70 Jahre ist an diesem 9. November die Reichspogromnacht her, in der Nazis deutschlandweit jüdische Synagogen, Geschäfte und Friedhöfe zerstören ließen, zehntausende Juden verhaften ließen, Hunderte wurden ermordet. Symbolisch wollte der Bundestag jetzt einmütig beschließen, den Kampf gegen Antisemitismus zu stärken und jüdisches Leben weiter zu fördern und zu diesem Zweck einen offiziellen Antisemitismusbeauftragten zu schaffen. Ein Jahr wurde an diesem parteiübergreifenden Vorhaben gefeilt. Aber kurz vor dem Ziel hat die CDU eine Kehrtwende gemacht. Sie ließ den Konsens zerbrechen. Ein unverantwortlicher politischer Akt.
Ein Kommentar von Holger Kulick
Es mag verwundern, dass die Bundesrepublik sechs Jahrzehnte Anlauf gebraucht hat, um überhaupt die Schaffung eines solchen Amtes eines Antisemitismusbeauftragten zu erwägen. Und es mag noch mehr verwundern, dass es nicht gleich einen Beauftragten auch für Rassismus- und Rechtsextremismusbekämpfung geben soll. Aber geschenkt. Denn wenn schon über entschlossene Rechtsextremismusbekämpfung mit der Union selten Konsens erzielt werden kann, ist Antisemitismusbekämpfung vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner um solch einen Konsens zu erringen. Und was wäre dazu besser geeignet, als der 70. Jahrestag der Pogromnacht als symbolisches Datum, denn oft ist Symbolpolitik der einzige Weg, der im Bundestag bleibt, etwas durchzusetzen, wozu es sonst kaum Konsens gibt – und ein solcher Jahrestag des öffentlichen Nachdenkens eignet sich dazu nicht schlecht.
Zum diesjährigen 9. November sollte es also einen gemeinsamen Bundestagsbeschluss für die Schaffung einer solchen Symbolfigur geben, die es übrigens auf europäischem Parkett als OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus längst gibt – ausgefüllt durch einen deutschen Bundestagsabgeordneten, den engagierten SPD-Mann Gert Weisskirchen. Vielleicht hat auch das dazu geführt, nun endlich zu überlegen: Warum gibt es so ein Amt auf Europaebene aber – welch Blamage - nicht im Bundestag oder Kanzleramt?
Da fängt auch der Mangel beim Amt-Erfinden auch schon an. Wo soll der Posten zugeordnet werden, was für ein Etat und ein wie großer Arbeitsstab wird geschaffen, muss der Kopf unbedingt ein Politiker sein oder wäre nicht eine engagierte Persönlichkeit aus der Zivilgesellschaft ein noch besseres „Symbol“, das die Politik immer wieder dran erinnern kann, wo noch Versäumnisse bestehen? Über all das könnte man gut und gerne streiten. Aber der Konsens der Initiatoren ist zur Zeit an einem ganz anderen Punkt zerbrochen, was die Sache hochnotpeinlich macht.
Es geht darum, wie und wo Antisemitismus benannt werden soll, kurioserweise nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit. Ein Jahr lang hatten alle Bundestagsfraktionen an einem Konsenspapier gefeilt und waren eigentlich fertig, da pochte die CDU plötzlich auf einem Einschub, der der Linken eins auswischen soll. Die Union will im Beschlusstext eine Formulierung sehen, in der es heißt, es müsse auch daran "erinnert werden, dass Israel von der DDR nie anerkannt worden ist, jüdische Unternehmer in der DDR enteignet wurden und aus der DDR fliehen mussten, und die DDR wie 1973 unter Bruch des geltenden Kriegsvölkerrechts Waffen an Feinde des Staates Israel wie Syrien lieferte".
Über die einzelnen Details dieser Formulierung ließe sich trefflich forschen und Historikerstreit betreiben - die Amadeu Antonio Stiftung hat kürzlich erst in einer Wanderausstellung über den verschwiegenen Antisemitismus in der DDR sehr viel Grundlegendes dazu ans Licht gebracht. Aber den Bundestag überfordert dies und den Konsens mit der Linken bricht dies wohlgezielt auf. Und das ist offensichtlich das Ziel des Unionsvorstoßes. "Man muss und man kann sehr viel Kritisches zum Umgang der DDR mit Jüdinnen und Juden und auch mit dem Staat Israel sagen, und ich bin auch gerne bereit, dafür Formulierungen zu liefern", reagiert beispielsweise die in Sachen Antisemitismusbekämpfung sehr engagierte Politikerin der Linken, Petra Pau, "aber eine so ahistorische Gleichsetzung, die zudem den Nationalsozialismus verharmlost, trage ich nicht mit."
Was fürchtet die Union?
Tatsächlich sollte man meinen, die Stelle eines Antisemitismusbeauftragten sollte gegenwartsbezogener formuliert sein und sich nicht im Detailstreit über Vergangenes verrennen – Prävention muss im Vordergrund stehen. Der Union geht es aber offensichtlich momentan um mehr. Sie wirkt so, als habe sie plötzlich Angst vor einer Institution bekommen, die ihr permanent ein schlechtes Gewissen machen könnte, weil zu wenig in puncto Antisemitismus- und damit verbunden auch Rechtsextremismusbekämpfung geschieht, denn gerade Unionspolitiker zeigen auf diesem Feld besonders häufig ein Wahrnehmungsproblem.
So distanzierte sich die Unionsfraktion am Dienstag nach den eigentlich erfolgreichen einjährigen Verhandlungsgesprächen nicht nur von dem bereits existenten fraktionsübergreifenden Antrag, sondern kündigte zugleich an, sich erst wieder am 11. November mit ihrem Alternativentwurf befassen zu wollen - wenn der Symboltag vorüber ist. Bloß keinen Konsens vor diesem Tag – eine Brüskierung sondergleichen.
Mit Recht klagen der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen nun über eine „gewollte Verschärfung“ und Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, über ein „jämmerliches Bild“, dass der Bundestag schon jetzt, rund zwei Wochen vor dem 9. November abgebe. Kramer moniert auch, dass während in einigen Bundesländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt wichtige Projekte gegen Rechtsextremismus mangels Bundesunterstützung ihre Mitarbeiter entlassen müssten, „in Berlin fadenscheinige Personaldebatten und Gerangel um die historische Rechthaberei bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte stattfinden“, so hat ihn am Dienstag die ‚netzeitung’ zitiert. Zudem müsse die Linkspartei an dem Konsens mitwirken und dürfe nicht ausgegrenzt werden, nur so sei sie gezwungen, „sich mit den Demagogen und Populisten auch in den eigenen Reihen ernsthaft auseinanderzusetzen“. Ob Cramers Appell noch hilft? Oder muss weiterhin allein der Zentralrat der Juden jene Aufgabe in Deutschland erfüllen, die eigentlich der Bundesregierung und dem Parlament zusteht - nämlich ständiger Mahner vor Antisemitismus und Ideenentwickler für dessen Bekämpfung zu sein?
Der jetzt im Bundestag erzeugte Flurschaden ist bereits immens, aber er ließe sich wieder minimieren, mit einem Kraftakt in letzter Sekunde. Das müssen insbesondere CDU und ihre Vorsitzende Angela Merkel begreifen und über ihre Schatten springen. Schließlich ist es besonders die Bundeskanzlerin, die „wiederholt“, wie ihr die Unions-Abgeordnete Gitta Connemann attestiert, „die Ächtung von Antisemitismus in jeder Form angemahnt und sich persönlich für dessen Bekämpfung eingesetzt hat“. Oder sollte das nur in (symbolischen) Sonntagsreden der Fall gewesen sein?
Zum Thema:
Einigung auf neuen Beschluss - ohne Antisemitismusbeauftragten (
MUT, 31.10.2008)
Neuer Antrag - ohne Opposition. (
Tagesspiegel 30.10.2008)
Kommentar von Gregor Gysi (
Tagesspiegel 30.10.08)
Darum nicht mit der Linken. Erklärung der CDU-Bundestagsabgeordneten Kristina Köhler. (
25.10.2008)
Aufklärung gegen Hass
(Berliner Zeitung, 25.10.)
Der Streit eskaliert (
Welt.de, 24.10.)
Fronten bleiben hart (
AFP, 23.9.)
Kein gemeinsames Gedenken (
HNA, 24.10.)
Und auch das noch: Denkmalstreit in München (
Merkur 24.10.)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Gesehen am Kanzleramt 2007 (hkulick).