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Jetzt ist es bundestagsprotokollamtlich: Das Dilemma mit der NPD ist nicht nur ihre demokratiefeindliche und völkisch-rassistische Haltung, sondern auch, dass sie mit dieser Haltung in gewisser Weise ein Staatskonstrukt ist - mit jeder Menge V-Leuten vom Verfassungsschutz in ihren Führungsstrukturen. Im Bundestag stand am 29.1.2009 auf Antrag der Linken das Thema 'V-Leute in der NPD abschalten' auf der Tagesordnung. Die LeipzigerGrünen-Abgeordnete Monika Lazar gab diesbezüglich folgenden Beitrag zu Protokoll:
"Schluss mit der demokratiefeindlichen NPD! Dieser Wunsch eint unser demokratisches Parlament. Für die Linksfraktion heißt der Weg dorthin: Sofortiger Abzug aller V-Leute und Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens!
Aber kann das hochkomplexe, gesellschaftlich fest
verankerte Problem Rechtsextremismus mit einer derart eindimensionalen Lösung behoben werden? Sicher nicht. Die Arbeit der V-Leute gilt als umstritten. Jeder siebte NPD-Funktionär bezieht Geld vom Verfassungsschutz. Offensichtlich ist, dass solche Mitarbeiter bzw. Informanten nicht immer mit der nötigen Sorgfalt ausgewählt wurden. Da sind auch „braune Schafe“ dabei. Mehrfach kam es zu Fällen, in denen V-Leute mit rechtsextremen Kriminellen kollaborierten. Nazi-Aktivitäten wurden mit Geld vom Nachrichtendienst finanziert.
Informationen flossen nicht nur in die gewünschte Richtung. Vielmehr warnten V-Leute ihre rechtsextremen Kumpane auch vor polizeilichen Fahndungen. Dies ist nicht Sinn der Sache. Insofern teile ich die Kritik der Linksfraktion. Doch darf die Antwort des Staates auf derartige Missstände lauten: Keine Überwachung mehr? Das wäre doppelt fahrlässig: Zum einen müssen wir über NPD-interne Machenschaften und Vorhaben unterrichtet sein. Zum anderen ist der Staat verpflichtet, aus Schutzgründen die Anonymität der V-Leute zu wahren.
Bringt aber der Einsatz von V-Leuten in den Führungsetagen der NPD das gewünschte Ergebnis? Da tut sich Änderungsbedarf auf. Der Verfassungsschutz muss künftig seine Informanten auf ihre Eignung prüfen. Straftaten dürfen nicht durch staatliche Behörden billigend in Kauf genommen werden. Die zuständigen Gremien auf Bund- und Länderebene haben ihre Kontrollfunktionen gewissenhafter und konsequenter auszuüben. Auch die Kooperation bei der Verwertung gewonnener Informationen verläuft sehr unbefriedigend.
Die Innenministerkonferenz muss hierbei ihre Bemühungen intensivieren. All diese Umsetzungsprobleme zeigen: Nicht die V-Leute verhindern Erfolge im Kampf gegen Rechtsextremismus und NPD, sondern Uneinigkeiten und fehlende Kontinuität im demokratischen Spektrum. Wir brauchen eine abgestimmte, nachhaltige Strategie, die vor allem auf Prävention setzt. Dazu gehört ganz maßgeblich die offensive Auseinandersetzung mit rechtsextremen Ideologien. Denn diese bilden den Nährboden, auf dem schließlich Wahlerfolge der NPD oder rechte Gewalt gedeihen können. Wir wissen, dass ein NPD-Verbot – das ja das Ziel eines V-Leute- Abzugs wäre – keinen positiven Einfluss hätte auf rassistisches Denken, Antisemitismus, Ängste vor angeblicher „Überfremdung“ oder Abneigungen gegen andere Kulturen und Lebensweisen. Doch hier muss unser konzeptioneller Ansatz liegen.
Die Debatte um V-Leute und NPD-Verbotsverfahren hingegen führt seit Jahren zu nichts. Wenn sie überhaupt Früchte bringt, dann unerwünschte: nämlich jedes Mal eine Bestätigung für das ultrarechte Lager, dass die demokratischen Kräfte sich nicht einig werden. Fragen wir uns stattdessen: Was braucht unsere Bevölkerung, um sich in der Demokratie zu Hause zu fühlen? Wie können wir Vielfalt und Toleranz attraktiv darstellen? Welche drängenden Probleme müssen die demokratischen Parteien lösen, damit die Nazis keine Ansatzpunkte für ihre Propaganda finden? Solche Debatten lohnen sich, ganz besonders im sogenannten Superwahljahr 2009.
Wenn wir alle uns derartigen Fragen erfolgreich stellen, können wir die NPD gemeinsam schachmatt setzen ohne Verbot – indem wir sie als unwählbar, inakzeptabel und überflüssig entlarven".
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HIintergrund: NPD-V-Leute bleiben aktiv. Im Innenausschuss des Bundestages scheiterte am 21.1.2009 die Linksfraktion mit einem Antrag zur Abschaltung aller V-Leute in der rechtsextremen Partei. Die Abgeordneten von SPD, Union und FDP stimmten gegen das Papier der Linken, die Grünen enthielten sich. Ein Verbot der NPD ist damit wieder unwahrscheinlicher geworden, denn den Abzug der V-Leute hatte das Bundesverfassungsgericht als Grundvoraussetzung bezeichnet, um feststellen zu können, wieviel Verfassungsfeindliches original aus NPD-Köpfen stammt. In der NPD ist das Faktum bekannt. Zumindest ein Teil der V-Leute bekennt sich offen dazu, stimmt sich aber über das, was er den staatlichen Stellen mitteilt, ab und teilt seine Tantiemen mit der Partei. Der Aussteiger im EXIT-Programm, Matthias Adrian, betreute seinerzeit in der NPD solche doppelgleisig agierenden NPD-Mitglieder, berichtet er immer wieder auf Veranstaltungen. Die Zahl, die Monika Lazar vor dem Bundestag aussprach, fand schon vor einem Jahr Bestätigung. Auf einer Diskussionsrunde der MUT-Redaktion führte sie Sachsen-Anhalts Innenminister Hövelmann als einen der Gründe an, weshalb er ein NPD-Verbot dringend für angebracht hält. H.Kulick (siehe auch Tagesspiegel, 22.1.2009)
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www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Gesehen in Weimar, hk