Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Am Samstag haben in Dresden Rechtsextreme wieder so getan, als hätten die Alliierten 1945 das deutsche Volk ausrotten wollen, so wie die Nazis die Juden. Dass es darum ging, Deutschland aus der Diktatur der Nazis zu befreien, unterschlagen sie natürlich. Geht UNS das im Jahr 2009 noch etwas an? Geht SIE das was an? Und ob! Ein Kommentar von Anetta Kahane.
Liebe MUT-Leserinnen und Leser,
jetzt reichts! Vor wenigen Tagen, am 27. Januar, fand die Zeremonie zum Holocaust-Gedenktag statt. Am folgenden Abend veranstaltete die Berliner NPD eine Mahnwache zum „Holocaust in Gaza“. An den Wochenenden davor zogen tausende Menschen durch die Innenstädte und ließen dabei einen Hass erkennen, der mit dem Nahost-Konflikt schon lange nichts mehr zu tun hat. Trotz etlicher Auflagen wurden neben denen der Linken und Friedensbewegten auch Fahnen und Symbole militant antisemitischer Organisationen wie Hamas und Hizbolla gezeigt, unter ihnen auch die der verbotenen Hizb-u-tarir, während Polizisten brutal Israelfahnen entfernten, die als unzumutbare Provokation in den deutschen Städten dieser Tage empfunden wurden. Übrigens war solches Vorgehen schon früher üblich. (Erinnern Sie sich, wie einst jungen Juden empfohlen wurde, ihre Kippa in Berlin besser nicht offen zu tragen.). Auf diese Weise konnten die Demonstrationen in Berichten der Polizei und der Medien am Ende getrost als „friedlicher“ Protest eingestuft werden. Keine „Provokation“ – kein Problem.
Foto: Gezielte Relativierung des Begriffs Holocaust bei Berliner NPD-Demo 2009.
Ähnlich war es in Dresden. In den letzten Jahren marschierten tausende Nazis aus ganz Europa am 13. und 14. Februar unter dem Slogan vom „Bombenholocaust“ durch die Dresdner Innenstadt. Ihr Weg wurde von anderen Menschen geräumt, das Ganze sorgfältig beschützt und zufällige Passanten auf ihr Bedrohungs- und Provokationspotential (gegen die Nazis) gecheckt. Wer den gespenstischen Zug tausender Rechtsextremer vor der Kulisse des barocken Ufers dennoch sehen wollte, musste sich verkleiden, um die Kontrollen zu passieren. Je biederer desto besser, den Blick gleichgültig auf den Boden gerichtet, die Schultern etwas hochgezogen und eine Plastiktüte mit Margarine, Sauerkraut und vielleicht etwas Scheuermilch in der Hand. Wenn man dem Polizisten dann zugranteln konnte: „Ich geh zu meinem Onkel auf Besuch“, dann hatte man eine Chance, sich das Geschehen von Nahem anzuschauen.
Foto: Neonazis in Dresden im Februar 2006
Kameraden aus allen Regionen Deutschlands konnte man dann da sehen, Militante neben Konservativen, Heimatvertriebene neben jungen Nationalrevolutionären, Frauen, Männer, Junge, Alte- eine breite Front – vereint in ihrer aggressiven Absicht, die Geschichte umzuschreiben, flankiert von Freunden und Gästen aus allen Regionen Europas. Ihre Plakate übertreffen sich in Gleichsetzungsslogans; Dresden als Opfer „fremder Mächte“ genau wie Bagdad, Vietnam, Hiroshima und in diesem Jahr mit Sicherheit auch Gaza (ungenannt bleiben natürlich Coventry, London, Warschau und die vielen Städte in der Sowjetunion). Dazu gibt’s Wagner-Musik und sonst nur noch dröhnendes Schweigen, denn was gesagt werden würde, wäre es kein „Trauermarsch“, liegt wie eine düstere Drohung in der Luft. Der größte Aufmarsch in Europa. Das Klassentreffen der Wölfe mit Besuch aus Amerika.
Sie wussten das nicht? Sie haben nur gehört, dass Dresdner Bürger friedlich trauern – rund um die Frauenkirche? Ja, das tun sie auch, weiträumig entfernt und zeitlich versetzt. Sie trauern um die Opfer der Bombenangriffe, um die schöne Stadt, so wie sie es schon in DDR-Zeiten getan haben, als Opfer des angloamerikanischen Bombenterrors. Sie wollen dabei ihre Ruhe haben, nicht von Nazis behelligt werden, weder von denen damals noch von denen heute. Sie wollen Versöhnung. Sie sind auch bereit zu verzeihen. Nicht jedoch, sich zu entschuldigen. Sie wollen nicht sehen, dass die Mischung aus dem Bedürfnis, als Opfer zu gelten für alle Zeit, sich der Verantwortung zu entziehen, auch als Täter gesehen zu werden und die Nazis nebenan zu ignorieren – dass diese Mischung letztere ermutigt und ernährt. Und was sie nicht sehen, ist auch nicht da und der Tag verläuft friedlich – Trauer hier, Trauer dort. So ist es mit dem Frieden, der sich allein dadurch auszeichnet, dass es keine Gegner gibt.
Aber es gibt sie doch, die Bürger mit Verantwortung und mit Augen im Kopf. Sie sind seit Jahren die dritte Kraft auf der Dresdner Bühne. Sie dürfen – ebenso hermetisch abgeriegelt vom übrigen Geschehen – gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Bisher waren sie freilich viel weniger als die Nazis und noch viel, viel weniger als diejenigen, die auf Versöhnung beharren und nicht verstehen, weshalb sich trotz aller Schutzmaßnahmen von Polizei und Pfarrern ihr innerer Friede nicht einstellen will. Aber dieses Jahr werden es mehr. So viel ist sicher.
Mehr von denen, die begreifen, dass man durch die Ignorierung von Geschichte die Nazis von heute ermöglicht; dass wenn man trauert, alle meinen muss, auch die Juden aus Dresden und ganz Europa und die Toten in dieser Stadt ebenso wie die von deutschen Ermordeten. Wir werden da sein, denn Nazis verschwinden erfahrungsgemäß nur, wenn sie Widerspruch erfahren, breiten Protest und klare Haltung. Deshalb ist Dresden auch in seiner Symbolkraft nicht nur eine Stadt in Sachsen, sondern der Ort in Deutschland, an dem wir alle zeigen sollten, wie es mit dem Frieden ist. Nämlich genau so wie es damals war: man muss ihn sich erkämpfen!
Bitte unterstützen Sie uns dabei. Helfen Sie, die Veranstaltung zu organisieren oder kommen Sie selbst nach Dresden (www.geh-denken.de). Am besten beides.
Der Kommentar ist dem Februar-Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung entnommen.
Was in Dresden geplant ist:
Während Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) am 14. Februar zu einem "Stillen Gedenken" um 11.45 Uhr auf den Altmarkt einlädt, organisiert "Geh Denken" drei Demonstrationszüge mit Kundgebungen und Konzert. Der erste Zug trifft sich am Sonnabend, 13 Uhr am Goldenen Reiter, der zweite um 13 Uhr am Neustädter Bahnhof, der dritte zur gleichen Zeit am World Trade Center Dresden. Der Sternmarsch endet gegen 16 Uhr am Theaterplatz. Hier steigt das Abschlusskonzert, u.a. mit Smudo, The Curse und Sebastian Krumbiegel. Die Neonaziszene hat 11 Uhr am Hauptbahnhof als ihren Treffpunkt angemeldet.
Mehr zum Thema:
Pressekonferenz mit Wolfgang Thierse am 26.1. in Berlin
MUT-Reportage vom 13.2.2008 aus Dresden
Zwei konkurrierende Demos in Dresden? (Welt, 5.2.2009)
Insgesamt 19 Demos: Die Dresdener kommen sich näher (ND, 6.3.09)
Wie die Neonaziszene mobilisiert
Laut gegen Nazis - wer in Dresden spielt.
Mehr unter: geh-denken.de
DRESDEN KOMPAKT - DAS IST GEPLANT:
13. Februar
11.00 Uhr Heidefriedhof, Kranzniederlegung
Landes- und Stadtvertreter, Nazis
16.00 Uhr Trümmerfrau/Rathaus, Kundgebung
angemeldet von GRÜNEN, Antifa-Treffpunkt
16.00 Uhr Synagoge, Kundgebung und Mahnwache
17.00 Uhr Altmarktgalerie/
Dr.-Külz-Ring, Kundgebung und Konzert
angemeldet vom "Vorbereitungskreis 13. Februar" (AntiFa)
(Bands: Egotronic, Frittenbude)
18.00 Uhr Hauptbahnhof Nazi-Demo
(verlegt vom Zwingerteich, Klage noch möglich, Route damit unklar)
19.00 Uhr Neumarkt/Frauenkirche, Gedenkfeier
angemeldet von Stiftung Frauenkirche
22.00 Uhr Frauenkirche (Unterkirche), Nacht der Stille
14. Februar
10.30 Uhr Frauenkirche/Hofkirche/Kreuzkirche, Friedensgebete
10.00 Uhr Synagoge, Schabbatgottesdienst
11.00 Uhr Hauptbahnhof, "No Pasaran"-Demo
(Startpunkt nicht genehmigt, Klage eingereicht, Route damit unklar)
11.00 Uhr Elbcenter (Leipziger-/Bürgerstraße), Treffpunkt zur
gemeinsamen Anreise Geh-Denken
11.00 Uhr Sachsenplatz, Treffpunkt zur gemeinsamen Anreise Geh-Denken
11.15 Uhr Neumarkt, Trauerprozession mit Helma Orosz
-> Altmarkt (Mahnmal-Einweihung)
12.00 Uhr Hauptbahnhof Nazi-Demo
(verlegt vom Zwingerteich, Klage noch möglich, Route damit unklar)
12.00 Uhr Altmarktgalerie/Dr.-Külz-Ring, Kundgebung
angemeldet vom "Vorbereitungskreis 13. Februar" (AntiFa)
13.00 Uhr Goldener Reiter, Geh-Denken-Demo
->Synagoge -> Theaterplatz
13.00 Uhr Neustädter Bahnhof, Geh-Denken-Demo
-> Ostra-Allee -> Theaterplatz
13.00 Uhr World Trade Center, Geh-Denken-Demo
-> Ostra-Allee -> Theaterplatz
16.00 Uhr Theaterplatz, Geh-Denken-Konzert
21.00 Uhr Chemiefabrik (Petrikirchstraße 5), "No Pasaran"-Afterparty
Infos zum Tag unter www.stern.de und
Infotelefon: 0351/3233660 und 0351/3233659
WAP-Ticker: http://ticker.zapto.org
Demo-Radio: 98,4 und 99,3 (coloRadio)
Ermittlungsausschuss (EA): 0351 - 89 960 456
Mehr zum Hintergrund: Pressekonferenz am 26.1.2009 mit Bundestagsvizepräsident Thierse
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: H.Kulick (4), stern-Archiv (1), Aktion Zivilcourage (1) / hk