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Künftig sollen Initiativen gegen Rechts nur dann staatlich gefördert werden, wenn sie eine Anti-Extremismus-Erklärung unterzeichnen. So wollen es die zuständige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und das Land Sachsen. Prof. Dr. Gesine Schwan erklärt, weshalb diese Forderung eine Kultur des Misstrauens fördert und der Demokratie schadet.
Von Gesine Schwan, zuerst erschienen in einblick - DGB Zeitschrift
Den sächsischen Demokratiepreisträgern ist jüngst abverlangt worden, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich nicht nur vorbehaltlos zum Grundgesetz bekennen sollten. Das hätte kein Problem dargestellt. Darüber hinaus jedoch forderte das sächsische Innenministerium von ihnen, in eigener Verantwortung über alle zugänglichen Quellen – auch über Berichte des Verfassungsschutzes – sicher zu stellen, dass keiner ihrer politischen Mitstreiter als politisch extremistisch einzuschätzen sei. Es sei zu vermeiden, so hieß es, dass auch nur„der Anschein“ der Kooperation mit „Extremisten“ erweckt würde.
Diese Forderung schadet der Demokratie aus verschiedenen Gründen. Der Aufruf an alle engagierten BürgerInnen, die demokratische Korrektheit ihrer Mitstreiter anhand aller möglichen Dokumente zu überprüfen, befördert einen Vorabverdacht und eine Schnüffelmentalität, die das demokratische Engagement unterminieren. Grundlage und Chance demokratischen Engagements liegen im Vertrauen der Bürger untereinander, nicht im Misstrauen. Natürlich kann Vertrauen missbraucht werden. Dagegen müssen Gerichte und zuständige Behörden auf der Basis rechtlich eindeutiger Vorgaben vorgehen, nicht auf der Grundlage von Vermutungen oder Verfassungsschutzberichten, die in verschiedenen Bundesländern je nach Regierungscouleur verschieden ausfallen. Um der ganz vorrangigen Freiheit der demokratischen politischen Auseinandersetzung willen ist es geboten, mit Argumenten, nicht mit vorbeugenden Verboten gegen politische Positionen anzugehen, die man für schädlich hält. Geradezu fatal ist die Formulierung, dass auch nur der „Anschein“ vermieden werden müsse, mit Extremisten zusammenzuarbeiten. Das eröffnet politischer Manipulation und willkürlichem Behördenverdacht Tür und Tor und erstickt die
demokratische Auseinandersetzung zugunsten von arroganter obrigkeitsstaatlicher Machtausübung.
Im Übrigen verwendet die Forderung einen Begriff von „Extremismus“, der aus einem ungeklärten Verständnis von „Totalitarismus“ herrührt. In der historischen Erfahrung von Nationalsozialismus und Stalinismus war die aufregende Erkenntnis der so genannten Totalitarismus-Theoretiker, dass völkisch rechte und humanistisch linke politische Ziele, trotz ihrer radikalen inhaltlichen Unterschiede, zu politischen Systemen und Strukturen der
Machtausübung geführt haben, die den Menschen auf gleiche Weise ihre Menschen- und Bürgerrechte rauben. Und zwar dann, wenn jeweils eine Partei die absolute Macht in der Gesellschaft ausübt und diese zugunsten ihres totalen Anspruchs unaufhörlich mobilisiert. In einem solchen System gelten Anspruch und Realität der uneingeschränkten, insofern „totalitären“ Herrschaft. Zugleich aber hat Hannah Arendt in ihrem Buch „Ursprünge und Elemente totalitärer Herrschaft“ den radikalen ethischen Unterschied zwischen völkisch-rechten Positionen unterstrichen, die die gleiche Würde aller Menschen prinzipiell bestreiten, und linken, die sie bejahen, aber im Falle totalitärer Herrschaft faktisch, entgegen den ursprünglichen Absichten negiert haben. Erst dieser fundamentale Unterschied hat der Totalitarismus-Theorie ihre Brisanz verliehen.
Wenn heute in der deutschen Demokratie der Knüppel einer unhistorischen Totalitarismus-Theorie gegen politische Gegner eingesetzt wird, indem zum Beispiel linke „antikapitalistische“ Positionen, die sich auf das im Grundgesetz nicht festgeschriebene Wirtschaftssystem beziehen, unbesehen unter gleichen Extremismus-Verdacht gestellt werden wie rechte, die die gleiche Würde aller Menschen prinzipiell bestreiten, dann ist das intellektuell unredlich und politisch-taktisch durchsichtig.
Wie irreführend diese Verwendung des Extremismus-Begriffs ist, kann man u.a. an den neuesten empirischen Befunden zum Rechtsextremismus erkennen, die diese antidemokratische Einstellung soziologisch eben nicht an den „extremen“ Rändern der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte vorgefunden haben. Der Prüfstein für demokratische Positionen liegt nicht in einem schwammigen Extremismus-Begriff, sondern in der Anerkennung der Menschen und Bürgerrechte für alle und im Kampf gegen deren Unterdrückung, rühre sie aus politischer oder aus ökonomischer Machtkonzentration.
Foto: Gesine Schwan
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Prof. Dr. Gesine Schwan, 67, Präsidentin der HUMBOLDT-Viadrina School of Governance, war Laudatorin bei der Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises am 9. November 2010 in Dresden. Einer der Preisträger, das Pirnaer „Alternative Kultur- und Bildungszentrum gegen Rechtsextremismus“, das sich gegen die Neonazi-Szene in der Sächsischen Schweiz engagiert, nahm den mit 10.000 Euro dotierten Preis aus Protest gegen die dafür notwendige
Anti-Extremismus-Erklärung nicht an.