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„Die Hemmschwelle ist gesunken“

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) über erfolgreiche Schläge gegen die NPD, die gestiegene Aggressivität der Rechtsextremen und die Notwendigkeit eines neuerlichen Verbotsverfahrens.


Marion Kraske: Zwanzig Jahre nach der Wende stellt die NPD in Mecklenburg-Vorpommern eines der größten Probleme für die Stabilität des Landes dar. Warum?

Lorenz Caffier: 2006 ist die Partei mit 7,3 Prozent in den Landtag eingezogen. Damit können sie eine ganz andere Plattform nutzen. sie haben ganz andere Möglichkeiten, auch finanziell Im Landtag verfolgen sie vornehmlich ein Ziel: Das parlamentarische Geschäft als Klamaukladen zu verhöhnen, zu stören und mit Ordnungsrufen auf sich aufmerksam zu machen. Damit bereiten sie der Politik erhebliche Schwierigkeiten, weil man den Menschen im Land nur sehr schwer vermitteln kann, dass es einen Unterschied zwischen „verfassungswidrig“ und „verfassungsfeindlich“ gibt. Da hat man einerseits Politiker, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, aber gleichzeitig 1,3 Millionen jährliche Fraktionsmittel erhalten. Das ist der Bevölkerung kaum zu vermitteln.

Welche Strategien verfolgt die NPD?

Caffier: In der jüngsten Vergangenheit gab es erhebliche strukturelle Veränderungen. Die freien Neonazi-Kameradschaften wurden eng an die Partei gebunden, dadurch hat man sich „Arbeitsbienen“ eingekauft, die für sie die tägliche Arbeit erledigen. Plakate und Flugblätter drucken, plakatieren – all das. Die Führungsbienen sind seither im Wesentlichen für die Verbreitung des extremistischen Gedankengutes zuständig. Dadurch hat sich die Partei auf eine breitere Basis gestellt. Und dieses Ziel wird weiterverfolgt, etwa mit der Annäherung an die DVU.

Der NPD-Vorstand hat jüngst die Fusion mit der DVU beschlossen, die bis zum Jahresende vollzogen werden soll. Was bedeutet das für die rechte Szene?

Caffier: Jede Truppe mehr, die sie einverleiben, bedeutet, dass Sie ihre Ideologie weiter streuen können. Mehr Leute bedeuten aber auch eine erhöhte Gewaltbereitschaft.

Nimmt die Bereitschaft, Gewalt auszuüben zu?

Caffier: Der Auftritt der NPD hat in den letzten zwei Jahren eine neue Qualität bekommen. Das fängt bei gewalttätigen Angriffen auf Polizisten an, etwa bei rechtswidrigen Veranstaltungen. Das zeigt sich aber vor allem im Umgang mit dem politischen Gegner. Früher wurden Plakate des Gegners einfach abgerissen, mehr nicht. Seither ist die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, gesunken. Da wird mal der Briefkasten eines Staatsanwaltes gesprengt. Oder es gibt Angriffe auf die Büros der demokratischen Parteien – etwas, was es in anderen Bundesländern nicht gibt. Oder es tauchen Schießscheiben auf, auf denen mein Konterfei und das der Landtagspräsidentin zu sehen sind. Daran muss man sich erst gewöhnen.

Auf der anderen Seite setzt die NPD auf harmlose Alltagsthemen. Sie wettern gegen Kinderschänder, beraten Hartz-IV-Bezieher, oder fordern eine Abschaffung der GEZ-Gebühren für Arbeitslose. Damit dienen sie sich der Bevölkerung geschickt als Helfer in allen Lebenslagen an. Haben die etablierten Parteien auf diesen Gebieten versagt?

Caffier: In diesen Bereichen müssen wir tatsächlich zulegen. In den letzten vier Jahren hat sich die NPD sehr erfolgreich als „Kümmererpartei“ etabliert . In den Briefkästen fanden sich vor allem NPD-Flugblätter, mit denen sie das Bauchgefühl der Menschen bedienten. Oder sie veranstalteten Sommerlager für Jugendliche. Das können wir auch. Da sind unsere Bemühungen aber noch ausbaufähig.

Wo sehen Sie regional die größten Probleme?

Caffier: Es gibt fünf Regionen, in denen die NPD sehr stark ist, weil sie dort funktionierende und mitunter sehr präsente Zellen betreibt. Neben Ostvorpommern ist das der Kreis Ludwigslust, wo der Fraktionsvorsitzende der NPD-Landtagsfraktion Udo Pastörs wohnt...

... ,der soeben vom Landgericht Saarbrücken in zweiter Instanz wegen Volksverhetzung zu 10 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde ...

Caffier: ...dann ist da Jamel bei Wismar, die Region um Grevesmühlen und meine alte Heimat Neustrelitz.

Was setzen Sie der rechten Truppe entgegen?

Caffier: Es ist eine ganze Bandbreite von Maßnahmen. Wir haben neben Bürgermeistererlässen auch sogenannte Kita-Verordnungen auf den Weg gebracht. Das heißt, dass all jene, die für Landrats-, Bürgermeisterämter oder aber für Posten in Kindertagesstätten kandidieren, nachweisen müssen, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen. Zudem haben wir landesweit fünf Demokratiezentren gegründet, die die Menschen beraten, wie sie mit den extremistischen Problemen am besten umgehen.

Dennoch haben viele im Land das Gefühl, dass sie mit der braunen Gefahr allein gelassen werden.

Caffier: Die Menschen müssen lernen, sich mit dem Problem aktiv auseinandersetzen. Ich vermisse bisweilen das Engagement. Wenn die NPD in Schwerin bei einer Demo mit 300 Leuten aufmarschiert und die Gegner sich als versprengtes Grüppchen mit nur 60 Teilnehmern präsentieren, zeigt das anschaulich das Dilemma, in dem wir uns hier befinden. Da haben wir es auch mit unserer DDR-Vergangenheit zu tun. Immer noch muss man den Bürgern sagen, was sie zu tun haben. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das beim Kampf gegen den Rechtsextremismus besonders zum Tragen kommt.

Was fordern Sie?

Caffier: Wir brauchen dringend ein Verbot der NPD, das zeigen insbesondere unsere Erfahrungen der letzten Jahre im Schweriner Landtag.

Das Verbotsverfahren wurde 2003 vom Bundesverfassungsgericht eingestellt, weil die NPD mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war.

Caffier: Das Verfassungsgericht hat jedoch nie die Klage als solche in Frage gestellt. Daher brauchen wir einen neuen Anlauf. Ich habe Verständnis dafür, dass jene Länder, die dieses Problem nicht haben, das Risiko nicht eingehen wollen, sich vor Gericht eine neue Klatsche zu holen. Wir haben jedoch hier in Mecklenburg-Vorpommern eine besondere Situation: Mit 400 NPD-Mitgliedern gibt es hier genau so viele Mitglieder wie in Bayern. In einem Land mit 12 Millionen Einwohnern fällt das nicht so ins Gewicht, in einem Land mit 1,5 Millionen aber sehr wohl. Wir werden daher im Rahmen der Innenministerkonferenz weiter bohren. Ich bin optimistisch, dass wir in Zukunft zu einer Lösung kommen werden.

Welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus, die rechte Szene zu schwächen?

Caffier: Wir haben die NPD mit Verboten der neonazistischem Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) auf Bundesebene und der Mecklenburgischen Aktionsfront (MAF) in den Strukturen schwer beschädigt. Im Innenleben wurde die Partei dadurch tief verunsichert. Das hat mit den Gerichten in diesem Falle gut geklappt. Ich würde aber gerne auch in anderen Bereichen mehr Gas geben können, ein größerer Spielraum wäre hilfreich. Zudem wäre es wünschenswert, wenn die Justiz stärker zuschlägt. Im Bereich der neuen Medien etwa, die Extremisten aller Couleur erfolgreich als Plattform nutzen, um gefährliche Inhalte zu verbreiten. Die große Linie haben wir jedoch im Griff.

Den „Kampf um die Köpfe“ wie die NPD das nennt, führt sie aber vor allem in den Kommunen, also im Kleinen.

Caffier: Ein gutes Beispiel dafür ist der Ort Jamel, nahe Wismar. Von 34 Mitbewohnern sind 16 in der NPD. Natürlich fühlt sich der zuständige Bürgermeister angesichts dieser schwierigen Situation allein gelassen. Dass sich die restlichen 14 Nicht-Mitglieder im Stich gelassen fühlen, kann ich ebenfalls nachvollziehen. Wir kümmern uns um die Probleme , die es gibt, aber wir können kein Evakuierungsprogramm starten. Dennoch: Die Auseinandersetzung muss vor Ort geführt werden. Und da hapert es noch. Der Faktor Angst spielt eine erhebliche Rolle, vor allem in diesen kleinen Einheiten. Eines muss man trotzdem deutlich machen: Wir sind für das Gießen von oben zuständig, der Widerstand aber muss auch von den Wurzeln her kommen.

Das Interview führte Marion Kraske.
Foto: Innenminister Lorenz Caffier, von
Spinne2000, cc
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Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf.

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