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Living Equality - alle Menschen sind gleich


Die Idee, dass manche Menschen weniger wert seien als andere, ist das Kernelement der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Der Praxisverbund „Living Equality“ der Amadeu Antonio Stiftung unterstützt lokale Akteure, die sich für die Stärkung der Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag einsetzen. Damit werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Studie „Deutsche Zustände“ des Sozialwissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer für die Praxis nutzbar gemacht.


Von Jan Schwab


Wussten Sie schon, dass Frauen im Durchschnitt fremdenfeindlicher und rassistischer eingestellt sind als Männer? Statistiken belegen, dass sich Frauen in höherem Maße durch Fremde bedroht fühlen als Männer. Dies mag zwar auf den ersten Blick nach einer Verallgemeinerung klingen, doch geben wir zu: die Aussage überrascht uns schon. Oder war Ihnen klar, dass sehr viele Menschen in Deutschland der Ansicht sind, Ausländer seien selbst schuld, wenn man etwas gegen sie hat? Immerhin glauben das fast 47 % aller Befragten aus Wilhelm Heitmeyer’s Studie zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus dem Jahr 2004.

Hier ein paar weitere erschreckende Zahlen: „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“. Dieser Aussage stimmten im Jahr 2007 über die Hälfte (54,7 Prozent) der Befragten aus Heitmeyer’s Studie zu. Dass die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollten, wenn bei uns die Arbeitsplätze knapp werden, befürworten immerhin knapp 30 Prozent der Befragten, also annähernd jeder Dritte. Und der Aussage, dass die Juden „durch ihr Verhalten an ihren Verfolgungen mitschuldig“ seien, widersprechen nur die Hälfte der Befragten eindeutig und klar. Übrigens: Die Befragten ordnen sich selbst der „gesellschaftlichen Mitte“ zu und nicht, wie vielleicht angenommen werden könnte, dem rechten Rand.

Die Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag stärken

In seiner auf zehn Jahre angelegten Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ untersucht der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer seit 2002 eine Frage, die von vielen Menschen verdrängt und eher selten diskutiert wird: Wie feindselig ist die deutsche Gesellschaft gegenüber ethnischen und sozialen Minderheiten eingestellt? Diese feindselige Haltung wird als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet – auf den ersten Blick ein Ungetüm von einem Wort. Auf den zweiten Blick eine sehr knappe und treffende Definition. Von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird gesprochen, wenn sich Ablehnung oder Ausgrenzung nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen bestimmte Gruppen richtet. Sie äußert sich auf ganz unterschiedliche Weise: Verbale und körperliche Gewalt gegenüber Türken oder Afrodeutschen (Rassismus), Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Grabsteinen (Antisemitismus), frauenfeindliche Äußerungen (Sexismus), Gewalt gegenüber Schwulen und Lesben (Homophobie) – um nur wenige Beispiele zu nennen. Wesentlich sei dabei eine wichtige, inzwischen wissenschaftlich belegte Annahme, berichtet Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld: Die unterschiedlichen Vorurteile sind Elemente eines „Syndroms“ der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, und diese Elemente sind eng miteinander verbunden.

Wissenschaftliche Arbeiten erreichen in der Regel nur ein Fachpublikum, während die breite Masse nicht oder kaum von der Thematik erreicht wird. An dieser Stelle setzt der Projektverbund „Living Equality“ an, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag zu stärken. Denn: Allen Elementen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gemeinsam ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Das bedeutet, dass bestimmte Menschen als „weniger wert“ erachtet werden als andere: „Diese Ideologie kommt in Gestalt der Abwertung schwacher Gruppen zum Ausdruck, die wiederum eine Legitimationsfunktion für Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt erfüllt oder zumindest erfüllen kann“, stellt Heitmeyer in Folge 6 seiner Studie fest.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – ein „Syndrom“

Die jeweiligen abwertenden Haltungen können also nicht nur getrennt voneinander betrachtet werden, sondern müssen auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht werden. In der Praxis ergibt sich, dass Menschen, die abwertend über eine bestimmte Gruppe von Menschen denken, oft auch negativ gegenüber anderen Gruppen eingestellt sind. Das heißt zum Beispiel, dass Menschen mit einer antisemitischen Grundhaltung häufig zu Vorurteilen gegenüber Muslimen neigen. Oder dass Menschen mit einer sexistischen Einstellung sich häufig abfällig gegenüber Homosexuellen äußern. Aus diesem Grund bezeichnet Heitmeyer die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein Syndrom. Dieses Syndrom konnte erstmals 2002 anhand der verschiedenen feindseligen Einstellungen nachgewiesen werden.

Dieser ganzheitliche Ansatz ist die Basis für den Projektverbund „Living Equality“, der verschiedene Projekte zu unterschiedlichen Themen vernetzt, die im Sinne der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zusammenhängen. Fünf Projektpartner engagieren sich im Rahmen von „Living Equality“:

- Mit dem Schulprojekt "Augenblicke des Einhaltens" widmet sich der Landesverband der Sinti und Roma in Baden-Württemberg einem bisher vernachlässigten Element der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dem Antiziganismus (Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma).

- Mit der ganzen Bandbreite des Syndroms beschäftigt sich ein Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der RAA (Regionale Arbeitsstellen für interkulturelle Bildung, Jugendarbeit und Schule), die ein Instrument zur Selbstbewertung für Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und Stadtteile anwendet, um dort langfristig eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung zu etablieren.

- Das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) konzentriert sich in seiner Arbeit auf Rassismus und Rechtsextremismus im kommunalen Raum und stärkt mit Projekten demokratisch orientierte Menschen und Institutionen, die sich offensiv mit der rechtsextremen Problematik vor Ort auseinander setzen.

- Die AG „Migrantischer Antisemitismus und Islamismus“ thematisiert aktuellen Antisemitismus, der häufig in muslimisch geprägten Communities stark verbreitet ist. Akteure aus ganz Deutschland erstellen gemeinsam eine Broschüre zu diesem Thema, um anhand beispielhafter Projekte neue Handlungsansätze im Umgang mit "migrantischem" Antisemitismus aufzuzeigen.

- Die Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt sich mit der Intervention gegen Antisemitismus und konzentriert sich dabei vor allem auf Kommunen im ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.


Kein Grund zur Entwarnung

Vergleichende Analysen für den Zeitraum zwischen 2002 und 2007 zeigen, dass nur wenige Elemente der Menschenfeindlichkeit prozentual abgenommen haben. Dazu gehören Fremdenfeindlichkeit (kontinuierlicher Anstieg bis 2005, Stagnation 2006, seitdem signifikante Abnahme) und Sexismus (leichte Abnahme). Der Großteil der Elemente, d.h. Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus und die Abwertung von Obdachlosen und Behinderten, ist auf gleichbleibend hohem Niveau. Besonders erschreckend ist zudem, dass mittlerweile auch die NPD auf Heitmeyer’s Studie eingeht – und die Ergebnisse für ihre eigenen, menschenverachtenden Zwecke nutzt. So ist beispielsweise auf der Homepage der NPD zu lesen: „Nach Heitmeyers neuester Untersuchung meinen inzwischen 61 Prozent der Deutschen, es gebe zu viele Fremde in ihrem Land – ein Umfragewert, der die Hoffnung auf eine ethnische Reconquista [sic] nährt“. Kein Grund zur Entwarnung also. Es gibt viel zu tun – damit menschenfeindliche Einstellungen keine Chance haben.


Mehr Informationen zum Projekt finden Sie unter:
www.living-equality.org