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Neue deutsche Medienmacher kritisieren besorgten Wissenschaftler

BIld: "Demotag in Mainz" von Stephan Dinges. Lizenz: CC BY-NC 2.0
 
***UPDATE***
Noch am selben Tag haben sich der Studienleiter sowie die Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung zu den Vorwürfen zu Wort gemeldet. Die Replik finden Sie hier.

Mit Verärgerung nehmen die Neuen deutschen Medienmacher die Berichte über eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Michael Haller zur Kenntnis, nach der die deutschen Medien in der sogenannten Flüchtlingskrise versagt hätten. Indirekt redet Haller all jenen Verschwörungstheoretikern und Rassisten das Wort, die der „Lügenpresse“ pauschal vorwerfen, mit den Mächtigen unter einer Decke zu stecken und die Probleme bei der Integration von Geflüchteten und Migranten bewusst zu verschweigen. 
 
So etwa behauptet Haller, die „Mainstream-Medien“ hätten in ihrer Berichterstattung angeblich weitgehend die „Position der Bundesregierung“ übernommen und kritische Stimmen ausgegrenzt. Absurderweise jedoch sind die Ergebnisse seiner Studie, die die Berichterstattung von Februar 2015 bis März 2016 analysiert, weitaus komplexer als Hallers eigene Schlussfolgerung daraus.  
 
Die Studie zeigt beispielsweise auf, dass geflüchtete Menschen als die eigentlichen Betroffenen in den Medien nur wenig zu Wort kamen - genau so wenig wie engagierte Helfer, Nachbarn, Vertreter von Willkommensinitiativen oder deren Widersacher. Auch unabhängige Fachleute seien kaum gehört worden; stattdessen hätten die Regierungsparteien den Diskurs dominiert
 
Allerdings spiegelte sich die starke gesellschaftliche Spaltung in jener Zeit auch in der Regierungskoalition wieder: in einem Dauerstreit um Grenzkontrollen und „Obergrenzen“. Es stimmt zwar, dass sich z.B. die Bild-Zeitung mit dem Slogan „Refugees Welcome“ anfangs hinter die Kanzlerin stellte; Leitmedien wie der „Spiegel“ und die „Zeit“ dagegen sahen Merkels Politik schon sehr früh sehr skeptisch. Die Bundesregierung reagierte auf diese Stimmungen, indem sie das Asylrecht in kürzester Zeit massiv verschärfte (siehe Asylpaket I und II im Oktober 2015 und Februar 2016).
 
Breiten Raum in der Studie nimmt eine Analyse des Begriffs der „Willkommenskultur“ ein, der in der Tat für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik steht. Zugleich operiert Haller selbst aber völlig unreflektiert mit Schlagworten des rechten Diskurses: So spricht er von Merkels „Grenzöffnung“ für die Flüchtlinge aus Ungarn, die vielmehr der Verzicht auf eine Schließung der EU-Grenzen war. Ohne jede kritische Reflexion nutzt Haller aufgeladene Schlagworte wie „politische Eliten“, „Mainstreammedien“ und „besorgte Bürger“ - dabei ist Letzteres ein bekannter Euphemismus und verharmlosende Selbstbezeichnung für Rechtsextreme und völkische Nationalisten à la Pegida. 
 
Haller beklagt, dass die Stimmen dieser „besorgten Bürger“ in den Medien zu kurz gekommen seien. Unfreiwillig komisch wird es im Fazit, wo es heißt, die „gewalttätige Szene in den östlichen Bundesländern“ sei „pauschal als Dunkeldeutschland etikettiert und ausgegrenzt“ worden (S. 133). Hätte man sie denn besser als konstruktives Element der Zivilgesellschaft betrachten sollen? 
 
Haller hängt hier einer merkwürdigen Vorstellung von journalistischer „Neutralität“ an, die nicht zwischen rassistischen Gewalttätern und gesetzestreuen Bürgern unterscheiden mag. Aber wie sollen Medien über die Angriffe eines rechten Mobs gegen den Bürgermeister von Tröglitz oder über rassistische Krawalle wie in Heidenau „neutral“ berichten? 
 
Interessanterweise kommt die Studie gar nicht zu dem Befund, dass die Medien überwiegend emphatisch, wohlwollend und aus der Perspektive von geflüchteten Menschen über das Thema berichtet hätten – Hallers Warnrufe und die begleitenden Berichte klingen jedoch anders.
 
Fazit: Nicht nur Journalisten und Medien können voreingenommen und parteilich an ein Thema herangehen, sondern auch vermeintlich „neutrale“ Wissenschaftler bei der Interpretation ihrer eigenen Studienergebnisse.