Im Rahmen der Gedenkveranstaltungen für den 1990 von Neonazis ermordeten Angolaner Amadeu Antonio Kiowa setzten am 6.12. rund 250 Eberswalder Bürgerinnen und Bürger ein Zeichen für Vielfalt, Demokratie und die Menschenrechte.
Von Jan Schwab
„Ich soll nicht morden
ich soll nicht verraten
Das weiß ich
Ich muß noch ein Drittes lernen:
Ich soll mich nicht gewöhnen
Denn wenn ich mich gewöhne
verrate ich
die die sich nicht gewöhnen
denn wenn ich mich gewöhne
morde ich
die die sich nicht gewöhnen
an das Verraten
und an das Morden
und an das Sich-gewöhnen
Wenn ich mich auch nur an den Anfang gewöhne
fange ich an mich an das Ende zu gewöhnen“
Eine Schülerin rezitierte das Gedicht „Entwöhnung“ von Erich Fried - als Warnung, sich nicht mit rassistischer Gewalt abzufinden, sondern hinzuschauen und einzugreifen, egal wo: In italienischen Fußballstadien oder im russischen St. Petersburg genau so wie in Berlin - oder im brandenburgischen Eberswalde. „Auch 17 Jahre nach dem Tod Amadeu Antonios müssen wir uns mit Rassismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen – denn diese Probleme sind nicht aus unserer Stadt verschwunden“, mahnten die Schüler im Innenhof des Kreishauses in Eberswalde, unweit des Marktplatzes. Flüchtlinge und Asylbewerber berichteten von rassistisch motivierten Schikanen: Im Schulbus lassen viele Kinder ihre Klassenkameraden nicht neben sich sitzen, weil diese „Ausländerkinder“ sind. Im Unterricht werden die betroffenen Kinder ausgegrenzt, und die Eltern müssen auf der Straße regelmäßig rassistische Hasstiraden über sich ergehen lassen. Trauriger Alltag in Eberswalde und anderswo. Und auch körperliche Gewalt gegenüber Migranten und Flüchtlingen sind keineswegs eine Seltenheit.
Vor 17 Jahren erlangte Eberswalde traurige Berühmtheit. Amadeu Antonio Kiowa, ein angolanischer Vertragsarbeiter, wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 von etwa 50 rechtsradikalen Skinheads durch die Stadt gejagt und verprügelt. Er fiel ins Koma und erlag am 6. Dezember 1990 seinen Verletzungen. Amadeu Antonio war eines der ersten Todesopfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung. Zum Gedenken an ihn und an die grausame Gewalttat wurde gestern vor seiner Gedenktafel am Ort der Ermordung ein Kranz niedergelegt.
Der 6. Dezember ist einerseits ein stiller Gedenktag, andererseits auch ein Datum, an dem sich engagierte Menschen für ein weltoffenes Eberswalde stark machen. Vor rund einem Jahr hatten sich 200 Schülerinnen und Schüler zusammengetan, um sich intensiver mit dem Tod Amadeu Antonios zu beschäftigen und ausgehend davon zu überlegen, was man heute konkret gegen Diskriminierung, Rassismus und Rechtsextremismus unternehmen kann. So fand auf Initiative der Jugendlichen beispielsweise im Herbst 2007 ein großes Konzert gegen Rechtsextremismus statt, „Rock me Amadeu“. Für 2008 planen die engagierten Schüler ein internationales Fußballturnier.
Am 6. Dezember 2007, dem 17. Todestag Amadeu Antonios, wurde gegen die „Residenzpflicht“ für Flüchtlinge demonstriert. Wenn Flüchtlinge aus Eberswalde oder Bernau den Landkreis Barnim verlassen wollen oder müssen, beispielsweise um Freunde, Verwandte, Ärzte oder Rechtsanwälte aufzusuchen, dann müssen sie vorher bei der Ausländerbehörde eine „Verlassenserlaubnis“ beantragen. Diese Erlaubnis kann gewährt oder auch verweigert werden. Das mußte auch Herr K. erfahren, der als Asylsuchender im Landkreis Barnim lebt. Drei Mal innerhalb der vergangenen zwei Jahre wurde er in Berlin und Potsdam ohne Verlassenserlaubnis an Bahnhöfen von der Polizei kontrolliert und angezeigt. Dass er für die entsprechenden Formulare erst nach Berlin und Potsdam fahren mußte und die Bescheinigungen nur nicht bekam, weil die zuständigen Stellen geschlossen hatten, interessierte die Polizei nicht. Schließlich erhielt Herr K. vom Amtsgericht Eberswalde eine Strafe von insgesamt rund 870 Euro, eine Summe, die er in 120 Tagessätzen abbezahlen muß. Ab 90 Tagessätzen gilt man als vorbestraft.
Dies ist kein Einzelfall, sondern eines von zahlreichen Beispielen für alltäglichen Rassismus und Ausgrenzung. Bei der Abschlußkundgebung nach der Demonstration wurde eines hervorgehoben: Subtiler Rassismus, dem die Betroffenen tagtäglich ausgesetzt sind, ob auf Ämtern, bei Behördengängen oder auf der Polizeidienststelle, ist schwieriger zu erkennen und zu bekämpfen als direkte Gewalt. Im schlimmsten Falle jedoch gipfelt subtile Diskriminierung in direkter rassistischer Gewalt. Mindestens 130 Menschen mußten seit der deutschen Wiedervereinigung mit ihrem Leben bezahlen – nur weil sie anders aussehen oder anders leben. Einer von ihnen war Amadeu Antonio Kiowa. Er wurde nur 28 Jahre alt.
Drei Fragen an... Brandenburgs Innenminister Schönbohm
Zur Website der Eberswalder Aktion LightmeAmadeu
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - 7.12.2007. Foto: Kulick