Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
In diesem Monat Mai starten bundesweit zwei neue Beratungs-Websites gegen Rechtsextremismus mit ähnlichen Schwerpunkten. Eine davon wurde am Montag gelauncht 8Foto), vom Holtzbrinck-Verlag, zu dem ZEIT, Tagesspiegel und Handelsblatt gehören. Ein weiteres Ratgeber-Portal startet Mitte Mai. Es entsteht in Kooperation des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" und der Bundeszentrale für politische Bildung. Doch warum jetzt erst, während es das MUT-Portal schon seit 5 Jahren gibt? Ganz einfach: das Thema hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. Und Handlungsbedarf wird endlich erkannt.
Von Holger Kulick
www.online-beratung-gegen-rechtsextremismus.de heißt momentan noch etwas sperrig die neue Website, die der Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" unter Vorsitz von Joachim Gauck am 15. Mai präsentieren will. Geplant ist das "bundesweite Modellprojekt" in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung. So lautet die Selbstbeschreibung der Beteiligten:
„Es war ein Schock für mich, dass mein Sohn in der rechten Szene gelandet war. Lange habe ich es nicht gewagt, mich jemandem anzuvertrauen. Eine anonyme Beratung über das Internet wäre damals ideal für mich gewesen“, berichtet Barbara P., Mutter eines rechtsextremen Jugendlichen.
„In der Regel sind diese Menschen mit ihrem Problem allein. Durch unser Projekt erhalten sie jetzt konkrete Hilfe“, erklärt Cornelia Schmalz-Jacobsen, stellvertretende Vorsitzende von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.. Für alle Alters- und Personengruppen, die mit Rechtsextremismus konfrontiert sind oder die sich aufgrund rechtsextremistischer Erscheinungen in ihrem persönlichen Lebensumfeld überfordert fühlen, bietet dieses neue Projekt erstmals eine Anlaufstelle für individuelle Beratung, Kontakte zu regionalen Einrichtungen, Projekten und Netzwerken (Geodatenbank), sowie Informationen über die rechtsextreme Szene.
Was etwas überrascht: In gewisser Weise gibt es so etwas längst. Die Elternhilfe von www.exit-eutschland.de oder die mobilen Beratungsteams wie www.mbr-berlin.de haben sich schon lange auf Ratgeben spezialisiert. Auch das MUT-Portal, das in diesen Tagen 5 Jahre alt wird. Ein Großteil unserer Alltagsarbeit hat damit zu tun, Ratsuchenden zu helfen, in den meisten Fällen vertraulich ohne dass dies gleich veröffentlicht wird. Die Nachfrage ist also tatsächlich vorhanden und sie ist groß. In dieser Hinsicht machen solche Ratgeberportale einen großen Sinn. (Was uns allerdings etwas verblüfft: Im Rahmen ihrer Fach-Website www.bpb.de/rechtsextremismus hatten wir der Bundeszentrale für politische Bildung schon vor über einem Jahr einen solchen Schwerpunkt vorgeschlagen, das wurde damals noch abschlägig beschieden, weil dies die Möglichkeiten der bpb überfordere). Nun scheint dort die Einsicht gewachsen zu sein, dass doch ein akut gewachsener Beratungsbedarf besteht, dem man sich stellen muss. Vorgestellt werden soll das Projekt am 15. Mai im Berliner Museum für Kommunikation.
Start bereits heute: Das ZEIT-Netz gegen Nazis
Im Berliner Palais am Festungsgraben wurde bereits 10 Tage eher ein weiteres Informations- und Beratungsportal gestartet, das von allen vergleichbaren Websites mit Sicherheit die beste Ausstattung hat. Allein vier feste freie Mitarbeiter können bezahlt werden und als kompetenten Projektleiter konnte der Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud gewonnen werden, Autor des Fachbuchs "Moderne Nazis". Ein Vorläufer wurde seit ein paar Monaten getestet, der "Störungsmelder", ein blog der ZEIT-Zünder-Redaktion "über Nazis".
Das neue ZEIT-Projekt "Für Deutschland" liest sich in seiner Selbstbeschreibung so:
"Die Idee - In großen Teilen der Öffentlichkeit – und damit auch in der Leserschaft der ZEIT – herrschen Unwissen und Unsicherheit zum Umgang mit Rechtsextremismus. Dieses Projekt soll
- bislang Unentschlossene zu Aktivitäten gegen Rechtsextremismus ermutigen und bestehende Initiativen stärken
- den Austausch von Wissen und Erfahrungen fördern und Instrumente zur (regionalen) Vernetzung bereitstellen – konkrete Vorbilder sollen andere zur Nachahmung motivieren
- und als Wegweiser zu existierenden Informationsquellen, Gruppen, Experten dienen.
Es zielt nicht nur auf Jugendliche, denn Rechtsextremismus ist in allen Altersgruppen verbreitet. Es zielt nicht nur auf Gymnasien, denn rechtsextremistische Einstellungen nehmen mit niedrigerer Bildung zu. Wenn das Projekt wirklich etwas verändern will, muss es versuchen, auch Randbereiche der Gesellschaft zu erreichen. Es soll eine wirklich breite – bürgerliche – Öffentlichkeit gegen Rechtsextremismus mobilisieren.
Das Projekt besteht inhaltlich aus zwei Teilen:
1. einer Website: Auf einem Teil der Homepage sammeln wir Antworten auf eine begrenzte Zahl von Fragen, die viele Menschen im Umgang mit Rechtsextremismus und Neonazis haben. Zusätzlich werden Hinweise zu vorhandenen Initiativen, Kontaktstellen, Wissenspools etc. gegeben. 2. einem Buch oder eine Broschüre, in der die Ergebnisse des Netzprojektes aufbereitet und danach breit gestreut werden.
Die Website selbst wird ist in zwei Teile gegliedert: Wissen und Handeln. Für letzteres sind unsere Nutzer die „Experten“, für ersteres suchen wir die Experten selbst und sorgen redaktionell für kompetente Antworten. In der Sektion Handeln soll eine lebendige Debatte in Gang kommen, die von vornherein thematisch strukturiert ist. Wir geben Bereiche vor, zu denen die User Erfahrungen, Unsicherheiten, Fragen – und besonders Antworten! – einbringen kann. Wichtig ist, durch Echtzeit-Moderation Diskussionen zu fördern und (rechtsextreme) Sabotageversuche zu vereiteln; hier können wir zum Glück auf Erfahrungen des „Störungsmelders“ zurückgreifen.
Es sollten höchstens zehn bis zwölf Fragen besprochen werden, diese könnten sein:
1. Wie erkenne ich einen Rechtsextremisten? Was ist Rechtsextremismus?
2. Bei einer Familienfeier macht Onkel Rolf wieder mal rassistische Witze. Oder
schwärmt von seinen Kameraden in der HJ. Wie reagiere ich?
3. An meiner Schule/in meiner Stadt werden die Nazis mehr. Was kann ich tun?
4. Ich bin Opfer eines rechtsextremistischen Angriffs. Interessiert das jemanden? u.a.m...."
Das Thema hat die Mitte erreicht
Die ZEIT nimmt das Thema augenscheinlich sehr ernst. Es gibt kaum einen Experten auf diesem Gebiet, den die ZEIT-Kollegen in den letzten Wochen nicht angesprochen haben, um zu helfen, die Seite zu füllen. Für uns eine kleine Ehre: Nicht wenige dieser Experten haben sich lange Zeit auch als Autoren für das MUT-Portal einen Namen gemacht.
Ob uns das aufwändige ZEIT-Projekt neidisch macht? Eher stolz. Es beweist, das Thema Rechtsextremismus ist endgültig in der Mitte der bundesrepublikanischen Gesellschaft angekommen und wird nicht mehr mit spitzen Fingern angefasst, wie das noch vor 5 Jahren der Fall war. Damals entstand quasi als Pionier auf diesem Gebiet die Einfrau-, Einmannredaktion www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, initiiert vom stern und der Amadeu Antonio Stiftung. Im aktuellen Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung erinnert sich Anetta Kahane an diese Zeit: "Im Jahr 2003 galten noch so ziemlich alle Aktivitäten gegen Rechtsextremismus als politisch suspekt. Wenn wir also bei unseren Freunden und Kollegen im stern anriefen und sie sich mit "Hier Antifabüro Hamburg!" meldeten, so war dies wohl ein Scherz, sagte aber dennoch viel über den atmosphärischen und politischen Kontext jener Zeit. Gegen Rechtsextremismus anzutreten wurde meist nicht als Beitrag zum Schutz demokratischer Kultur gesehen, sondern lediglich als Antithese begriffen. Wer gegen rechts sei, müsse also links sein, hieß es allgemein. Und wer sich mit "solchen Themen" beschäftigt, fischt in trüben und braunen Rand der Gesellschaft - eine unschöne Aufgabe, die gewiss irgendwie gemacht gehört und vielleicht sogar ehrenvoll ist, aber nicht wirklich in die Mitte gehört. Weder in die Mitte der Politik, noch in die der Gesellschaft. Und die eben trotz allem den Geruch nicht los wird, dass es doch etwas Linkes sein muss, das Menschen gegen Rechts gehen lässt.".
Jetzt aber hat sich die offenkundig Zeit gewandelt, denn sogar die CDU (wenn auch ein wenig unter dem Druck ihres Koalitionspartners SPD) hat das Thema als relevant erkannt. Und quer durch die Republik registriert die Polizei eine zunehmend militante rechtsextreme Szene, allseits sichtbar zuletzt in Hamburg am 1. Mai. Und Jugendliche, vor allem in Kleinstädten und auf dem Land, empfinden es als zunehmend cool, rechtsaußen zu sein und lassen sich zu rassistischen und demokratiefeindliche Grundhaltungen verführen. Der Zusammenbruch von Jugendarbeit auch im Westen hat dazu geführt, dass die NPD in Lücken springen kann, in denen sie anbietet, was früher auch andere Parteien einmal taten: sozialer Ansprechpartner zu sein, und das nicht nur für die nachwachsende Generation. Dass in Bundesländern wie Brandenburg die NPD unter Jungwählern aktuell auf über 12 Prozent der Stimmen kommen könnte, ohne dort überhaupt im Parlament vertreten zu sein (Infas-Umfrage) , ist ein besonders alarmierendes Zeichen. Und immer häufiger stammen die Mitläufer dieser Szene auch aus gebildeteren Schichten.
Die leidige Nazikeule
Schade ist allerdings, dass das neue ZEIT-Netz-gegen-Nazis gleich im Namen mit der Nazikeule kommt, Netz gegen Rechts wäre stimmiger gewesen. Denn die Basis für bekennende Neonazis, wie sich z.B. unter Autonomen Nationalisten oder der Jugendorganisation JN der NPD finden, liegt in der nach rechts verschobenen Mitte der Gesellschaft, dort, wo sich aufgrund sozialer Verunsicherung zunehmend menschenfeindliche und demokratieskeptische Haltungen aufbauen und sich Vorurteile stabilisieren und potenzieren. Auch diese Menschen muss man erreichen, ob am Stammtisch, der Kaffeetafel oder im Kirchenchor. Wenn man sie aber gleich als Nazis tituliert, nur weil sie partiell rechts denken und auf diese Weise in die Ecke stellt, erreicht man sie nicht.
Selbst wenn die Koperationspartner, wie bei der ZEIT, ZDF, DFB, studiVZ, Feuerwehrverband usw. heißen. Ein sensibler Auftakt ist das nicht. Dennoch ein wichtiger und ein überfälliger Schritt.
MUT wünscht den Kollegen (und Kolleginnen) ein gutes Gelingen! Und mindestens auch 5 Jahre Durchhaltekraft. Es ist an der ZEIT.