In Ostvorpommern, der Küstenregion von Mecklenburg-Vorpommern, gibt es ein massives Rechtsextremismus-Problem. Der Verein Bunt statt Braun aus Anklam vermittelt, warum Ignorieren keine Lösung ist.
Von Simone RafaelAus den Augen, aus dem Sinn?
Viele Jahre waren große Gruppen rechtsextremer Skinheads aus dem Straßenbild von Anklam und den umliegenden Orten nicht wegzudenken. Diese bedrohlichen Ansammlungen sind heute nicht mehr zu sehen. Hatten die Anklamer Recht, die damals meinten, man müsse die Rechtsextremen nur ignorieren, dann würden sie sich schon beruhigen?
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Der Verein Bunt statt Braun erlebt das anders: „Die haben sich nicht beruhigt. Die haben sich etabliert.“ Die Schläger-Kids der neunziger Jahre sind heute ideologisch gefestigte, in Kameradschaften organisierte Rechtsextreme. Sie betreiben Handwerksbetriebe, die nur rechtsextreme Azubis einstellen, verkaufen in Läden rechtsextreme Musik und Kleidung, vermieten schallisolierte Schulungshäuser an Rechte aus der ganzen Republik, eröffnen Fremdenverkehrsvereine für rechtsextreme Kundschaft. Zudem engagieren sie sich in der Gemeinde, weit über ihre eigenes Umfeld hinaus: Lassen sich ins Jugendstadtparlament und in die Elternbeiräte der Schulen wählen, sponsern lokale Sportvereine, rufen die „Kameraden“ dazu auf, sich als Schöffen fürs Gericht zu melden.
Hinsehen hilft
Das alles ist vielen Menschen in Ostvorpommern bekannt. Was aber nicht heißt, dass sie es auch als Problem ansehen – oder gar als ihr Problem. Hier setzt der Verein Bunt statt Braun e.V. an: Er will bei Bürgermeistern und Ordnungsämtern, Polizei und Schule, Jugendsozialarbeit wie Verwaltung ein Problembewusstsein schaffen, für rechtsextreme Einflüsse sensibilisieren und vermitteln, dass man gegen Rechtsextremismus vorgehen kann – und muss.
Bewusstsein wecken
Dies geschieht vor allem durch Gespräche. Gründe, den Rechtsextremismus in der Region zu ignorieren, gibt es viele: In vielen Familien gibt es im Verwandtenkreis Rechtsextreme. Viele Menschen fühlen sich für die Demokratie im Ort nicht verantwortlich, erwarten, dass andere etwas tun. Es gibt auch einige, die die „sauberen und ordentlichen“ jungen Rechten durchaus angenehm finden – auch wenn sie die Ideologie nicht teilen.
Es geht alle an
Doch es hat Auswirkungen auf den ganzen Ort, wenn Rechtsextreme mit ihrer menschenverachtenden Ideologie dort Einfluss nehmen. Lebensqualität und Klima ändern sich gravierend, wenn tatenlos zugesehen wird, wie Rechtsextreme Angst verbreiten, indem sie jeden, der nicht mit ihnen übereinstimmt, mit Gewalt bedrohen oder tatsächlich angreifen.
Seit 1999 versucht der Verein Bunt statt Braun, dafür ein Bewusstsein zu wecken. Der Verein wurde als Bündnis gegen eine Neonazi-Demonstration in Anklam gegründet und umfasst rund 15 ehrenamtliche Mitglieder, die in der Schule oder in der staatlichen Verwaltung arbeiten, in Parteien oder freiberuflich tätig sind. Seit 2002 gehört zum Verein eine Netzwerkstelle des Bundesprogrammes „
CIVITAS – Initiativ gegen Rechtsextremismus“.
Bunt statt Braun-Tagung "Die Kraft der Gegenkultur"Feste und Fachgespräche
Bunt statt Braun nutzt verschiedene Strategien, um auf das Problem Rechtsextremismus hinzuweisen. Dazu gehören große Feste und Ausstellungen für die breite Öffentlichkeit ebenso wie Fachkonferenzen und Angebote an Schulen – und viele Hintergrundgespräche.
Viele hören jetzt hin
„Für uns ist es nach drei Jahren Arbeit ein großer Erfolg, dass uns viele Entscheidungsträger der Region inzwischen ernst nehmen“, erzählt einer der "Bunt statt Braun"-Mitarbeiter, „während wir am Anfang nur als übersensible Nestbeschmutzer galten.“ Bunt statt Braun beobachtet die Aktivitäten der rechtsextremen Szene seit Jahren, ist so eine wichtige Informationsquelle. Heute funktioniert nicht nur die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei und der Sonderkommission MAEX (Mobile Aufklärung Extremismus) hervorragend. Auch viele Bürgermeister und Mitarbeiter der Kreisverwaltung, Schulleiter und Jugendamtsmitarbeiter hören jetzt zu, wenn Bunt statt Braun vor neuen rechtsextremen Aktivitäten warnt.
Gemeinsam stärker sein
Ein solches Vertrauensverhältnis ist wichtig für eine immer weiter greifende Zusammenarbeit gegen Rechtsextremismus. In diesem Jahr hat Bunt statt Braun in Zusammenarbeit mit der
AG Netzwerke zwei große Praxistagungen zu aktuellen Strömungen des Rechtsextremismus in M-V und zu Gegenstrategien organisiert. Es kamen nicht nur bereits engagierte und somit auch sensibilisierte Menschen, sondern auch die Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung, Schule, die real in ihren Institutionen etwas verändern können. Neben dem inhaltlichen Input lernen sich so Menschen kennen, die fachübergreifend gegen Rechtsextremismus zusammenarbeiten können. Das ist ein großer Erfolg.
Position beziehen
Auch dass sich der Tourismusverband auf Usedom anlässlich der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ erstmals öffentlich gegen Rechtsextremismus positioniert hat, ist der Initiative von Bunt statt Braun zu verdanken, und wichtig für die Region, in der viele „keinen Ärger“ haben wollen und deshalb meinen, Schweigen sei die beste Lösung – auch wenn dadurch Angstzonen für viele geschaffen werden.
Mit diesen Plakaten bezieht Usedom
Stellung zur Wehrmachtsausstellung
Neue Strategien sind gefragt
Solche Erfolge sind für Bunt statt Braun der Beginn, aber lange nicht das Ziel. Um Rechtsextremisten den Nährboden zu entziehen und ein demokratisches Klima zu schaffen, braucht es weitergehende Strategien. Gute Erfahrungen hat der Verein etwa mit einem Präventionsprogramm für fünfte und sechste Schulklassen in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Demokratische Kultur gemacht. Normalerweise werden solche Projekttage für Demokratieerziehung und Toleranzentwicklung erst angeboten, wenn die Kinder älter sind. „Aber wenn die Kinder hier 13 Jahre alt sind, sind sie schon jahrelang der Propaganda der rechten Jugendarbeit ausgesetzt“, sagt ein Engagierter, „wir müssen sie doch vorher erreichen.“ Jetzt verhandelt Bunt statt Braun mit der Universität Greifswald, ob es dort Studenten gibt, die solche Projekttage ehrenamtlich anbieten wollen.
Problem ländlicher Raum
Das Beispiel spiegelt ein Grundsatzproblem. Die meisten pädagogischen Konzepte gegen Rechtsextremismus, die existieren, sind für Städte erdacht, hat Bunt statt Braun fest gestellt. Im ländlichen Raum funktionierten sie nicht, sie müssten modifiziert werden. Schon aus ganz profanen Gründen – etwa weil es keinen regelmäßigen öffentlichen Personennahverkehr gibt, was erschwert, dass engagierte Jugendgruppen sich regelmäßig treffen.
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