazi-Route. Das Nürnberger Bündnis gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2008 verwehrt sich gegen die ausschließende und abgrenzende Formulierung „Kundgebung aller Demokraten“, die zumindest so verstanden werden kann, anderenorts würden Menschen demonstrieren, die keine Demokraten sind. Wir sollten diese Beurteilung doch lieber den Nürnberger Bürgerinnen und Bürgern überlassen, oder etwa nicht?
Wir vom Nürnberger Bündnis gegen den Naziaufmarsch am 1.Mai 2008 rufen jedenfalls zur Teilnahme an unserer Kundgebung am 1. Mai 2008 auf, in unmittelbarer Nähe des Auftaktortes der geplanten Nazi-Demo. Unsere Kundgebung findet ab 12 Uhr auf der Ziegelsteinstraße / Ecke Äußere Bayreuther Straße statt. Menschen aus verschiedensten Spektren haben ihre Teilnahme angekündigt. Neben MitarbeiterInnen eines Autohauses sind das zum Beispiel Mitglieder der SPD, Mitglieder der Gewerkschaftsjugend oder auch Nürnberger StudentInnen! Sind das etwa keine Demokraten?
Auf unserer Kundgebung am 1. Mai in der Ziegelsteinstraße sprechen unter anderem (Stand 30.4.08):
Eylem Gün, Förderation demokratischer Arbeitervereine (DIFB) und Stadträtin der Linken Liste Nürnberg ab 2. Mai
Christine Stahl, MdL Bayern der Grünen
Josef Jakubowicz, Holocaust-Überlebender, Nürnberg
Kevin Voß, Vorsitzender der ver.di-Jugend Bayern
Sind das etwa keine Demokraten?
Einer in den Nürnberger Nachrichten vom 29.4.2008 wiedergegebenen Äußerung von OB Dr. Maly müssen wir ebenfalls widersprechen („Man habe versucht, mit dem Bündnis zu kooperieren. Doch das sei nicht möglich.“). Unsere Anmelder und Unterhändler haben anderes berichtet. Auf Bitte von Teilen der Stadtspitze haben wir sogar eine bereits angemeldete und genehmigte Kundgebung umgehend wieder aus unserem Programm genommen. Es gab kein konkretes Verhandlungsangebot der Stadt Nürnberg, außer dass wir in einem Falle aufgefordert wurden, die genannte Kundgebungsanmeldung ersatzlos zurückzuziehen (ein Kommentar dazu erübrigt sich). Kooperationen sind unserer Meinung nach jedoch nur dann möglich, wenn Verhandlungspartner aufeinander zugehen, um sich dann irgendwo in der Mitte zu treffen. In diesem Sinne hoffen wir auf eine fruchtbare Kooperation mit der Stadt Nürnberg in den nächsten Jahren! Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Nürnberger Bündnis gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2008 ".
Eine der wiederholt erhobenen Forderungen in Nürnberg und Hamburg lautete, Neonaziaufmärsche überhaupt zu verbieten. Die Kosten für den Steuerzahler wüchsen inzwischen ins Unerträgliche, beklagten Redner. Trotz Demonstrationsfreiheit müsse es zum rechtsstaatlichen Prinzip werden, zukünftig nur Demonstrationen zuzulassen, deren Träger keine rassistischen, also menschenfeindlichen Positionen vertreten, wie die NPD und ihr Mitläuferpotenzial. Aber auch gewaltbereite Gruppen, generell aus welchem Lager, sollten keine Demonstrationserlaubnis mehr erhalten.
Dass besonders die rechte Seite gefallen an der Gewalt gefunden hat, belegen auch diverse Einträge im rechten Infonetz Altermedia - obwohl ein Teil der Szene auch Enttäuschung zeigt. Da kommentiert beispielsweise ein "Klaus" am Nachmittag des 3. Mai:
Das ist wirklich das alleletzte. Ich finde die Kopien der roten Antifa, die sogenannten autonomen Nationalisten haben unserer Sache Geschadet. Die Gewalttätigkeiten haben uns im öffentlichen Bild sehr geschadet. Ich werde so lange nicht mehr an einer Demonstration teilnehmen, bis diese Ranalierer aus unseren Reihen verschwunden sind...War man irgendwann mal scharf auf diese Leute, um ein Wachsen der Bewegung vor zu gaukeln, sind sie heute die Laus im Nazipelz. Einfach gesehen, gewaltätige, dumpfe Individuen, denen politische Ziele am Arsch vorbei gehen. Hauptsache man hat sich mal wieder ausgetobt. Früher lief das unter “dritte Halbzeit”. Nun sind die Möglichkeiten nach Fußballspielen eingeschränkt, also machen sie es bei Nazidemos".
Daraufhin antwortet ihm ein "Borchert":
"Falls Du es noch nicht bemekt hast: der 1. Mai ist ein Kampftag. Dort werden keine Nettigkeiten ausgetauscht und viel weniger noch die Attacken des politischen Gegners tatenlos hingenommen. Aber auch darüberhinaus muß zukünftig jede Demonstration ein kämpferisches Element beinhalten; denn wer sich nicht wehrt hat keinen Anspruch den Staat zu bekämpfen, der uns unterdrückt."...
Die Polizei wird sich offensichtlich auch im nächsten Jahr auf einen gewaltsamen 1. Mai in Hamburg einstellen müssen. Und sie muss brüten, wie sie das verhindern kann.
Die Zivilgesellschaft auch. (hk)
Ergänzend zum Thema:
"Erlebnisorientierte Gruppen" - was Links- und Rechtsautonome eint bzw. unterscheidet - Ein MUT-Interview.
"Rechtsextreme feiern 1. Mai als Sieg" (spiegel.de, 2.5.)
"Wer sind die neuen Rechten?" Interview mit dem Kriminologen Prof. Thomas Feltes, (Hamburger Abendblatt 3.5. )
Selbstdarstellung feuerlegender linker Autonomer am 1. Mai 2008 auf youtube
Selbstdarstellung gewaltbereiter rechter Autonomer am 1. Mai 2008 auf youtube
Weiter Fotos der Neonazis in Barmbek auf endstation-rechts.
Aggressive Neonazis auch bei einer Demo in Aachen 2008 auf indymedia.
Mehr aus Nürnberg unter: http://www.nazistopp-nuernberg.de
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: H.Kulick(18), reuters(2)