Sie sind hier

Löbau: Von der Selbsthilfe zum demokratischen Motor der Stadt

Nominiert für den Sächsischen Demokratiepreis: Oberlausitz – Neue Heimat e.V.

Von Simone Rafael

Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt XI: In Löbau gründete sich der Verein Oberlausitz – Neue Heimat e.V. vor allem, um anderen Spätaussiedlern Hilfe zu bieten. Doch dann merkten die Mitglieder: Es gibt noch Probleme mit der Fremdenfeindlichkeit in der Region zu lösen – und warum nicht mit einem Beitrag von uns?

Valerias Steinhauer und die anderen Mitglieder des Vereins Oberlausitz – Neue Heimat e.V. sind noch ein bisschen geschafft an diesem Dienstagmorgen, aber auch voller Enthusiasmus. Am Wochenende veranstaltete der Verein sein „Familienfest“. Die Veranstaltung mit Musik und Tanz, Kinderprogramm und gutem Essen fand in diesem Jahr zum zweiten Mal statt in Löbau Ost, einem Stadtteil, der zu großen Teilen von russischen Spätaussiedlern bewohnt wird. „Letztes Jahr war ein großer Erfolg“, erzählt Valerias Steinhauer, „wir hatten 500 Besucher, die Menschen aus dem Stadtteil waren begeistert.“ „Aber dieses Jahr“, ergänzt seine Frau Elvira, „waren es nicht nur mehr Besucher, sondern auch zur Hälfte Einheimische!“ Sie strahlt. An diesem Tag funktionierte das friedliche Miteinander von Spätaussiedlern und einheimischen Löbauern. Das tut es nicht immer, aber immer öfter. Und daran hat Oberlausitz – Neue Heimat e.V. entscheidenden Anteil.


In Löbau-Ost, wo viele Spätaussiedlern leben, hat
auch "Oberlausitz - Neue Heimat e.V." sein Büro


"Großer Mangel an Information"
Vor sechs Jahren, 2001, gründeten Valerias und Elvira Steinhauer den Verein Oberlausitz – Neue Heimat e.V. zusammen mit acht anderen Spätaussiedlern. Das Ziel war damals: Hilfe zur Selbsthilfe. In der 18.000-Einwohner Stadt Löbau wohnen um die 1000 Spätaussiedler aus Russland. Sie leben in Wohnheimen und werden ein wenig betreut. „Aber eigentlich lebte jeder abgekoppelt für sich. Wir haben einen großen Mangel an Information gespürt“, sagt Elvira Steinhauer. Kein Wunder, sind doch beide Steinhauers Journalisten und damit Informationen ihr tägliches Brot. Damit waren die ersten Arbeitsfelder des Vereins klar: Ein kleines Büro, dass bei Fragen des täglichen Lebens hilft, in dem Aussiedler mit guten Deutschkenntnissen denen mit weniger guten beim Umgang mit Ämtern und Behörden zur Seite stehen. In diesem Büro in einer Wohnung in einem Plattenbau in Löbau Ost nahmen alle weiteren Aktivitäten des Vereins ihren Anfang: Die zweisprachige Zeitung „Neue Heimat“ etwa, die seit 2005 einmal im Monat erscheint, erstellt von einem ehrenamtlichen Redaktionsteam. Die Sprachtrainings, die bei Oberlausitz – Neue Heimat e.V, eine doppelte Funktion erfüllen: Es sind Gesprächskreise mit Einheimischen, bei denen alle Beteiligten Hemmungen fallen lassen und miteinander reden müssen, um zu lernen. Denn große Vorsicht herrscht auf beiden Seiten.

„Am Anfang wurde unser Verein von den Spätaussiedlern leicht misstrauisch beäugt und den Einheimischen war er egal“, sagt Valerias Steinhauer, „heute haben wir das Vertrauen vieler Spätaussiedler gewonnen, können viel auf die Beine stellen – und sind damit den einheimischen Organisationen manchmal zu aktiv.“ Denn Oberlausitz – Neue Heimat e.V. hat den Vorteil, dass er ein großes Potenzial an engagierten Ehrenamtlichen hat, die gut ausgebildet sind, aber keinen Job finden – und deshalb froh, wenn sie ihre Kenntnisse anwenden können.


Das Kernteam des Vereins: Valerias Steinhauer, Anke Lindner, Albert
Gabiell, Elvira Steinhauer, Olga Schulgrin


Jetzt gibt es eine Begegnungszentrum
Inzwischen betreibt der Verein gemeinsam mit dem Verein Neuer Stern ein Begegnungszentrum in der Löbauer Innenstadt. Das Angebot entsteht mit den Engagierten, die sich melden. Es gibt Musikunterricht und Mal- und Bastelnachmittage für Kinder, einen Frauenchor und eine Nähstube, betreute Seniorenclub- und Jugendclub-Termine. Für die älteren Kids gibt es eine – inzwischen schon landesweit für Feste gebuchte – Tanzgruppe und eine Volleyballmannschaft. Zu den kostengünstigen bis kostenlosen Angeboten kommen längst auch einheimische Löbauer.

Auch, dass es im Begegnungszentrum in der Brunnenstraße eine „Internationale Küche“ gibt, in der Arbeitslosengeld-II-Empfänger und bedürftige Familien kostengünstig essen können, hat die Begegnungsquote erhöht. Solche Projekte kann der Verein umsetzen, weil er Jobs auf dem 3. Arbeitsmarkt schafft. Löbau hat eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Valerias Steinhauer und sein Team haben erkannt, dass auch arbeitsschaffende Maßnahmen im sozialen Bereich ein Mittel sind, um Kontakte zwischen Spätaussiedlern und Einheimischen herzustellen. Inzwischen arbeiten und engagieren etliche Nicht-Aussiedler beim Verein. „Und die Stellen dann ganz praktisch fest, dass wir ganz normale Menschen sind“, sagt Valerias Steinhauer.


Das Begegenungszentrum liegt in einem schönen Altbau in der Innen-
stadt von Löbau


"Die Rechtsextremen haben Löbau verloren"
Denn die Situation in Löbau war nicht immer friedlich. Vor einigen Jahren noch kam es regelmäßig zu Schlägereien zwischen rechtsextremen und Spätaussiedler-Jugendlichen. „Besonders bei Stadtfesten hatte das geradezu Tradition“, erzählt Valerias Steinhauer, „und für den Ruf der Spätaussiedler war das fatal.“ Insofern fiel es noch unter die Hilfe zur Selbsthilfe, dass der Verein Schlichter-Teams auf die Feste schickte, um Schlägereien zu verhindern. „Heute sind die Feste friedlich“, sagt Valerias, „die Rechtsextremen haben Löbau als Provokationsort verloren, sie kommen nicht mehr her, eine Kameradschaft gibt es auch nicht mehr.“ Doch das reichte dem Oberlausitz-Neue Heimat-Team nicht. Valerias und Elvira riefen ein Jugendzeitungs-Projekt ins Leben. Mit Mitteln des Bundesprogrammes CIVITAS entstand aus einem Redaktionsteam von einheimischen und Spätaussiedler-Jugendlichen von 2004 bis 2006 die Zeitschrift „Impulse plus“, die für Toleranz und Demokratie wirbt, indem die jungen Redakteure etwa NPD-Parolen enttarnten, von Zeitzeugen-Gesprächen berichteten, aber auch lokale Jugendkultur beleuchteten.


Ein Plakat des Vereins "Oberlausitz - Neue Heimat"

Aktiv gegen Vorurteile
Derzeit entwickelt der Verein gemeinsam mit dem Kulturbüro Sachsen ein Konzept für Aufklärungsarbeit über die Situation der Spätaussiedler für Schulen. „Ein Team von zwei, drei Leuten, die gut Deutsch sprechen, klären über unsere Geschichte und unser Leben in Deutschland und die Vorurteile, die uns entgegen gebracht werden, auf, beantworten Fragen“, umreißt Valerias Steinhauer das Konzept. Erste Testläufe waren erfolgreich: „Die Schüler waren aufgeschlossen, aufmerksam, stellten viele und gute Fragen. Ich glaube, wir hatten wirklich frische Informationen für sie.“ Jetzt sucht der Verein nach Möglichkeiten, dieses Projekt kontinuierlich umzusetzen. Denn Rechtsextremismus gibt es laut Steinhauer in Löbau nicht mehr, Fremdenfeindlichkeit aber eben schon. „Das merke ich schon im Supermarkt, wenn die Kassiererin der Person vor mir und der Person nach mir ein schönes Wochenende wünscht, mir aber nicht“, sagt Valerias Steinhauer, „viele denken eben immer noch, wir wären anders und nicht gut für Deutschland.“ Deshalb ist für Oberlausitz – Neue Heimat e.V. jede Form von Aufklärung und Begegnung der Motor hinter allen Aktivitäten. Und der Einsatz und die Kreativität, mit der die inzwischen 80 Engagierten des Vereins das anpacken, wäre definitiv einen Sächsischen Förderpreis für Demokratie wert, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird.

Mehr im Internet:
Sächsischer Förderpreis für Demokratie:
www.demokratiepreis-sachsen.de
Oberlausitz – Neue Heimat e.V.
www.neue-heimat.org

Mehr auf mut-gegen-rechte-gewalt.de:

80 x Mut in Sachsen

Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2007:

  1) Aktion Zivilcourage Pirna
  2) arche noVa e.V., Dresden
  3) Bürgerbündnis für Menschenwürde, Mittweida
  4) Buntes Leben, Freiberg
  5) Hatikva e.V., Dresden
  6) Jugendforum Chemnitz
  7) Gruppe KLARA, Dresden
  8) Kreativhaus, Dresden
  9)  Landesjugendpfarramt Sachsen, Leipzig 
10)  Netzwerk für Demokratische Kultur, Wurzen
11) Oberlausitz - Neue Heimat e.V., Löbau
12) Schulmuseum, Leipzig
13) Sprungbrett e.V., Riesa
14) Stadtverwaltung Glauchau
15) Treibhaus e.V., Döbeln

neue-heimat-start.jpg

Das Team des Vereins Oberlausitz - Neue Heimat e.V.