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''Gleichgültigkeit macht blind''

In loser Folge befragt MUT Prominente nach ihren Rezepten gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Hier die Antworten vom Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Walter Momper (Bildmitte). Der SPD-Politiker und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin sieht "alle, die in unserem Land politische Verantwortung tragen, in einer besonderen Verpflichtung". Dazu gehört für ihn auch ein Verbot der NPD: "Freiheit kann nicht grenzenlos sein, wenn sie Bestand haben soll."

1. Haben wir uns in Deutschland wieder an Rechtsradikale gewöhnt?


Leider müssen wir uns viel zu oft mit rechtsradikalen Übergriffen auseinandersetzen. Wir sind konfrontiert mit brennenden Ausländerheimen, Gewalt gegenüber ausländischen und anders denkenden Mitbürgern oder Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen. Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit begegnen uns leider viel zu oft. Aber: Daran dürfen und wollen wir uns nicht gewöhnen.
Eine der Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen, ist, dass Gleichgültigkeit blind macht und braunem Gedankengut Freiräume schafft. Es ist nicht hinnehmbar, in solchen Situationen wegzuschauen, sich nicht betroffen zu fühlen oder gleichgültig zu bleiben. Aber in unserem Land sind die anständigen in der Mehrheit. Wir können und müssen gemeinsam gegen die Täter einschreiten. Darin bestehen unsere Pflicht vor der Geschichte und unsere Schuldigkeit gegenüber den betroffenen Menschen.

2. „Gegen Nazis!“ – Wie sagen Sie’s Kindern oder Jugendlichen?

Man muss ansetzen im alltäglichen Leben, bei der Vermittlung von menschlichen Werten wie Toleranz, Hilfe gegenüber Schwächeren, gegenseitige Achtung. Sie bilden die Grundlage. Das Interesse von Kindern und Jugendlichen an anderen Kulturen und Lebensweisen kann durch zahlreiche Möglichkeiten geweckt werden.
Ich empfehle Jugendlichen das Theaterstück „Ab morgen heißt du Sara“, das nach dem Buch von Inge Deutschkron „Ich trug den gelben Stern“ entstanden ist. Das Buch „Die Welle“ von Morton Rhue veranschaulicht sehr deutlich die Mechanismen des Totalitarismus und seine Folgen aus der heutigen Perspektive.

3. Was können wir selbst gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit tun?


Die wichtigste Aufgabe ist Aufklärung, und das in zweierlei Hinsicht: zum einen aufklären über die Greueltaten des Nationalsozialismus und zum anderen über die Hintergründe des heutigen neonazistischen Gedankenguts. Dies sollte nicht nur in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen stattfinden, sondern auch Eltern und Verwandte, Freunde, Nachbarn tragen dafür Verantwortung. Dabei sollten wir alle uns der Vorbildwirkung bewusst werden.
Auch heute, in unserer demokratischen Gesellschaft, die jedem ein Höchstmaß an Freiheit gewährt, brauchen wir wieder mehr Mut zur Mitmenschlichkeit und Zivilcourage.
Ein gutes Beispiel hierfür bietet das Jugendprojekt „denkMAL! – Jugend macht es vor“, das alljährlich im Berliner Abgeordnetenhaus zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) durchgeführt wird. Hier zeigen Schülerinnen und Schüler sowie Jugendgruppen auf anschauliche Weise, wie engagiert und vielfältig die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem heutigen Rechtsextremismus erlebt und geführt wird. Diesen Initiativen gilt unsere noch stärkere Anerkennung und Unterstützung.

All diejenigen, die in unserem Land politische Verantwortung tragen und ein Amt oder Mandat innehaben, stehen in einer besonderen Verpflichtung. Sie sind aufgefordert, darüber nachzudenken, wie viel gesetzlich gewährten Freiraum wir uns für Neonazis und andere Feinde der Demokratie leisten können. Die Frechheit und Unverfrorenheit, mit der rechtsextreme Gruppen in der Öffentlichkeit auftreten, durch unsere Städte marschieren und von der Polizei vor Gegendemonstranten geschützt werden: All dies muss bei überzeugten Demokraten Empörung auslösen. Nach meiner Auffassung sollte es einen neuen Verbotsantrag gegen die NPD vor dem Verfassungsgericht geben. Freiheit kann nicht grenzenlos sein, wenn sie Bestand haben soll. Gesetze müssen Gerechtigkeit sicherstellen, aber es ist nicht hinnehmbar, dass sie gegen die Freiheit aller missbraucht werden. Auch die Gesetzgeber, also die Parlamente, sind gefordert.

Drei Fragen an...beantworteten u.a. auch:

Jörg Schönbohm
Sebastian Schweinsteiger

Katrin Göring Eckhardt
Hermann Otto Solms
Wolfgang Schäuble
Gregor Gysi
Charlotte Knobloch
Monika Lazar
Hermann Kues

Sandra Maischberger
Ulrich Wickert

Die Serie wird in loser Folge fortgesetzt.


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Die Fragen an Walter Momper stellte Holger Kulick. Das Foto zeigt Momper bei der Verleihung des Obermayer-Awards 2008 im Berliner Abgeordnetenhaus.

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Walter momper bei einer Preisverleihung im Abgeordnetenhaus