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Rechts abhaken


Im ländlichen Raum versuchen Neonazis die Hegemonie zu erringen. Man ist ja gerne ein wenig konservativ in so manchem Dorf – dies nutzen die Rechten dann als Eingangstür. Doch Landwirte und Landjugend erkennen das Problem und engagieren sich dagegen.

„Ich bin seit einiger Zeit in einer Freien Kameradschaft. Genau so etwas hatte ich immer gesucht. Wir haben Trainings und Musikfeste gemacht. Aber: Langsam aber sicher fühle ich mich in dieser Gruppe überhaupt nicht mehr wohl. Das mit der Kameradschaft stimmt oft gar nicht, erst recht nicht, wenn jemand anfängt, an der ganzen Sache zu zweifeln. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, denn ich habe auch richtig Angst vor den alten ‘Kameraden‘, die sind nicht zimperlich, wenn einer die deutsche Sache verrät, wie sie immer sagen.“

Solche und ähnliche anonyme Erfahrungsberichte erreichen die Onlineberatung gegen Rechtextremismus fast täglich. Rechte Parteien und Gruppierungen breiten sich aus, nicht nur in den einschlägig bekannten Gebieten Nieder-sachsens und in den neuen Bundesländern, sondern auch in Landstrichen, die bislang wenig vom Rechtsextremismus betroffen waren. Rieseby in Schleswig-Holstein, Reinhardtsdorf-Schöna in der Sächsischen Schweiz oder Ilsheim in Mittelfranken sind nur einige Beispiele dafür, dass die Rechte im ländlichen Raum auf dem Vormarsch ist.

Im Fokus: Land und Jugend


Gerade in kleinen Orten dauert es lange, bis klar wird, dass der Jugendtreff, der Fußballverein oder der regelmäßige Stammtisch ganz gefährlich nach rechts abgedriftet sind. Vor lauter „Man kennt sich ja“ und „Das ist doch der Nachbarsohn“ fällt der Groschen oft erst, wenn es eine Schlägerei oder erste Hakenkreuzschmierereien im Dorf gibt. Manchmal werden die jungen Wilden nicht recht ernst genommen. Oft fürchten Einwohner und Gemeinde aber auch um das gute Image des Dorfes – oder haben schlichtweg Angst. Denn aus dem idyllischen „Jeder kennt jeden“ wird ganz schnell ein „Ich weiß, wo du wohnst“.

Woher kommt diese Faszination, die rechte Vereinigungen, seien sie legal oder nicht, auf junge Menschen aus-üben? Land und Jugend stehen bei vielen rechten oder rechtsextremen Organisationen ganz oben auf ihrer To-do-Liste, denn hier sehen sie ein großes Potenzial, mit ihren Botschaften Gehör zu finden. Ganz falsch liegen sie damit nicht. Man ist ja gerne ein wenig konservativ in so manchem Dorf – dies nutzen die Rechten dann als Eingangstür.

Besonders in strukturschwachen Ge-bieten sind Parteien wie NPD, DVU oder die Republikaner aktiv. Stark vertreten sind hier auch die freien Kameradschaften, regionale und lose organisierte Neonazi-Gruppen, manchmal in Skinhead-Optik, manchmal – und zwar zunehmend – ohne klare Kennzeichen, was sie noch viel gefährlicher macht.

„Überall da, wo die Gemeinde sich keine Jugendarbeit mehr leisten kann, unterbreiten rechtsextreme Gruppierungen alternative Angebote und können quasi nebenbei junge Menschen mit ihren rechtsextremen Ideen beeinflussen. Der Prozess ist schleichend, subtil und keineswegs zufällig, der so genannte Kampf um die Köpfe, um die Jugend ist erklärtes Ziel“, erläutert Andreas Pförtner, stellvertretender Vorsitzender des Bun-des der Deutschen Landjugend.

Durch die Hintertür


Gerne engagieren sich die Rechten für Themen, mit denen sie im ländlichen Raum, gerade bei den Landwirten punkten – sei es die NPD in Brandenburg, die den Stopp der geplanten Privatisierung von BVVG-Flächen zugunsten der heimischen Landwirte fordert, die NPD Nordsachsen, die im Wahlkampf 2009 gezielt Bauern ansprach, oder aber die Protestaktionen von DVU und Co. gegen Gentechnik in der Landwirtschaft. Vielfach sind die rechten Vertreter angesehene und feste Bestandteile des dörflichen Lebens und nutzen ihre Verbindungen im örtlichen Fußballverein oder im Jugendtreff.

So war zum Beispiel bis vor zwei Jahren ein Mitglied des NPD-Bundesvorstands der einzige Fahrlehrer im sächsischen Königstein. Wer hier den Führerschein machen wollte, kam an ihm nicht vorbei – und so lernte er nach und nach die gesamte Landjugend kennen. Zwischen Wenden in drei Zügen und Rückwärts-Einparken servierte er seine ideologischen Botschaften – und hatte damit oft genug Erfolg.

Landwirte machen Front

 
Es ist immer wieder erschreckend, wie durchgängig und gut organisiert der Rechtsextremismus in Deutschland ist. Und immer wieder fragt man sich, wieso Staat, Medien und wir selbst die Anzeichen nicht oder erst viel zu spät erkennen. Kleine Kostprobe mit Geschmacksrichtung Landwirtschaft: Der „Bund freier Bauern“ organisiert gerne mal die eine oder andere Kampagne gemeinsam mit der NPD. Die „Heimattreue deutsche Jugend“ klingt original nach Drittem Reich; tatsächlich aber wurde dieser Jugendverband erst im März 2009 verboten. Und zwar, weil die Mitglieder – zwischen 7 und 29 Jahren – in Uniformen marschierten, mit rassistischem Gedankengut infiziert und zu Neonazis ausgebildet wurden. Nächstes Beispiel Bauernhilfe e.V.: Der Verein organisierte Seminare für Holocaust-Leugner und feierte Führers Geburtstag, und zwar bis Mai 2008, denn erst da wurde der offen antisemitische Verein verboten.

Landwirte und Rechte – eine gute Freundschaft? Nein, im Gegenteil. Gera-de Landwirte sind gerne mit von der Partie, wenn es darum geht, Nazi-Kundgebungen zu boykottieren, braune Versammlungen durch den Kakao zu ziehen oder generell Flagge zu zeigen. Hier sind einige der wirksamsten und absolut le-gale Protestaktionen: 1. Güllewagen neben den Sammelplätzen der Nazis ab-stellen: Hier gewinnt nicht nur das Wortspiel „braune Scheiße“ immens an Bedeutung, sondern auch die Rechte schnell an Land (Aktion „Wunsiedel stinkt´s“ im bayerischen Fichtelgebirge 2005). 2. Krach machen: Mit Rasenmäher, Motorsägen und Traktorenkorsos rechte Kundgebungen übertönen (in Kochel am See zum NPD-Wahlkampf 2009). 3. Weniger spektakulär, aber nachhaltig: Protest organisieren, Mitbürger aufrufen, Bewusstsein schaffen (zum Beispiel Aktion Gesicht zeigen, Landjugend Sachsen, Dezember 2009).

Brennpunkt Sachsen

Gerade in Sachsen sind rechte Strukturen so „normal“ wie in keinem anderen Bundesland. „Bei den U18-Wahlen zur Bundestagswahl ist die NPD in Sachsen auf knapp 13 Prozent gekommen!“ sagt Martin Schmidt (29), Bildungsreferent der Landjugend Sachsen e.V. In einigen Gebieten sind es sogar 15 oder 17 Prozent. „Die Brennpunkte“, erläutert Schmidt, „liegen besonders in den ländlichen Räumen.“ Abwanderung der qualifizierten Arbeitskräfte, sozialer Abstieg, leere Räume: „Wer hier bleibt, hat wenig Perspektive“, sagt Schmidt. „Und die jungen Landwirte, die durch ihren Betrieb an die Region gebunden sind, stehen plötzlich allein auf weiter Flur inmitten dieser rechten Hochburgen.“

Landjugend gegen rechts
 
Die Landjugend Sachsen e.V. hat dieses Problem erkannt und geht geschlossen dagegen vor. Besonders da, wo‘s brennt. Ein gutes Beispiel: Mittweida in Mittelsachsen ist Zentrum des ländlichen Raums nördlich von Chemnitz und beliebte Ausflugsregion zwischen Landschaftsschutzgebieten. Und seit 2007 bekannt für eine groß angelegte Landjugendaktion: Nachdem gezielt Jugendclubs von Rechtsradikalen angegriffen wurden, trugen die Landjugendlichen das Problem in die Öffentlichkeit. „Aktion Noteingang“ hieß die Kampagne, bei der Einwohner Aufkleber an ihre Fenster und Türen klebten und damit Schutzräume für Opfer rechtsextremer Angriffe anboten. Die Schilder sieht man noch heute an vielen Häusern – die Kampagne hat nachhaltig gewirkt.

„Ich halte es für eine wichtige Aufgabe der Landjugend, sich gegen diese fürchterliche Präsenz der Rechten in Sachsen zu engagieren“, bekräftigt Martin Schmidt. „Immer da, immer vor Ort, das ist unsere Devise!“ Vom Bundesverband erhielten sie für diese Aktion 2009 den Ernst-Engelbrecht-Greve-Preis, der alle zwei Jahre für innovative Projekte und Aktionen in der Jugendarbeit des ländlichen Raumes vergeben wird. Seit mehr als drei Jahren beschäftigt sich der Bund der Deutschen Landjugend intensiv mit dem Problem des Rechtsextremismus im ländlichen Raum. 2008 veröffentlichte der Verband in seinem gleichnamigen Grundsatzpapier das kla-re Bekenntnis: „NEIN zu Rechtextremismus und Rassismus“. 2009 folgte die Studie „Es wächst nicht einfach Gras darüber“, denn: „Benötigt werden nicht nur Informationen zur aktuellen Situation in den ländlichen Räumen, sondern vor allem konkrete Ideen, was man vor Ort tun kann“, erklärt Andreas Pförtner. Die Studie beweist: Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen ist weder ein reines Jugend- noch ein explizites Problem der neuen Bundesländer. Andreas Pförtner ergänzt: „Unsere Studie zeigt: Es muss etwas getan werden. Und sie zeigt auch, was man tun kann. Wir fordern deshalb alle AkteurInnen im ländlichen Raum auf, aktiv zu werden und gemeinsam gegen Rechtsextremismus zu handeln."

Es wäre schön, wenn dieser Appell mehr Unterstützung im ländlichen Raum fände.

Von Julia Davids
Foto: Eduardo Amorim, via Flickr, cc
 
Der Artikel ist im dlz Agrarmagazin erschienen.
 

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