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Sozialdemagogie von rechts war am Mittwoch das Thema einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Experten und Engagierte erörterten die spätmittelalterlichen Forderungen der NPD. Und was man tun kann…
Von Franziska Schwarzmann
Ein außergewöhnlich gemischtes Publikum fand sich am Tagungsort – der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin- an diesem Nachmittag ein. Anscheinend hatte die FES ein Thema aufs Tapet gebracht, was alle Generationen gleichermaßen ansprach. Die Tendenz der Rechten, mit überspitzt formulierten, dumpfen Sprüchen auf die Missstände und Verwerfungen der deutschen Wirtschaft hinzuweisen, regt viele auf. Die wahrlich simplen und unrealistischen Lösungen, für die vor allem die NPD wirbt, auch. Doch warum glauben so viele den Oberflächlichkeiten?
Dieser Frage ging Prof. Dr. Richard Stöss nach. Laut eigener Aussage wollte er die „Nachfrageseite“ beleuchten. Was denken die Menschen?
Verbinden sich rechtsextreme Einstellungen und die Kritik am Kapitalismus im Bewusstsein der Menschen? Dieser Frage ist der Prof. der FU Berlin mittels einer Repräsentativbefragung nachgegangen. Konstatieren musste er, dass die derzeitige Situation in der Bundesrepublik Kritik hervorruft. Eine Kritik, die sich mit rechtsextremistischen Gedankengut zunächst nicht zu tun haben muss. Doch verhält es sich so, dass 85 % aller Rechtsextremen auch Kritiker oder sogar ausgesprochene Gegner des Kapitalismus sind. Was einem auf den ersten Blick nicht so komisch vorkommen muss, ist auf den zweiten merkwürdiger denn je. Denn obwohl eine kritische oder ablehnende Haltung gegenüber dem kapitalistischem System nicht unbedingt nur von Linken gehegt wird, ist Kapitalismuskritik heutzutage eindeutig „links“ konnotiert. Von daher ist es schon erstaunlich, dass viele Menschen in der Bundesrepublik eindeutig rechtsextreme Statements mit linken verbinden.
Doch war das nicht das einzige Ergebnis, von dem Prof. Stöss berichtete: Ausgehend von der Erkenntnis, dass es eine Menge Menschen gibt, die rechtsextrem und kapitalismuskritisch sind, schlug er eine Brücke zur Sozialstruktur dieser Menschen: Wer sind die Menschen in unserem Land, die so denken? Ältere, vorzugsweise Frauen aus der sogenannten Unterschicht. Ausgehend von dieser Vorstellung stellte Stöss sich die Frage: Wen wählt diese Gruppe der Bevölkerung? Die NPD scheint es angesichts der schlechten Wahlergebnisse nicht zu sein.
„Die kapitalismuskritischen Wähler verteilen sich auf alle politischen Lager“, erklärte Prof. Stöss. Doch kann diese Feststellung nicht beruhigend sein. Ergeben doch seine Untersuchungen auch, dass die Gruppe der Nichtwähler die Menschen beinhaltet, deren Unzufriedenheit am größten ist. Noch also wählen die Kritiker des Kapitalismus die so genannten etablierten Parteien. Doch wen wir die in Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegene Gruppe der Nichtwähler wählen, wenn die etablierten Parteien ihnen keine befriedigenden Antworten auf ihre Fragen mehr liefern. Innerhalb des rechten Lagers sei die NPD Nutznießerin der deutschen rechtsextremen Einstellungen: Professor Stöss Untersuchungen ergeben, dass in Deutschland Rechtsextremismus kapitalismuskritischer Rechtsextremismus ist. Und das Thema Wirtschafts- und Finanzpolitik hat eindeutig unter den rechtsextremen Parteien die NPD besetzt.
Welche Themen welche rechtsextremen Parteien besetzten, erläuterte der zweite Experte, Dr. Ralf Ptak von der Uni Köln. Er stellte als Pendant zu Prof. Stöss die Angebotsseite vor. Chronologisch aufgebaut wies er zunächst darauf hin, dass erst veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen das Thema für Rechtsextreme so bedeutend machten. Nicht nur Krise und Zerfall des keynesianisch gestalteten Wohlfahrtsstaates, auch eine Legitimationskrise der neoliberalen Politik identifizierte Ptak als Grundvoraussetzungen für die Beschäftigung der Rechtsextremen mit dem Gebiet. Interessanterweise spaltete dieses Themenfeld die Rechten. Auf der einen Seite entwickelten sich die „Modernisierer“, die sich mit einer radikalen Interpretation neoliberaler Wirtschafts- und Sozialpolitik an der österreichischen Freien Partei orientierten. Zu ihnen zählten die Republikaner, die Schill-Partei sowie Teile der „Neuen Rechten“. Auf der anderen Seite fanden sich die „Traditionalisten“. Sie sind der gewichtigere Flügel heutzutage, da sie antikapitalistische Stimmungen mit völkischer Propaganda verbinden: Exemplarisch für diese Demagogie steht die NPD. In ihrem Kampf um die Straße machte sie dieses Thema zum Mittelpunkt: Ein Großteil von Demonstrationen und Kundgebungen thematisiert Wirtschaftsthemen. „Weil man damit eben gut punkten kann“, erklärt Dr. Ptak.
Was will die NPD?
Doch was genau verbirgt sich hinter den „Traditionalisten“?
Mit einer Dechiffrierung des Programms der NPD schloss Dr. Ptak seinen Vortrag ab. Er wollte aufzeigen, was wirklich hinter den Forderungen der NPD steckt. Etwas, was in der Öffentlichkeit kaum gemacht wird – weil Medien sich dem Vorwurf entziehen wollen, Werbung für die systemfeindliche Partei zu machen.
Ein Beispiel
Globalisierung
Anstatt einer weltweiten Arbeitsteilung strebt die NPD Protektionismus an: der eigene Markt soll also geschützt werden. Das bedeutet aber auch, dass der Exportweltmeister nur noch für sich produziert. Für die Rohstoffe, die Deutschland aufgrund nicht vorhandener eigener Quellen einführen muss, sorgen nach NPD-Programm bilaterale Verträge.
Die eigentliche Kritik an der Globalisierung entlarvt sich also als reine Gegnerschaft. So wie die frühen Merkantilisten ihre Wirtschaft gestalteten, strebt es die NPD im 21. Jahrhundert an. Dabei lässt sich in keinster Weise eine emanzipatorische Kritik am Kapitalismus entdecken.
Thematisieren oder Verschweigen?
An diese sehr informativen Beiträge schlossen sich Diskussionen an. Dabei interessierten sich die Tagungsteilnehmer, unter denen viele Engagierte gegen Rechtsextremismus waren, vor allem dafür, wie man mit der rechtsextremen Programmatik umgehen soll: Thematisieren oder Verschweigen?
Einstimmig sprachen sich die Experten für eine offensive Auseinandersetzung aus. Viele der NPD-Anhänger kennen das Programm wahrscheinlich nicht. Könnte man ihnen vor Augen führen, welche Konsequenzen die Forderungen der NPD hätten, könnte man viele noch wachrütteln und aus ihrem verblendeten Milieu lösen, vermutete Prof. Stöss.
Dr. Thomas Grumke aus dem Innenministerium Nordrhein-Westfalen sprach die Ausgrenzung der NPD an. Eine Einladung für NPD Politiker in Polittalk-Shows hielt er für nicht verkehrt....
Mehr Informationen: Die Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung