Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie: Landesjugendpfarramt Sachsen
Von Simone Rafael
Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt IX: Die Kulturarbeit des Landesjugendpfarramts Sachsen sensibilisiert Kids für rechtsextreme Musik: „Schließlich sind Symbole unser Kerngeschäft.“
Thomas Feist ist ein ziemlich rockiger Theologe. Der Mann, der die Kulturarbeit des evangelischen Landesjugendpfarramtes Sachsen verantwortet, wirkt mit der trainierten Figur, den großen goldenen Ohrringen und der geschorenen Glatze wie ein musikverrückter, subkultur-gestählter Bandprojekt-Betreuer. Der Eindruck täuscht nicht, denn zu Thomas Feists Job gehört es, Musikgruppen zu betreuten – christliche Bands, die in den evangelischen Gemeinden Sachsens entstehen.
Ein Faible für Symbolik
Neben der Bandarbeit gehören Kultur- und interkulturelle Bildungsarbeit zu den Aufgaben des 42-jährigen studierten Musikwissenschaftlers, Theologen und Soziologen. Er erarbeitet Angebot und Handreichungen zu Musik und Jugendkulturen für die rund 900 evangelischen „Jungen Gemeinden“, die es in Sachsen gibt. „Da hat es sich angeboten, sich auch mal mit rechtsextremer Symbolik zu beschäftigen“, sagt Thomas Feist, „schließlich ist Symbolik ja auch ein Kerngeschäft der christlichen Kirche.“
Im Jahr 2002 kamen dann verschiedene Auslöser zusammen, die Idee auch in die Tat umzusetzen. „Ich habe eine Untersuchung gelesen, die vor dem Hintergrund steigender rechtsextremer Tendenzen in der ganzen Gesellschaft zeigte, dass die Leute im Raum der Kirche nicht anders ticken als außerhalb – obwohl doch rechtsextreme Ideen für Menschen mit christlichem Menschenbild gar nicht möglich sein sollten“, sagt Thomas Feist. Zudem wird er von Teilnehmern eines deutsch-israelischen Jugendaustausches, den er organisiert, zunehmend mit Fragen zum Rechtsextremismus in Sachsen gelöchert.
"Auch Christen sind nicht immun"
Feist arbeitet zunächst zu rechtsextremer Mythologie und Neuheidentum, belegt die Verstrickungen durch Musikvideos, denn die Musik ist schließlich sein Kerngeschäft. Zeitgleich erarbeiten Kollegen aus der sozialdiakonischen Jugendarbeit eine Fortbildung gegen Stammtischparolen. Beide Module werden in den Jungen Gemeinden begeistert angenommen, der Informationsbedarf ist groß. „Ich habe in der Kirche nie wirklich rechtsextreme Menschen getroffen“, sagt Feist, „aber Wertkonservatismus ist weit verbreitet. Familie, Treue, da gibt es Anknüpfungspunkte. Auch Christen sind nicht immun gegen einfache Wahrheiten. Aufklärung kann da helfen.“
Doch Thomas Feist will auch über die Kirchen hinaus wirken – wohl wissend, dass er die wirklich rechtsextrem gefährdeten Schüler Sachsens nicht in den Jungen Gemeinden antrifft. Gemeinsam mit einer Studentin, die gerade ihre Magisterarbeit über die Schulhof-CDs geschrieben hat, die die NPD zur Mitgliederwerbung unter Jugendlichen verteilt, erarbeitet er ein Konzept für Schulprojekttage zum Umgang mit rechtsextremer Musik unter dem Motto „Wehret den Anfängen!“ Sie wenden sich an Schüler der siebten und achten Klassen in Mittelschulen. Seine Erfahrung hat Thomas Feist gezeigt, dass viele Jugendlichen in diesem Alter Spaß an Verbotenem haben, an Dingen, die mit Tabus belegt sind. Deshalb bringt er genau diese Dinge mit in den Unterricht und spricht mit den Schülern darüber. „Alle Schüler reden über die Schulhof-CD, aber kaum einer hat sie gehört. Alle tuscheln über rechtsextreme Postillen über die Musikzeitschrift Rock Nord, aber kaum einer hat sie jemals gesehen, geschweige denn ihre Botschaften hinterfragt“, sagt Thomas Feist. Deshalb möchte er derjenige sein, der mit den Kindern diese rechtsextremen Kulturerzeugnisse bespricht, über Inhalte aufklärt, ihre argumentative Beschränktheit aufzeigt. „Damit sie, wenn sie jemand auf dem Schulhof anquatscht und sagt, guck mal, ich hab hier eine Rock Nord, antworten können: Kenn ich schon, weiß ich schon, wie das funktioniert.“
Eine Gratwanderung
Dass die Arbeit mit rechtsextremen Origional-Materialien immer eine Gratwanderung ist, weiß Feist. Er meint aber: „Man kann nur an den Materialien erarbeiten: Wie sehen die Strategien der Rechtsextremen aus? Und was bedeutet das Weltbild, dass dahinter steht?“ Feist und seiner Teampartnerin ist es wichtig, die Schüler nicht mit dem Material allein zu lassen, es nicht herumzugeben, sie aber erkennen zu lassen, wie raffiniert die Winkelzüge rechtsextremer Tarntaktiken manchmal sind – und wie simpel. Damit die Rock Nord von einer geheimnisumwitterten Aura auf die eine schlecht gemachte rechtsextreme Bravo-Kopie schrumpft, die sie ist.
Bekehrt wird niemand
Thomas Feist verfolgt mit seiner Arbeit nämlich eine Strategie, die gerade angesichts seines kirchlichen Backgrounds vielleicht verwundert: Er will niemanden bekehren. „Entscheidungen über sein Handeln muss jeder Mensch selber treffen“, sagt er, „mir geht es um eine Erziehung zu eigener Verantwortlichkeit.“ Wenn er die Siebt- und Achtklässler zu Beginn seines Projekttags fragt, was eigentlich heute konkret auf ihren T-Shirts steht, kommt gerade von denen, die rechte Sprüche spazieren tragen, oft keine überzeugende Antwort. „Und das will ich den Kindern klar machen“, sagt Feist, „dass jeder verantwortlich ist für das, was er tut. Und das jedes Handeln Konsequenzen hat. Und dass sie hinterfragen müssen: Warum mache ich das? Und was sagt das über mich aus?“ Er vermittelt den Schülern – immer an Beispiel der Musik –, dass es im Leben wenig Eindeutigkeit gibt und viele Brüche und Überraschungen, so dass es Not tut, selbst zu denken. „Wenn die Schüler an Musikbeispielen zuordnen sollen, wie denn nun Musik von Vegetariern oder Christen klingt, merken sie schnell selbst, dass die Vorstellungen und Vorurteile für den Variantenreichtum des Lebens oft nicht ausreicht.“ Er versucht auch, ihnen klar zu machen, dass sie jeder für sich einzigartig und wertvoll sind, und zwar zu wertvoll, um von einer menschenverachtenden Ideologie gleichgeschaltet und benutzt zu werden.
Die meisten Lehrer, die er während seiner Arbeit trifft, haben wenig Ahnung von den Symbolen und den dahinter verborgenen Ideologien und Jugendkulturen, die ihre Schüler umtreiben. Deshalb wünscht sich Thomas Feist, Lehrerfortbildungen in diesem Bereich aufzubauen. Er würde seine Arbeit auch gern auf Berufsschulen ausweiten. Deshalb hat er sich mit diesen Projekten beim Sächsischen Förderpreis für Demokratie beworben, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird. Kenntnisreiche Entzauberung rechtsextremer Taktiken auf dem Level der Jugendkultur, dass Kinder in Schulen umtreibt – das wäre einen solchen Preis allemal wehrt!
Mehr auf mut-gegen-rechte-gewalt.de:
80 x Mut in Sachsen
Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2007:
1) Aktion Zivilcourage Pirna
2) arche noVa e.V., Dresden
3) Bürgerbündnis für Menschenwürde, Mittweida
4) Buntes Leben, Freiberg
5) Hatikva e.V., Dresden
6) Jugendforum Chemnitz
7) Gruppe KLARA, Dresden
8) Kreativhaus, Dresden
9) Landesjugendpfarramt Sachsen, Leipzig
10) Netzwerk für Demokratische Kultur, Wurzen
11) Oberlausitz - Neue Heimat e.V., Löbau
12) Schulmuseum, Leipzig
13) Sprungbrett e.V., Riesa
14) Stadtverwaltung Glauchau
15) Treibhaus e.V., Döbeln