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In der MUT-Debatte um die Zukunft der Bundesprogramme gegen Rechts der Bundesregierung meldet sich nun der Musiker Tibor Sturm zu Wort.
Dies ist ein Beitrag zur Diskussionsserie über die Zukunft der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, zu der bereits der Berliner Integrationsbeauftragte Piening, Dierk Borstel vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und Manuela Schwesig, Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern, beigetragen haben. Weitere Kommentare erscheinen in den kommenden Tagen.
Als ich vergangene Woche den Koalitionsvertrag der neuen Regierung bzgl. der Thematik „Bekämpfung des Extremismus in Deutschland“ las, dachte ich zuerst, eine Einreichung zur Konstrukteurs-Weltmeisterschaft vor mir zu haben. In diesem Vertrag steht, dass Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus quasi auf derselben Ebene bekämpft werden müssten. Ferner bliebe das Familienministerium der Zuständigkeitsbereich dieser Problematiken. Ich bin gegen sämtliche Formen des Extremismus, soviel zur Grundthese. Allerdings wird mir als schwarzer Deutscher und Opfer eines rechtsextremistischen Übergriffes Angst und Bange bei dieser Verklärung der Sachlage. Jahrelang erfolgreiche Arbeit gegen den rechten Nationalismus / Rechtsextremismus / Rechtsradikalismus von Initiativen im gesamtdeutschen Kontext sind auf einmal gefährdet und wissen nicht, ob oder wie lange noch die notwendige finanzielle Hilfe zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gewährleistet ist. Doch nicht nur diese Tatsache bereitet mir Kopfzerbrechen. Als ich im Internet nach Erklärungen dieser neu geschaffenen Verschleierungs-Bekämpfung suchte, fand ich den Kommentar der „Extremismus EXPERTIN“ Kristin Köhler (CDU). Sie vergleicht die Statistiken des Bundesverfassungsschutzberichtes aus dem Jahr 2008 zum Links- und Rechtsextremismus und setzt brennende Autos mit getöteten/schwerverletzten Menschen gleich. Hier wird ganz klar und deutlich ein Konstrukt aufgebaut.
Da für mich als schwarzer deutscher Bürger immer mehr "NO GO AREAS“ auf der Karte meines Heimatlandes hinzu kommen und diese Tatsache bei der neuen Regierung nicht die geringste Aufmerksamkeit bekommt, sehe ich meine Heimat nun wie Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ Der typische Nazi mit Springerstiefel, Bomberjacke und Glatze wurde schon vor sehr langer Zeit gegen den „netten Mann von nebenan“ ausgetauscht und nur mit Hilfe der Initiativen und Organisationen gegen Rechts blieben wir über diese Wandlung informiert. Wenn sich diese Institutionen nun auch noch um Linksextremismus und Islamismus kümmern sollen, damit sie weiterhin vom Bund finanziell unterstützt werden, dann würde dies ganz klar eine Schwächung in Bezug auf die Überwachung des Rechtsextremismus zur Folge haben. Schlimmer noch, die Rechten hätten mehr Freiraum als jetzt schon. Wenn ein Innenminister zum Finanzminister oder ein Wirtschaftsminister zum Innenminister werden kann, dann heißt dies noch lange nicht, dass eine Institution gegen Rechtsextremismus genau so schnell alle Extremismen, welche die deutsche Regierung auf eine Ebene stellt, wirksam bekämpfen kann. Ich sehe auf der einen Seite die neue Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland weiter wachsen und auf der anderen Seite die verschleiernde, alles in einen Topf werfende Regierung, welche nichts gegen den steigenden Anstieg der rechten Ideologie unternimmt.
Zum ersten Mal frage ich mich, ob es sich noch lohnt gegen den Rechtsextremismus vorzugehen, wenn keine Hilfe seitens des Bundes und in Form der Institutionen gegen Rechts mehr in dem Rahmen möglich ist, in welchem es sich bis jetzt erfolgreich behauptet hatte und ich irgendwann in den nächsten 4 Jahren vielleicht alleine gegen die Feinde der Multiethnizität in Deutschland stehe. Meine Frage an die schwarz-gelbe Koalition ist, ob ihre Phantasie nur aus extremistischem Schneegestöber besteht und sie Albert Einsteins Theorie zum Thema Phantasie beachtet. Er sagte einst, dass Phantasie wichtiger als Wissen sei, denn die Phantasie kennt keine Grenzen. Doch dank dieses Koalitionsvertrages werden mir und vielen anderen Bürgern im multikulturellen Deutschland ohne wenn und aber Grenzen aufgezeigt, welche uns durch ein Versagen der Hilfe des Bundes in der wichtigsten Richtung noch weiter einengen. Linksextremisten sorgen nicht dafür, dass ich manche Gebiete meines Mutterlandes Deutschland nicht betreten kann. Islamisten sorgen nicht dafür dass ich, wenn es dunkel wird, Angst haben muss. Natürlich sind diese Formen des Extremismus nicht zu verleugnen oder zu verharmlosen, allerdings geht die Gefahr des friedlichen Miteinanders für Menschen, welche nicht die radikale Ideologie der Rechten verfolgen bzw. nicht nach deren „völkischem Bild“ aussehen, von den Rechtsradikalen aus. Seit ich denken kann wird diese Tatsache verleugnet. Hoffnung stirbt zuletzt heißt es. Meine ist fast gestorben: Meine Hoffnung nach einer sicheren Heimat für mich und meine Nachfahren.
Tibor Sturm ist Musiker
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