Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt X: Das Netzwerk für Demokratische Kultur bringt seit den Jahren Gegenkultur zum rechtsextremen Mainstream nach Wurzen – so dass dieser langsam, aber sicher weichen muss.
Das Spätrenaissance-Gebäude am Domplatz im Zentrum der 15.000-Einwohner-Stadt Wurzen ist nach vielen Jahren Renovierungsarbeit immer noch eine Baustelle. Wer das Haus des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) betritt, merkt sofort: hier wird jeden Tag schwer gearbeitet, und bis wirklich alles fertig ist, wird noch einige Zeit vergehen. Auf dem Flur und in einem der größeren Zimmer liegen Bretter, Eimer und Werkzeug verstreut. Doch der Großteil des Erdgeschosses ist schon seit längerem eingerichtet. Der Flur beherbergt eine Bibliothek, gleich rechts neben der Eingangstür befindet sich ein großer gemütlicher Seminarraum, dahinter Büroräume für die Mitarbeiter.
NDKler informieren die Öffentlichkeit über einen rechtsextremen Versandhandel
in ihrer Stadt
„Wir haben gerade mit dem Ausbau des ersten Stocks begonnen“, berichtet Stefan Meister vom Netzwerk für Demokratische Kultur. Eine Aufgabe, die in relativ kurzer Zeit bewältigt werden könnte, hätte man das nötige Kleingeld, um Baumaterialien und Handwerker zu bezahlen. Da die finanziellen Ressourcen für das Netzwerk knapp bemessen sind, müssen andere Wege gefunden werden, um aus einem leeren kalten Gebäude ein buntes Bürgerzentrum entstehen zu lassen. Ehrenamtliche Arbeit wird hier ganz groß geschrieben: das Netzwerk für Demokratische Kultur lebt von der Eigeninitiative vieler einzelner.
Ein Bürgerzentrum in Wurzen – keine Selbstverständlichkeit
Die Arbeit dauert zwar ihre Zeit, macht aber allem Anschein nach viel Spaß. Die Zahlen sprechen für sich: der 1999 gegründete Verein hat mittlerweile 25 Mitglieder, über 50 Leute engagieren sich kontinuierlich als Ehrenamtliche für das Netzwerk. Dieses Engagement zahlt sich aus: im Sommer 2006 erfüllte sich für den Verein der bisher größte Traum. Das Netzwerk für Demokratische Kultur eröffnete sein neues soziokulturelles Zentrum am Domplatz 5 – die einzige Anlaufstelle für demokratisch orientierte Menschen in Wurzen, und zunehmend auch ein wichtiger Treffpunkt für die ganze Muldental-Region. Inzwischen gehen Menschen aller Altersklassen (die jüngsten sind 16, die ältesten um die 80) im „BürgerInnenzentrum D5“ ein und aus und engagieren sich für die unterschiedlichsten Projekte. Jugendliche, die sich für neue Medien begeistern, können hier beispielsweise ihre eigenen Kurzfilme drehen. Kunstworkshops und Lesungen, z.B. zum Thema Rechtsextremismus, werden ebenso angeboten wie Rockkonzerte und Technoveranstaltungen. Es gibt ein Kino und ein Café mit Internetraum.
Platz für inhaltliche Arbeit und für Spaß
Das BürgerInnenzentrum ist für Wurzen keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Die heutige Situation ist das Ergebnis harter Arbeit. Nicht selten fühlten sich die „Netzwerker“ allein gelassen mit ihrem Vorhaben, ein Demokratiezentrum in ihrer Stadt aufzubauen. „Anfangs hatten wir mit enormen Widerständen zu kämpfen“, erzählt Miro Jennerjahn, einer der ganz wenigen festen Mitarbeiter im Verein: „Damals dominierten rechtsextrem orientierte Jugendliche alle öffentlichen Räume im Ort“. Als das Netzwerk im Dezember 1999 seine größtenteils ehrenamtliche Arbeit begann, galten seine Mitglieder noch als Unruhestifter und Nestbeschmutzer, weil sie immer und immer wieder auf die rechtsextreme Problematik im Ort aufmerksam machten. Für sie war es nicht normal, dass Rechtsextremismus die prägende Jugendkultur bildet und dass anders Lebende und Aussehende täglich beleidigt und angegriffen werden. Trotzdem waren meistens sie es, die ständig unter Rechtfertigungsdruck standen, wenn die Presse von der skandalösen Situation in Wurzen berichtete.
Buntes Treiben auch für die Kleinen auf dem DomplatzKontinuierliches Engagement, langsamer Bewussteseinswandel
Trotz dieser großen Schwierigkeiten gaben die Jugendlichen nicht auf. Sie fingen an, Pläne zu schmieden und Ideen zu entwickeln, es entstanden erste Kontakte zu lokalen Partnern und Unterstützern. Eine Spendenaktion der Wochenzeitung DIE ZEIT brachte 2002 die entscheidende Wende: insgesamt 51.000 Euro kamen damals zusammen und ermöglichten den Kauf des Hauses am Domplatz. Doch obwohl sich durch das mutige Engagement des Vereins vieles im Ort zum Positiven verändert hat - rechtsextremes Denken und Auftreten ist unter Jugendlichen in Wurzen nach wie vor verbreitet. Wie gewalttätig manche diese Gesinnung zum Ausdruck bringen, wird immer wieder deutlich, wenn wie im Sommer 2003 Besucher nach einem Konzert im NDK von Rechtsradikalen überfallen und gejagt wurden. Auch einen Bombenanschlag und Überfälle aufs Büro haben die Engagierten in den letzten Jahren ausgehalten. Und beim Oberbürgermeister der Stadt, betont Stefan Meister, habe immer noch kein Bewusstseinswandel stattgefunden, wenn es darum geht, den die Arbeit des Vereins zu unterstützen oder zumindest anzuerkennen. Auch heute noch, nach Jahren kontinuierlichen Engagements. Bei Stadträten und der öffentlichen Verwaltung dagegen habe mit der Zeit ein Umdenkungsprozess stattgefunden, das Misstrauen dem Netzwerk gegenüber sei spürbar gesunken.
Was für ein Theater! Solches gibt es regelmäßig in Wurzen nur im NDK
Doch die Arbeit des Netzwerks hat vor allem schon Einiges bewegt in Wurzen. Der Verein hat Hip Hop-Konzerte organisiert, eine Wanderausstellung über Anne Frank nach Wurzen geholt oder Bildungsreisen für Jugendliche initiiert. Angebote, die es vorher in Wurzen nicht gab – ein ermutigendes Beispiel, wie man durch eine attraktive Gegenkultur auf präventive Art und Weise gegen Rechtsextremismus aktiv werden kann. Im Laufe der Jahre hat sich zudem eine gute und dauerhafte Zusammenarbeit und Vernetzung mit Unternehmen und Vereinen aus der Region entwickelt, die mit dazu beitragen, dass die Arbeit des Vereins auch für die Zukunft gesichert ist. Mit ihren Erfahrungen treten die rund 80 Ehrenamtlichen des Vereins auch anderen zur Seite: Sei es, indem sie Initiativen aus benachbarten Orten beraten, oder dass sie in einem aktuellen Projekt an Gymnasien der Region Open Spaces organisieren, bei denen die Schüler überlegen können: Was wollen wir für die Region, was wollen wir gegen Rechtsextremismus tun? Bei der Umsetzung der entstandenen Projektideen helfen die NDKler dann auch.
Das Engagement des NDK zeigt beispielhaft, dass es sich lohnt, sich für die Entwicklung demokratischer Verhältnisse einzusetzen: die Engagierten haben eine spürbare Veränderung im gesamten Klima der Stadt bewirkt – bis in die Region hinein. Zwar konnten sie die rechtsextremen Strukturen nicht beseitigen. Doch sie haben ein echtes und vielfältiges Gegenangebot als Alternative zur rechtsextremen Dominanz geschaffen. Und d as wäre definitiv einen Sächsischen Förderpreis für Demokratie wert, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird.
Mehr im Internet:
Sächsischer Förderpreis für Demokratie:
www.demokratiepreis-sachsen.de
Netzwerk für Demokratische Kultur Wurzen:
www.ndk-wurzen.de